Fluoride sind nicht gleichwertig ersetzbar
Immer wieder kursieren in den Medien Beiträge, die die vermeintliche Gefahr von Fluorid heraufbeschwören. Dabei empfehlen Leitlinien zur Kariesprophylaxe – wie die S2k-Leitlinie „Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen“ – ausdrücklich den Einsatz unterschiedlicher Fluoridierungsmaßnahmen zum Erhalt der Zähne.
Doch insbesondere die Bewerbung von möglichen Fluoridalternativen in Zahnpasten scheint die Bevölkerung – und zum Teil sogar Fachkreise – zunehmend zu verunsichern. „Zur Verifizierung entstand die Idee einer Umfrage unter Deutschlands Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der Zahnmedizin“, schreiben die Autorinnen und Autoren. „Herausgekommen ist eine Momentaufnahme der neuesten wissenschaftlichen Bewertung von Fluoriden als Wirkstoff in der Kariesprophylaxe.“
Um möglichst aussagekräftige Antworten zu erhalten, versandte die IfK eine Einladung zur Umfrage an 98 Lehrstuhlinhaberinnen und -inhaber, Professorinnen und Professoren sowie Privatdozentinnen und -dozenten, die in Deutschland an den 30 zahnmedizinischen universitären Einrichtungen lehren und forschen. Die Online-Umfrage wurde am 18. Juli 2023 auf der Plattform SoSci Survey gestartet und am 15. September 2023 abgeschlossen, 40 Expertinnen und Experten nahmen teil.
Das sagen die Expertinnen und Experten
Im Ergebnis waren alle befragten Hochschullehrerinnen und -lehrer einstimmig der Meinung, dass es derzeit keinen gleichwertigen Ersatz für Fluoride gibt. Die große Mehrheit bewertete die Wirksamkeit und Evidenz von Fluoriden als hoch. Zudem halten die meisten eine bevölkerungsweite Kariesprophylaxe ohne Fluoride für kaum realisierbar.
Fast alle der Teilnehmenden (90 Prozent) schätzten, dass mindestens 90 Prozent der ihnen bekannten Expertinnen und Experten einer eindeutigen Wirksamkeit zustimmen. Für mehr als die Hälfte der Befragten (55 Prozent) trifft dies sogar auf 100 Prozent der ihnen bekannten Expertinnen und Experten zu.
Auswertung
Insgesamt bewerten die befragten Expertinnen und Experten der Hochschulen Fluoride sehr positiv. Alle Befragten sind der Meinung, dass es aktuell keinen gleichwertigen Ersatz gibt. Auch die Evidenz des Wirkstoffs wird sehr positiv beurteilt, ebenso wie die Wirksamkeit. Die Forschenden gehen davon aus, dass bei Frage 2 einem Teilnehmenden mit seiner Antwort „vollkommen unwirksam“ ein Fehler (falsche Skalenseite) unterlaufen ist, da er in der Feinanalyse bei allen anderen Fragen Fluorid durchgehend positiv bewertete.
Einigkeit besteht auch darüber, dass eine bevölkerungsweite Kariesprophylaxe ohne Fluoride kaum denkbar ist. Dazu merkte eine Person in der offenen Frage explizit Folgendes an (Frage 5): „Dies ist natürlich eine Frage des Aufwandes. Mit entsprechend höherem, insbesondere auch personellem Aufwand (Prophylaxepersonal, Anreizsystem etc.) würde die Kariesprophylaxe auch ohne beziehungsweise mit weniger Fluorid funktionieren können. Unter den derzeitigen Gegebenheiten und Verhaltensmustern der Patienten ist und bleibt Fluorid bevölkerungsweit jedoch unverzichtbar.“
Herausgekommen ist eine Momentaufnahme der neuesten wissenschaftlichen Bewertung von Fluoriden als Wirkstoff in der Kariesprophylaxe.
aus der Studie
Anders sieht es aus, wenn nach einem möglichen Vertrauensverlust in Fluorid gefragt wird (Frage 6). Zwar sagen 70 Prozent, dass das Vertrauen in den vergangenen zehn Jahren in den Wirkstoff nicht nachgelassen habe, jedoch gibt es hier einige wenige Zweifler. Ähnlich wie bei Frage 2 hinterfragen die Forschenden dabei die Antworten von zwei Teilnehmenden mit „sehr stark“ und „stark“ und gehen auch hier von einer fehlerhaften Antwort (falsche Skalenseite) aus, da diese nicht zu dem sonstigen Antwortverhalten pro Fluorid passt.
Das Verhalten der Patienten wird aber im Gegensatz zum fachlichen Konsens anders eingestuft (Frage 7). Nur zehn Prozent der Experten finden, dass sich die Zahl der Personen, die nur noch fluoridfreie Produkte verwenden wollen, nicht erhöht hat. Alle anderen sehen hier eine leichte bis sehr starke Änderung im Verhalten. Diese Aussage wird von neuen Erhebungen gestützt: Online-Analysetools zeigen, dass aktuell häufiger nach fluoridfreier Zahnpasta gesucht wird als noch vor einigen Jahren (Öko-Test, 2023).
Des Weiteren merkte eine Person im Rahmen der offenen Kommentierung dazu an: „Die Gruppe an Patient:innen (und deren Kinder), die explizit und aus Überzeugung fluoridfreie Mundhygieneprodukte verwenden, sind sehr starr in ihrer Position und lassen sich mit Argumenten meist wenig bewegen, selbst wenn Zahnhartsubstanzschäden eingetreten sind. Alternative Produkte z. B. auf Calciumhydroxid-Basis haben noch keine ausreichenden Daten in der Langstrecke.“
Diese Ergebnisse könnten den Forschenden zufolge auf einen gewissen Verbrauchertrend hin zu fluoridfreien Produkten hinweisen, was insbesondere vor dem Hintergrund der oben genannten Lebensgewohnheiten und keiner wirksamen Alternativprodukte kritisch zu sehen sei. Dieser Trend müsste jedoch in einer weiteren Verbraucherumfrage validiert werden.
Eine besorgniserregende Tendenz zeige sich auch bei Frage 8: Nur 45 Prozent der Befragten fühlen sich gegenüber Patienten nie in Erklärungsnot, was die Fluoridierungsmaßnahmen betrifft. Mehr als die Hälfte sieht zumindest gewisse bis starke Hürden. Auch diese Ergebnisse weisen auf einen Wandel in der Wahrnehmung von Fluoriden bei Verbraucherinnen und Verbrauchern hin, die den Wirkstoff bei ihren Besuchen in der zahnärztlichen Praxis zu hinterfragen scheinen. Aus diesen Ergebnissen leiten die Forschenden ab, dass einheitliche Fachempfehlungen und Handlungsleitfäden für Praxispersonal erforderlich sind: „Hier sind insbesondere die zahnmedizinischen und medizinischen Fachgesellschaften gefragt.“
Das Gros der Befragten hält fluoridhaltige Zahnpasta für unumstritten und empfiehlt diese fast ausschließlich (Frage 9). Erfreulich, aber ausbaufähig ist die Empfehlung zur Verwendung von fluoridiertem Speisesalz im Haushalt, das aktuell rund 60 Prozent immer oder fast immer empfehlen. Die unterschiedlichen Angaben bei Mundspülungen und Gelen sowie Lacken könnten den Wissenschaftlern zufolge auf spezifische Fachempfehlungen zurückzuführen sein, die das Alter der Patienten berücksichtigen (wie keine Anwendung von fluoridhaltigen Mundspüllösungen und Gelen bei Kindern unter sechs Jahren; hochdosiertes Fluorid in der Alterszahnmedizin), oder bei Personen mit bestimmten Vorerkrankungen oder Behinderungen zum Tragen kommen. Zum einen würden neben Zahnpasta und Salz wahrscheinlich wenige weitere Fluoridquellen explizit empfohlen. Zum anderen sei die Anwendung von Mundspüllösungen sowie Gelen und Lacken an bestimmten Indikationen orientiert, die unter anderem durch Leitlinien festgelegt sind.
Neben den bisher berichteten Wortmeldungen in der offenen Frage am Ende des Fragebogens monierte eine Person, dass die Studienqualität zu Fluoriden noch höher sein dürfte und gerade klinische Vergleichsstudien zu den unterschiedlichen Fluoridarten wünschenswert wären.
Aufgrund des Zuckerkonsums bleibt Karies ein Problem
Zu guter Letzt appellierte eine Person an die Zahnärzteschaft: „Die Anwendung von Fluoriden in der Kariesprophylaxe reduziert in den meisten Fällen signifikant die Kariesprogression. […] Die großen Erfolge bei der Kariesprävention von Kindern und Jugendlichen in den letzten 30 Jahren verschleiern leider die besorgniserregende Tatsache, dass der weiterhin sehr hohe Konsum zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu einem signifikanten Anstieg der Adipositas und metabolischer Erkrankungen wie nichtalkoholische Fettleber bereits unter Kinder und Jugendlichen geführt hat. Daher aus meiner Sicht eine uneingeschränkte Zustimmung zur Fluoridprophylaxe, die aber gleichzeitig durch eine mindestens ebenso starke Kampagne gegen den zu hohen Konsum von Zucker ergänzt werden muss, wenn wir unseren Anspruch als Zahnärzte auch Teil der Medizin zu sein nicht aufgeben wollen.“
„Diese Forderung unterstützt die Informationsstelle für Kariesprophylaxe, die neben den Säulen Fluoridierung, zahnärztliche Prophylaxe und gewissenhafte häusliche Zahnpflege auch die (zahn-)gesunde Ernährung in den Fokus rückt“, heißt es in der Studie.
Limitationen der Umfrage
„Der strukturierte Fragebogen sollte möglichst ehrlich beantwortet werden und ökonomisch sein (nicht länger als 10 Minuten)“, halten die Forschenden fest. Einfach und klare Fragestellungen sollten dabei den Fragenkern möglichst treffend erfassen und wenig Spielraum für Störeffekte lassen (wie Eigeninterpretationen). Zur Güte der Daten müsse man jedoch festhalten, dass von drei Personen bei zwei Fragen womöglich fehlerhaft geantwortet wurde (Abb. 3 und Abb. 7). Es sei anzunehmen, dass die Skalenbeschriftung eventuell nicht richtig gelesen und daher „falsch herum“ geantwortet wurde. „Andernfalls verwirren ihre einmaligen 'Fluorid-ablehnenden' Antworten, da die sonstigen Fragen durchweg 'pro Fluorid' beantwortet wurden.“ Trotz dieser Umstände wurde sich – aus Gründen der Vollständigkeit und Glaubwürdigkeit – gegen eine Löschung dieser Fälle entschieden. Die Datensätze aller anderen Teilnehmer besaßen keine Auffälligkeiten.
Da die relevanten Experten aller deutschen Fakultäten durch den wissenschaftlichen Beirat der IfK identifiziert und anschließend auch eine Einladung zur Teilnahme an der Umfrage erhalten haben, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die hier beschriebene Stichprobe valide ist. Ob jedoch eine Art Selektionseffekt in der Form stattfand, dass von den 98 eingeladenen Experten nur „Fluorid-freundliche“ teilnahmen, lasse sich nicht abschließend klären. Aufgrund der Anonymität der Umfrage könne zudem nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob tatsächlich Stimmen aus allen 30 Fakultäten eingefangen wurden.
Die gründliche Konzeption stimme jedoch positiv, dass eine valide Momentaufnahme der neuesten wissenschaftlichen Bewertung von Fluoriden als Wirkstoff in der Kariesprophylaxe gelang. „Die Umfrage lässt aufgrund der starken Eingrenzung auf die Fakultäten jedoch keine weiteren Rückschlüsse auf die 'Fluoridstimmung' bei niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzten zu. Auch das Verhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern stellt lediglich eine Einschätzung der Expertinnen und Experten dar“, bemerken die Forschenden. Hier seien weitere Untersuchungen nötig.