foodwatch-Marktstudie

86 Prozent der Kinder-Getränke sind überzuckert

Ein Großteil der Getränke für Kinder ist überzuckert. Das ist das Ergebnis einer großen Marktstudie der Verbraucherorganisation foodwatch. Demnach enthalten 117 von 136 untersuchten Getränken (86 Prozent) mehr als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter.

Im Durchschnitt enthielten die Limonaden, Energydrinks und Fruchtsaftgetränke 7,8 Prozent Zucker, das sind mehr als sechseinhalb Zuckerwürfel pro 250 Milliliter-Glas. foodwatch forderte die Ampel-Regierung erneut auf, endlich eine Limo-Steuer nach britischem Vorbild einzuführen. „In Großbritannien haben die Hersteller als Folge der Steuer den Zuckergehalt in ihren Getränken stark reduziert, und auch der Zuckerkonsum von Kindern sank“, bilanziert foodwatch die britische Regelung. Zum Schutz der Kindergesundheit brauche es aber außerdem effektive Werbeschranken für ungesunde Produkte und eine gesetzliche Altersgrenze für den Verkauf von Energy-Drinks.

Viel Zucker in der Kindheit macht Jahre später krank

Eine zuckerreiche Ernährung in jungen Jahren hat große negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das wirtschaftliche Wohlergehen von Erwachsenen mehr als 50 Jahre später. Das zeigt eine große Studie aus Großbritannien. Im Zweiten Weltkrieg hatte die dortige Regierung Süßigkeiten streng rationiert – bis 1953. Ab da griffen die Briten zu Süßem und binnen eines Jahres verdoppelte sich der durchschnittliche Zuckerkonsum. Die Forschenden zeigen, dass 50 Jahre später bei Erwachsenen, die nach 1953 geboren wurden, auffallend mehr degenerative Erkrankungen auftraten und wesentlich schlechtere Bildungs- und wirtschaftliche Ergebnisse erzielt wurden als bei jenen, die zuvor mit wenig Zucker aufwuchsen. Die später Geborenen, heute Mitte 60, entwickelten 1,5-mal häufiger Diabetes, leiden öfter an Arthritis und haben ein signifikant höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Studie:
Paul Gertler and Tadeja Gracner, (2022), The Sweet Life: The Long-Term Effects of a Sugar-Rich Early Childhood, No 30799, NBER Working Papers, National Bureau of Economic Research, Inc.

Für die Marktstudie hatte foodwatch in den fünf größten Supermärkten (Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Kaufland) sämtliche Getränke eingekauft, deren Verpackung Kinder und Jugendliche ansprechen soll, etwa durch den Aufdruck von Tieren und Comicfiguren oder durch eine besonders „coole“ Produktgestaltung wie etwa bei Eistees oder Energydrinks. Getränke, die in einer fast ausschließlich von Kindern getrunkenen Darreichungsform verkauft werden, wurden ebenfalls einbezogen (Trinkpäckchen oder kleine Flaschen mit Saugverschluss). Zu den untersuchten Produkten gehörten Limonaden, Fruchtsäfte, Energydrinks, Mineralwasser und Eistees. Milchbasierte Getränke wurden nicht berücksichtigt.

Eine Dose enthält 26 Zuckerwürfel!

Zuckerkonsum sinkt auf hohem Niveau

Bonner Forscherinnen haben 2024 in einer Langzeitstudie den Zuckerkonsum von Kindern und Jugendlichen ausgewertet. Ergebnis: Die Zufuhr sinkt seit 2010 kontinuierlich, liegt aber immer noch über der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Menge. Die Ergebnisse stützen die Initiative der Bundesregierung, bis 2025 den Zuckergehalt von Müslis, Milchprodukten sowie von Erfrischungs- und Fruchtdrinks um mindestens 15 Prozent zu reduzieren.

Die Studie:
Ines Perrar, Ute Alexy, Ute Nöthlings. „Intake of free sugar among children and adolescents in Germany declines – current results of the DONALD study“. European Journal of Nutrition, 2024, ISSN 1436-6215, doi.org/10.1007/s00394-024-03456-1

Das Ergebnis der Auswertung: Mehr als jedes zweite Kindergetränk (57 Prozent) war mit einem Zuckergehalt von über acht Gramm je 100 Milliliter stark überzuckert. Das zuckrigste Getränk im Supermarkt ist der Energy Drink „Guava Flavour“ der Lidl-Eigenmarke „Kong Strong“ – er enthält 15,6 Gramm Zucker auf 100 Milliliter. Mit nur einer Dose nimmt ein Teenager 78 Gramm Zucker zu sich, das entspricht 26 Zuckerwürfeln und ist mehr als dreimal soviel, wie Kinder und Jugendliche maximal am Tag zu sich nehmen sollten.

„Ausgerechnet Getränke für Kinder und Jugendliche sind maßlos überzuckert. Es ist perfide und verantwortungslos, wie die Getränkeindustrie Kinder mit Zuckerbomben ködert und damit deren Gesundheit aus Spiel setzt”, sagte Luise Molling von foodwatch. „Bei der Prävention ernährungsbedingter Krankheiten versagt die deutsche Ernährungs- und Gesundheitspolitik auf ganzer Linie. Das Motto ist offenbar: Konzernprofit vor Kinderschutz."

60 Prozent der US-Babynahrung entsprechen nicht den Standards

Laut einer Studie des George Institute for Global Health entsprechen 60 Prozent der in den USA verkauften Säuglings- und Kleinkindnahrung nicht den Ernährungsempfehlungen und kaum eine den Werbeanforderungen der WHO. Die in Australien ansässige Forschungsgruppe verglich 651 kommerziell produzierte Baby- und Kleinkindnahrung von zehn verschiedenen Lebensmittelketten in den USA mit den WHO-Richtlinien und fand heraus, dass 70 Prozent der Nahrungsmittel den Proteinstandard nicht erfüllten und 44 Prozent den Gesamtzuckerbedarf überschritten.

Die Studie:
Dunford, E. K., Scully, M., & Coyle, D. (2024). Commercially-produced infant and toddler foods—How healthy are they? An evaluation of products sold in Australian supermarkets. Maternal & Child Nutrition, e13709. doi.org/10.1111/mcn.13709

Sie verweist in dem Zusammenhang auf eine Studie der TU München, wonach sich  der durchschnittliche Zuckergehalt in Erfrischungsgetränken zwischen 2015 und 2021 lediglich um zwei Prozent reduziert habe, während in Großbritannien im gleichen Zeitraum durch die Limo-Steuer eine Reduktion um 29 Prozent erfolgt sei. Laut einer aktuellen Arbeit der Universität Cambridge sank Molling zufolge damit auch der Zuckerkonsum bei Kindern und Erwachsenen.

Was eine Zuckersteuer bewirkt

In 54 Staaten gibt es bereits eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Laut der Cambridge University hat sich in Großbritannien der Zuckerkonsum britischer Kinder durch Softdrinks seit Einführung der Zuckersteuer 2018 halbiert. Krankenhauseinweisungen von Kindern wegen Zahnextraktionen gingen ebenfalls seitdem zurück. Eine Studie aus München und Liverpool kam 2023 zu dem Schluss, dass eine Zuckersteuer in Deutschland allein innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte bis zu 16 Milliarden Euro einsparen sowie zahlreiche Erkrankungen verhindern könnte. Die Steuer würde die volkswirtschaftlichen Kosten extrem senken und das Gesundheitssystem entlasten.

Die beiden Studien:
Rogers NT et. al., Estimated changes in free sugar consumption one year after the UK soft drinks industry levy came into force: controlled interrupted time series analysis of the National Diet and Nutrition Survey (2011–2019)J Epidemiol Community Health Published Online First: 09 July 2024. doi: 10.1136/jech-2023-221051

Emmert-Fees KMF, Amies-Cull B, Wawro, N, Linseisen J, Staudigel M, Peters A, et al. (2023). „Projected health and economic impacts of sugarsweetened beverage taxation in Germany: A crossvalidation modelling study“. PLoS Med 20(11): e1004311. DOI: 10.1371/journal.pmed.1004311

Der Konsum zuckerhaltiger Getränke im Kindes- und Jugendalter ist ein wesentlicher Risikofaktor für Übergewicht, Diabetes und Herzerkrankungen. Wirksame Maßnahmen zur Reduktion des Süßgetränke-Konsums sind deshalb dringend notwendig”, sagte Prof. Dr. med. Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährung an der Kinderklinik der Universität München.

„Die Ergebnisse der Studie belegen eindeutig die viel zu hohe Zuckeraufnahme von Kleinkindern und Kindern aus diesen Getränken sowie das Scheitern der bisher initiierten Gegenmaßnahmen. Der Zusammenhang zwischen höherem Zuckerkonsum und höherer Karieslast ist belegt. Da süß schmeckende Alternativen zum Zucker zunehmend als problematisch einzustufen sind, ist die einzig wirkungsvolle gesundheitsfördernde Alternative zu gesüßten Getränken die Verwendung von Wasser“, bekräftigte Prof. Dr. Ulrich Schiffner, Zahnarzt und Mitglied des Beirats der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ).

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