Abseits der Praxis

Tagsüber Zahnarzt, abends Musikproduzent

Helmut Kohlpaintner ist Musiker mit Leib und Seele – und Zahnarzt. Nach turbulenten beruflichen Jahren mit Doppel- und Dreifachbelastung praktiziert der 58-Jährige heute in einer kleinen Einzelpraxis in München und feilt nach Feierabend am perfekten Hardrock-Sound. Mittlerweile hat er mehr als 20 Jahre Erfahrung als Musikproduzent.

Um 18 Uhr fällt der Bohrer. „Dann geht's ab ins Studio“, sagt Kohlpaintner und lacht. „Zum Relaxen!" Gemeint ist das heimische Editingstudio, wo er stundenlang am Feinschliff der Aufnahmen zum fünften Album der Band „Michael Schinkels Eternal Flame“ sitzt. Der sperrige Name ergab sich Anfang der 2000er-Jahre aufgrund der Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen Welthit der US-amerikanischen Popband „Bangles“, um Rechtsstreitigkeiten von vornherein auszuschließen. Zurück ins Jetzt: Laut Vertrag muss die Platte bis Februar/März kommenden Jahres fertig werden. Kein Problem für Kohlpaintner. „Ein bisschen Druck braucht’s ja auch.“

Mit Leistungsdruck kennt sich der Zahnarzt aus. Nach seinem Studium in München und Berlin und der Assistenzzeit in seiner Heimat Burghausen übernahm er im Jahr 2000 damals eine Praxis in der bayerischen Landeshauptstadt. Es gab drei Behandlungszimmer und die brummten von Anfang an, erinnert sich der umtriebige Zahnarzt. Doch das reichte ihm nicht.

Als Implantologe flog er ­einmal bis zum Mond

Darum pendelte Kohlpaintner sieben Jahre lang jedes zweite Wochenende nach Mallorca, um in der dortigen Praxis einer Kollegin aus Hamburg Sonderschichten einzulegen. Er sei also, wenn er das hochrechne, „knapp 400.000 Kilometer geflogen – von hier bis zum Mond“, um auf der Baleareninsel am Stuhl zu stehen.

Seine eigene Praxis betrieb er parallel weiter und machte dort 2003 eine für ihn lebensentscheidende Begegnung, als er mit seinem Patienten Michael Schinkel über ein Foto seines Bruders mit TV-Moderator Stefan Raab ins Gespräch kam. Funfact am Rande: Sein Bruder ist ebenfalls Zahnarzt und kann als Elvis-Imitator „Dr. Kingsize“ umfangreiche Pressenennungen und zahlreiche Fernsehauftritte vorweisen. Als in dem kurzen Plausch über das besagte Foto klar wird, das beide Männer Musiker plus Hardrockfans sind, kommt eins zum anderen: Schinkel sucht einen Keyboarder und organisiert ein Vorspielen – noch am selben Abend.

Seitdem sind die beiden Männer ein Team, als Bandkollegen bei Eternal Flame und als Musikproduzenten. Dabei sind sie breit aufgestellt. Ihr musikalisches Spektrum reicht von Hardrock bis Schlager. So produzierten sie etwa Jürgen Marcus („Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“), für den Kohlpaintner zum Teil auch komponierte und textete.

Bei der PA-Behandlung ­kommen Textideen

Inspirationen für die Musik kommen ihm oft auch während der Arbeit in der Praxis, wenn er hochkonzentriert ist, erzählt er. Eine Gesangslinie für Jürgen Marcus' Lied „Ich schau in mein Herz“ sei ihm zum Beispiel bei einer PA-Behandlung eingefallen. „Das passiert ganz einfach, wenn ich im Flow bin“, berichtet der Mann, der nach 20 Jahren in der Branche mit manchem Star per Du ist. Nicht selten spielt hierbei der Zufall eine große Rolle: So landete in seiner Zeit auf Gran Canaria auch schon einmal der Produzent von Lady Gaga und 50 Cent mit einem Problem am 46er auf seinem Behandlungsstuhl.

Die meisten Kontakte ergaben sich aber in der überschaubaren Blase der Musikproduzenten. So arbeitete Kohlpaintner schon mit einem Ex-Bandmitglied der Scorpions oder mit dem Ex-Gitarristen von Whitesnake und zuletzt auch mit den Heavy-Metal-Größen Mark Boals aus den USA und Goeran Edman aus Schweden zusammen.

Parallel zur Musik suchte er auch beruflich immer neue Herausforderungen: 2015 kam er „auf die glorreiche Idee, ich mache Gran Canaria“, verkaufte seine Münchner Praxis und eröffnete stattdessen in Las Palmas und Mas Palomas zwei Praxen. Sieben Jahre dauerte dieses Kapitel seiner Karriere, das von Corona jäh beendet wurde.

Immerhin: Bis zum Lockdown, der ihn aufgrund der Ausgangssperre viel Geld kostete, sei es „wirtschaftlich super gelaufen“, weil es auf der Insel damals nur drei deutsche Zahnärzte gab. Ein richtiges Heimatgefühl sei bei ihm allerdings nicht aufgekommen, vielleicht auch, weil er dort jahrelang auch samstags und sonntags durcharbeitete: „Ich habe regelmäßig bis 22 oder 23 Uhr gearbeitet und die ersten fünf Jahre das Meer nur aus der Ferne gesehen.“

Darum trat Kohlpaintner auf die Bremse, ging 2022 zurück nach München, übernahm eine 120-Quadratmeter-Praxis im Stadtteil Waldtrudering mit einem Behandlungs- und einem reinen Prophylaxezimmer. Hier lässt er es ruhiger angehen. Er wolle keinen Massenbetrieb mehr wie auf Gran Canaria, „bei dem man wie auf Rollschuhen zwischen den Zimmern hin- und herwechselt".

Aufgewachsen ist der Wahlmünchner in der oberbayerische Kleinstadt Burghausen an der deutsch-österreichischen Grenze, wo er schon als Jugendlicher gerne Musikproduzent werden wollte. Nach dem Abitur am musischen Gymnasium der 20.000-Einwohner-Stadt legten ihm Lehrer zwar ein Instrumentenstudium mit dem Ziel einer möglichen Karriere als Konzertpianist nahe. Das sei ihm aber „zu bled“ gewesen, auch weil sein Vater – kein Zahnarzt, sondern ein musisch begabter Bauingenieur – „ein solches Studium nicht finanziert hätte, wenn ich damit hinterher nur Musikschullehrer werde“.

Vielleicht gelingt ein Hit im Stil von „Sail away“

Den Traum, professionell Musik zu machen, verfolgten er und sein jüngerer Bruder Klaus aber mit Vehemenz weiter, sie landeten letztlich nur in unterschiedlichen Genres: Helmut widmet sich dem Hardrock, Klaus den Oldies, vor allem Elvis. Und während der Blick von Klaus Kohlpaintner immer fest Richtung Nashville gerichtet ist, fokussiert sich Helmut auf Japan, wo es einen riesigen Markt für Heavy Metal gibt, seine Band schon zwei Alben in den einschlägigen Charts hatte und auch die nächste Platte ein Erfolg werden soll.

Anders als das Schlagergeschäft mit Jürgens Marcus sei melodisch anspruchsvoller Hardrock eine monetär eher wenig ergiebige Leidenschaft. „Aber wer weiß, vielleicht will mal jemand eine Song als Filmmusik oder als Werbeabspann“, sagt Kohlpaintner, der auch mit dem Texter des Joe-Cocker-Songs „Sail away“ gut bekannt ist und der mit der Vermarktung des Jingles für eine große Biermarkt ein kleines Vermögen gemacht hat.

So oder so investiert der Zahnarzt neben dem Praxisbetrieb pro Woche 20 bis 25 Stunden in sein Hobby, das er zum Glück mit seiner Frau teilt. Die ist ebenfalls Hardrockfan, begleitet alle Produktionen, ist hier und da „als Consultant dabei“ und tritt auch in den Musikvideos der Band auf. Ein Zeitproblem habe er als Kinderloser also nicht. "Golf spielen kann ich auch noch, wenn ich 90 bin. Ich hab auch keinen Sportwagen, sowas interessiert mich einfach nicht.“ Ihn interessiere überhaupt nichts, sagt Kohlpaintner, außer Zahnmedizin, seine Musik, Reisen und seine Frau. „So ist alles wunderbar vereinbar.“

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