Druck im Kessel
Bereits in der vorherigen Ausgabe haben wir über die Proteste der Zahnärzteschaft berichtet. Zwischenzeitlich haben die Proteste richtig Fahrt aufgenommen. Egal, ob in Tübingen, Koblenz oder Berlin – bei den dezentralen Protestveranstaltungen sind mehr Zahnärztinnen und Zahnärzte gekommen als die Veranstalter erwartet hatten. Das allein zeigt, wie groß das Bedürfnis ist, dem eigenen Unmut Luft zu machen. Wir haben mit einigen gesprochen, die zum ersten Mal auf einer Demo waren. Eine Zahnärztin, die in vorderster Reihe einen Demonstrationszug anführen sollte, erzählte, dass sie und ihr Nebenmann sich vor dem Start fragend angeschaut haben: „Haben wir überhaupt einen Schlachtruf?“ Das zeigt, dass derzeit eine Mobilisierung in der Fläche stattfindet, die bis vor Kurzem schwer vorstellbar war.
Offenbar ist aber der Leidensdruck durch die aktuelle Gesundheitspolitik so gestiegen, dass man dagegen jetzt auf die Straße geht. Auffallend ist auch, dass das Medienecho durchgehend positiv war. Selbst die Boulevard-Presse, die sonst nicht gerade zurückhaltend ist, wenn es darum geht, Zahnarzt-Klischees aus der Mottenkiste zu holen, hat keine Stimmung gegen die Proteste gemacht. Möglicherweise lag es auch daran, dass vieler Orten nicht nur auf Protestkundgebungen und Demos gesetzt wurde, sondern dass man verschiedene Formate wie Podiumsrunden mit Politikern gewählt hat. Auffällig war dabei natürlich, dass es vor allem Politikerinnen und Politiker der jeweiligen Oppositionsparteien waren, die sich in den Dialog mit der Zahnärzteschaft begeben haben. Aber das liegt in der Natur der Sache.
Nun nützen die schönsten und üppig besuchten Proteste nichts, wenn sie von den Adressaten nicht gehört werden. Aus dem BMG war wenig zu vernehmen, aber es ist davon auszugehen, dass man die zunehmende Mobilisierung der Zahnärzteschaft, der Ärzteschaft, der Apothekerinnen und Apotheker sowie der verschiedenen Assistenz- und Pflegeberufe sehr wohl registriert. Und wenn nicht in Berlin, dann auf jeden Fall in den Gesundheitsministerien der jeweiligen Länder. Dort kennt man auch die Nöte in den einzelnen Regionen meist besser als in Berlin.
Zu diesem Bild passt das kürzlich durchgeführte KZBV-Stimmungsbarometer. Zwar halten 99 (!) Prozent der Befragten ihre Arbeit für nützlich und sinnvoll. Trotzdem würde sich mehr als die Hälfte nicht mehr niederlassen. Gar 70 Prozent denken darüber nach, vorzeitig aus dem Beruf auszusteigen. Bei diesen Zahlen sollten bei der Politik wirklich die Alarmglocken schrillen.
Gewalt gegen Gesundheitspersonal ist seit einiger Zeit auch hierzulande ein immer größeres Thema. Die Angriffe haben zugenommen – auch wenn diese bei der Zahnärzteschaft glücklicherweise nicht so zahlreich sind wie bei anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Aber Deutschland steht mit diesem Problem nicht allein da. Im Nachbarland Frankreich ist das Thema Gewalt gegen Gesundheitsberufe noch größer. Dort setzt man jetzt auf eine rigorose Strafverschärfung. In Fällen, in denen das Opfer durch einen Angriff mehr als acht Tage arbeitsunfähig wird, droht eine Strafe von fünf Jahren Haft und 75.000 Euro Geldbuße. Beleidigungen werden mit 7.500 Euro geahndet. Wie immer bei Strafanhebungen stellt sich natürlich die Frage nach der abschreckenden Wirkung. Gleichwohl ist dieses Strafmaß ein deutliches Zeichen, wie schwerwiegend ein Staat und die Gesellschaft bestimmte Straftaten einschätzt. Das könnte durchaus auch ein Vorbild für Deutschland sein.
Dann gibt es diese Fälle in der Medizin und der Zahnmedizin, bei denen man sich wundert, dass sie überhaupt passieren können. Wir berichten über einen Fall, in dem bei einem betagten Patienten während einer Panendoskopie zur Abklärung einer Dysphagie die Speiseröhre perforiert wurde. Gleichzeitig hatte sich durch die Untersuchung offenbar ein Implantat gelöst und war durch die Perforation in das Mediastinum gewandert – was zu einer lebensbedrohlichen Situation führte. Schlussendlich ging aber alles gut aus.
Viel Spaß bei der Lektüre
Sascha Rudat
Chefredakteur