Metaanalyse zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen

Wie erklärt sich der Nocebo-Effekt in der Zahnmedizin?

Warum haben Patienten unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Medikamenten, die sie gar nicht eingenommen haben? Forschende haben den Nocebo-Effekt in der Zahnmedizin im Rahmen einer Metaanalyse untersucht. Ergebnis: Rund jeder vierte Placebo-Patient klagt nach einer Weisheitszahn-Extraktion über Kopfschmerzen oder Übelkeit, obwohl er gar keinen aktiven Wirkstoff erhalten hat.

Die Forschenden werteten für die Übersichtsarbeit 50 randomisierte, doppelblinde und Placebo-kontrollierte Studien aus, die seit Mai 2021 publiziert wurden. Alle Arbeiten untersuchten Analgetika für postoperative Schmerzen nach Weisheitszahnentfernungen bei Patienten ohne signifikante systemische Erkrankungen. Von 10.909 Patienten erhielten 2.471 Personen ein Placebo, 8.438 einen pharmakologischen Wirkstoff. Die Probanden waren durchschnittlich 23,7 Jahre alt.

Die gepoolten Raten der Personen mit mindestens einer unerwünschten Wirkung betrugen 22,8 Prozent in der Placebo- und 20,6 Prozent in der aktiven Gruppe. Das bedeutet, dass Patienten, die ein Placebo erhielten, mindestens genauso häufig unerwünschte Wirkungen verspürten wie Patienten, die Analgetika erhielten. Die am häufigsten in der Placebo-Gruppe berichteten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen.

Aufklärung kann Risiko für Nebenwirkungen erhöhen

Wie ist dieses Phänomen erklärbar? Den Autoren zufolge könnten die Schmerzen durch kontextbezogene, unspezifische Faktoren bedingt sein: „So hat sich beispielsweise gezeigt, dass die Informationen, die Patienten im Rahmen der Einverständniserklärung über mögliche Nebenwirkungen erhalten, das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen.“ Auch in anderen Publikationen waren die Nebenwirkungen der Placebo-Gruppe spezifisch für das in der Studie verabreichte Medikament. Somit erhielt die Placebo-Gruppe die gleiche Aufklärung wie die Gruppe, die schließlich den aktiven Wirkstoff einnahm. Die berichteten Nebenwirkungen der Placebo-Gruppe passten also zu den zuvor erhaltenen Informationen über mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen.

„Von Bedeutung für die klinische Praxis ist, dass ein großer Teil der Nebenwirkungen nach der Verabreichung eines pharmakologischen Wirkstoffs ebenfalls durch unspezifische Faktoren und nicht durch die aktive(n) Arzneimittelkomponente(n) verursacht werden kann“, bilanzieren die Forschenden. Das könnte bedeuten, dass ein erheblicher Teil unerwünschter Arzneimittelwirkungen von Analgetika nach einer M3-Operation nicht zwangsläufig auf den pharmakologischen Wirkstoff zurückzuführen sein muss, sondern auch ein Nocebo-Effekt infrage kommt.

Aufgrund der Beobachtung, dass der Anteil der Nebenwirkungen in den Placebo- und in den Analgetika-Gruppen nahezu gleich ist, schließen die Autoren, „dass nicht-pharmakologische, unspezifische Faktoren in der Zahnmedizin eine relativ große Rolle spielen könnten". Eine Limitation der Studie ist, dass auch die zahnmedizinische Behandlung (Entfernung der Weisheitszähne) und die damit einhergehenden Beschwerden sich mit den Nebenwirkungen vermischt beziehungsweise diese beeinflusst haben könnten.

Die Forschenden regen an, Strategien zur Abschwächung des Nocebo-Effekts in der Zahnmedizin zu etablieren. Aktuell werden mehrere Strategien erforscht, unter anderem die Aufklärung der Patienten über einen möglichen Nocebo-Effekt sowie die Lenkung der Behandlungserwartungen.

Entscheidend ist die richtige Kommunikation

Ein Nocebo-Effekt kann durch mögliche negative Erwartungen in Bezug auf Nebenwirkungen von Medikamenten oder Effekte von Behandlungen entstehen. Das bedeutet, dass die Aufklärung über Behandlungsrisiken und mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen den Nocebo-Effekt auslösen kann. Im Umkehrschluss würde die Vermutung naheliegen, dass die Verabreichung eines Medikaments ohne das Wissen des Patienten das Auftreten des Nocebo-Effekts verhindern könnte, ebenso wie eine unvollständige Aufklärung.

Abgesehen von ethischen Einwänden gegen dieses Vorgehen ist aber eine Medikamentengabe oder Behandlung ohne das Wissen des Patienten weniger wirksam: „Die geringere Wirksamkeit verdeckter Behandlungen ist einer der besten Belege für die entscheidende Rolle der Erwartung“ [Benedetti, 2013]. So konnten Studienergebnisse zeigen, dass bei einer Weisheitszahn-Extraktion die versteckte Gabe von Morphin ähnlich (geringe) Effekte hatte wie die Gabe eines Placebos [Levine et al., 1981]. Wie soll man aber als Zahnärztin oder Zahnarzt mit dem Nocebo-Effekt umgehen?

Hier ist eine einfühlsame Kommunikation gefragt, um die (negativen sowie positiven) Erwartungen der Patientinnen und Patienten zu steuern. Wie diese aussehen könnte, erklärt Prof. Dr. med. Ernil Hansen, Anästhesist und Hypnoseforscher, im Interview auf der folgenden Seite.

Literaturliste

  • Benedetti F. Placebo and the new physiology of the doctor-patient relationship. Physiol Rev. 2013 Jul;93(3):1207-46. doi: 10.1152/physrev.00043.2012. PMID: 23899563; PMCID: PMC3962549.

  • Levine JD, Gordon NC, Smith R, Fields HL. Analgesic responses to morphine and placebo in individuals with postoperative pain. Pain. 1981 Jun;10(3):379-389. doi: 10.1016/0304-3959(81)90099-3. PMID: 7279424.

Die Studie:
Watanabe T, Sieg M, Lunde SJ, Persson M, Taneja P, Baad-Hansen L, Pigg M, Vase L: Nocebo response in dentistry: A systematic review and meta-analysis of adverse events in analgesic trials of third molar removal. J Oral Rehabil. 2023 Apr;50(4):332-342. doi: 10.1111/joor.13414. Jan 24. PMID: 36648379.

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