Weiterentwicklung als Team

Es ist nicht automatisch schlecht, wenn das Glas halbvoll ist

Das wöchentliche Meeting zieht sich (mal wieder), es gibt viel zu besprechen, keiner tut es, und alle sind froh, wenn es vorbei ist. Wie können Chefinnen und Chefs denn sicherstellen, dass bei einem Team-Austausch wirklich was dabei herumkommt? Zwei Übungen, die die Kommunikation ankurbeln und bereichern – und sogar Spaß machen.

Eine Arbeits- und Gesprächskultur, die alle Mitarbeitenden abholt, ist kein Selbstläufer. Das bestätigt Elisabeth Königbauer von „Neue Narrative“. Der Verlag ist auf die Themen New Work und neue Unternehmenskonzepte spezialisiert und bietet auf der Plattform „9 Spaces“ Tools für die Organisationsentwicklung an. „Meine Erfahrung ist, dass in jeder Organisation – egal, ob Start-up, Verwaltung oder Großkonzern und sicherlich auch in Zahnarztpraxen – der Wunsch nach menschenzentrierter und sinnstiftender Arbeit besteht“, sagt Königbauer, die Unternehmen dabei begleitet, ihre Zusammenarbeit entsprechend zu transformieren. „Ich bin überzeugt, dass eine Arbeitskultur möglich ist, in der man nicht ausgebrannt nach Hause geht, sondern mit mehr Energie – weil das Umfeld wertschätzend und die Gesprächskultur gut ist.“

Die Basis dafür bildet aus ihrer Sicht eine Atmosphäre, in der Herausforderungen im Job und im Privatleben nicht nur offen angesprochen, sondern anschließend auch bearbeitet werden. „Es muss möglich sein, dass jemand, der ein Elternteil pflegt, über die Auswirkungen dieser privaten Situation auf den Job sprechen kann“, sagt Königbauer und nennt ein weiteres Beispiel: „Ehrlichkeit muss auch für eine Nachwuchskraft möglich sein, die seit Monaten mit dem Gefühl herumläuft, eigentlich mehr Verantwortung übernehmen zu können, stattdessen aber alle Entscheidungen absegnen lassen muss.“ Organisationen, deren Prozesse es verunmöglichen, Krisen und Ideen auf die Tagesordnung zu setzen, riskierten lähmende Konflikte oder sogar den Verlust von Mitarbeitenden, so Königbauer.

Mit nur drei Strichen viel sagen

Nicht allen Menschen fällt es leicht, andere zum Sprechen zu motivieren oder ihre Gedanken treffend in Worte zu fassen – das gilt für Praxischefinnen und -chefs ebenso wie für ihre Angestellten. Hinzu kommt, dass im Arbeitsalltag in einer zahnärztlichen Praxis Zeit für das Team ein knappes Gut ist. Organisationsentwicklerin Königbauer empfiehlt drei Tools, die man bei einem Meeting ohne viel Zeit und Aufwand umsetzen kann.

Das braucht man für die Übung: Papier und Stifte in drei Farben.

„Wie geht es mir eigentlich zurzeit?“ Diese Frage stellt sich jeder ab und zu – und nicht immer kann man sie sofort beantworten. Die Übung „Bedürfnis-Gläser“ bietet hier niedrigschwellig Hilfestellung und befähigt alle im Team, innerhalb kurzer Zeit herauszufinden, welche Bedürfnisse gerade erfüllt oder nicht erfüllt sind, wie sich das im Alltag anfühlt und gegebenenfalls auch auswirkt. Mögliche Bedürfnisse können neben Autonomie und Kollegialität auch Erholung und eine klare Struktur in den Praxisabläufen sein.

„Bedürfnis-Gläser“ startet damit, dass die Teilnehmer sämtliche Rollen auflisten, die sie beruflich und privat ausfüllen. Das kann von Vater, Ehefrau und Vorsitzende des Sportvereins bis hin zur Hygiene- oder Ausbildungsbeauftragten der Praxis, Assistenzzahnarzt oder Praxischefin reichen. Wenn die schriftliche Aufstellung aller Rollen steht, geht es in die Auswertung. „Jetzt wählt jeder drei Rollen aus, die in seinem oder ihrem Leben besonders präsent sind, kreuzt sie in der Liste an und ordnet ihnen eine Farbe zu“, erklärt Königbauer den Ablauf. „Als nächstes zeichnet man auf ein Blatt Papier ein großes Wasserglas und markiert anschließend mit einem Strich, wie voll das Glas je nach Bedürfnis gerade ist.“

Es gilt das Prinzip: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Mithilfe dieses einfach umzusetzenden Tools können sich Chefinnen und Chefs, aber auch die Teammitglieder untereinander, schnell ein Bild von der eigenen Stimmungslage sowie der der anderen machen. „Dabei ist wichtig zu beachten: Es ist nicht automatisch schlecht, wenn ein Glas nicht bis zum Rand gefüllt ist. Bei der Übung geht es vielmehr darum, sich die Frage zu stellen, ob der aktuelle Zustand für einen selbst okay ist oder ob man etwas daran ändern möchte“, so die Organisationsentwicklerin. Im hektischen Arbeitsalltag vergesse man einfach oft, sich ernsthaft mit der Frage nach erfüllten oder unerfüllten Bedürfnissen auseinanderzusetzen, was zu Unzufriedenheit führen könne. Vor diesem Hintergrund eignen sich die „Bedürfnis-Gläser“ als aufschlussreiche Übung für die Reflexion der Zusammenarbeit.

Manual to me: So lernt man sich besser kennen!

Das braucht man für die Übung: ausgedruckte Vorlagen und Stifte.

Manchmal sind einem die Kolleginnen und Kollegen ein Rätsel. Wäre es dann nicht wundervoll, eine Gebrauchsanleitung für sie zu haben? Darauf zielt das 9-Spaces-Tool „Manual to me“ ab. „Eventuell ist es auch für die Selbsterkenntnis hilfreich, ein Handbuch über sich anzufertigen“, bemerkt die Organisationsexpertin.

So funktioniert's: Am Anfang werden Themen gesammelt, die Aufschluss darüber geben, wie eine Person tickt. Aus den Vorschlägen wird ein kleiner Fragebogen oder Steckbrief zusammengestellt. „Man kann dafür prima mit Gegensatzpaaren arbeiten“, regt Königbauer an. „Zum Beispiel: 'So sieht mein perfekter Arbeitstag aus' und 'Das ist mein absoluter Horrortag'. Oder: 'Bitte gib mir Feedback auf die folgende Art und Weise' und 'So bitte auf keinen Fall Feedback geben'. Die Liste lässt sich beliebig erweitern, etwa um die Fragen, was einer Person in der Zusammenarbeit wichtig ist, was sie unter Stress setzt, was sie aus einem Stimmungstief herausholt, was sie als ihre Schwächen und Stärken empfindet oder was sie in Sekundenschnelle auf die Palme bringt.

Steht der Fragebogen, füllen ihn alle im Team aus. „Im zweiten Schritt kann es sinnvoll sein, auch noch Feedback von Menschen einzuholen, die einen gut kennen. Fremdeinschätzungen können Dinge offenlegen, die einem selbst gar nicht klar sind“, empfiehlt Königbauer. Im Anschluss werden die Ergebnisse mit dem Team geteilt. Etwa, indem man die Manuals am schwarzen Brett im Gemeinschaftsraum aufhängt oder in einem Schnellhefter am Empfang hinterlegt. Vor allen Dingen neue Mitarbeitende können von diesem Wissen profitieren.

Die Kümmerer im Team sichtbar machen

Für die Übung braucht man: Whiteboard oder großen Bogen Papier, Post-its und Stifte.

Wie im Privatleben gibt es auch an der Arbeit Menschen, die Care-Arbeit leisten, sich also um das Wohlbefinden der anderen kümmern. Das Problem: Diese Arbeit ist unsichtbar und erfährt oft zu wenig bis keine Wertschätzung. „Das kann zum Beispiel den Kollegen betreffen, der zu jedem Geburtstag einen Kuchen mitbringt, oder die Kollegin, die einen in der zweiten Jahreshälfte darauf aufmerksam macht, dass man nicht genug Urlaub genommen hat“, erklärt Königbauer. In Form einer „Invisible Work Map“, also einer Karte für unsichtbare Arbeit, kann man dieses Engagement sichtbar machen.

Im Laufe der Übung sammelt das Team für jedes Mitglied zunächst die zum Beispiel im Arbeitsvertrag festgehaltenen Aufgaben. Im nächsten Schritt geht es darum, zu identifizieren: Welche Arbeit, die jemand leistet, steht nicht in der Stellenbeschreibung? Welche dieser Tätigkeiten sorgen dafür, dass die Arbeit im Team reibungslos abläuft? An welchen Stellen leistet jemand unsichtbare Care-Arbeit? Jede sichtbare und unsichtbare Tätigkeit bekommt ein eigenes Post-it.

Ist das Sammeln abgeschlossen, werden die Namen der Kolleginnen und Kollegen oben auf ein Whiteboard oder ein großes Stück Papier geschrieben und die Post-its unten angebracht. Danach zieht man zwischen den identifizierten Aufgaben und den Mitarbeitern, die sie ausführen, Verbindungslinien. Bei Personen, die neben ihrer Arbeit besonders viele Care-Aufgaben übernehmen, werden sich die Linien knubbeln – und ihr Engagement dadurch sichtbar gemacht. Nun haben Teams die Möglichkeit, das zu thematisieren und bei Bedarf eine fairere Verteilung unsichtbarer Arbeit anzustoßen.

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