Aus der Wissenschaft

Initiale Schmerztherapie bei CMD – drei Therapien im Vergleich

Florian Beuer
Die Mundakupunktur nach Dr. Jochen Gleditsch ist etwas in Vergessenheit geraten, obwohl sie ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von Craniomandibulären Dysfunktionen durchaus in klinischen Untersuchungen bewiesen hat. Da die Behandlung von CMD und vor allem der initialen Schmerzen nach wie vor eine große Herausforderung in der täglichen Praxis ist, stellt sich die Frage nach geeigneten Therapien – eine Studie verglich jetzt drei nichtmedikamentöse Therapien.

Craniomandibuläre Dysfunktionen sind eine komplexe Erkrankung, die durch Schmerzen und mechanische Limitationen die Lebensqualität der betroffenen Personen deutlich beeinträchtigen kann. Unbehandelt können lange anhaltende Schmerzen und Funktionseinschränkungen chronifizieren und eine mögliche depressive Erkrankung verschlimmern. Es kommt also der initialen Schmerztherapie eine Schlüsselposition in der Therapie der CMD zu. Auf der einen Seite, um den erkrankten Patienten Erleichterung zu verschaffen und auf der anderen Seite, um eine sichere klinische Diagnostik zu ermöglichen. Es gibt verschiedene nichtpharmazeutische Ansätze, die sich auf den Körper (manuelle Physiotherapie oder Übungen), den Geist (Psychotherapie oder Selbsthilfegruppen) oder beides (Akupunktur oder Meditation) konzentrieren. Das übergreifende Ziel ist die Entspannung der Muskulatur, Verbesserung der lokalen Durchblutung und Analgesie, um dadurch den Stress und die Spannung in den mastikatorischen Strukturen zu reduzieren. Neben der klassischen Physiotherapie werden spezielle Schienen beziehungsweise Aufbisskissen angeboten und auch die Mundakupunktur scheint für diese Indikation erfolgversprechend zu sein. Bleibt die Frage, ob eine Methode hier den anderen überlegen ist.

Untersuchungsaufbau (Material und Methode)

Die Arbeitsgruppe um Irmgard Simma-Kletschka und Kolleginnen und Kollegen der Universität Wien untersuchte in drei Pilotstudien die Wirksamkeit einer flüssigkeitsgefüllten Relaxationsschiene (Aqualizer, Jumar Corporation, Bainbridge Island, WA, USA), von Physiotherapie und der oralen Akupunktur nach der „Very-Point“-Technik von Jochen Gleditsch. Pro Untersuchungsgruppe wurden jeweils zehn Patienten mit myofaszialen Beschwerden aufgenommen und separat ausgewertet - anschließend wurden die Methoden verglichen.  Eine bereits eingeleitete andere Therapie, Entzündungen und systemische Erkrankungen dienten als Ausschlusskriterien für die Studie. Die Diagnose der Myalgie wurde nach den Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (RDC/TMD) gestellt. Zur klinischen Untersuchung gehörte eine Schmerzbeurteilung anhand einer Visual-Analog-Skala. Dabei gaben die Teilnehmer der Studie sowohl ihre Schmerzen ohne Palpation, als auch bei Palpation durch kalibrierte Untersucher an. Zusätzlich wurde die Beweglichkeit des Kopfes entlang der drei Rotationsachsen beurteilt. Diese klinischen Untersuchungen wurde vor Therapiebeginn (T1), nach zwei Wochen (T2) und nach vier Wochen (T3) durchgeführt.

1. Therapie mit dem Aqualizer: Der Aqualizer ist eine flüssigkeitsgefüllte weiche Schiene, die durch ihre Bauweise den Druck gleichmäßig auf alle kautragenden Strukturen verteilt. Für diese Studie wurde ein Modell mit einer Dicke von circa 2 mm gewählt (Aqualizer ultra, medium volume, Jumar). Patienten wurden instruiert, die Flüssigkeitsschiene mindestens acht Stunden pro Tag zu tragen. Nach zwei Wochen wurden die Schienen entsprechend den Herstellerangaben aus hygienischen Gründen gegen neue ausgetauscht.

2. Physiotherapie: Die Patienten führten sowohl aktive als auch passive Übungen aus. Mindestens einmal am Tag mussten sämtliche Übungen gemacht werden, sonst führte dies zum Studienausschluss. Alle Übungen (15) wurden demonstriert, weiterhin unterstützten online erhältliche Bilder die Ausführung der Übungen.

3. Akupunktur: An den insgesamt drei Terminen (T1 bis T3) wurden für zehn Minuten anhand des Mikro-Akupunktur-Systems nach Gleditsch mit einer Einmalkanüle (Insulin Syringe 0,3 * 0,8 mm, BD Micro-Fine, Becton Dickinson GmbH, Heidelberg) intra- und extraorale Punkte stimuliert. Abweichend zu der von Gleditsch beschriebenen Technik wurde jedoch kein Lokalanästhetikum an den Punktionsstellen injiziert, sondern die Nadel lediglich für 5 s in situ belassen. Die Anzahl der akupunktierten Stellen variierte zwischen den Patienten.

Ergebnisse

Aufgrund der geringen Patientenzahl beträgt die statistische Power der Studie nur 79 Prozent (normalerweise wählt man Patientenzahlen höher, um eine Power zwischen 80 bis 95 Prozent zu erreichen). Sowohl in der Schienengruppe als auch bei Physiotherapie verbesserten sich alle gemessenen Parameter (Muskelschmerzen, intraorale Schmerzen, subjektive Schmerzen und Kopfmobilität) signifikant über die Therapiedauer, nur die Mundöffnung veränderte sich nicht. Die Akupunktur führte zu signifikanten Verbesserungen bei den Muskelschmerzen und der Kopfbeweglichkeit. Die anderen Parameter änderten sich hier nicht. Bei einigen Patienten kam es zu keiner Verbesserung beziehungsweise Verschlechterung der Symptome, die hauptsächlich die Mundöffnung betrafen (zwei Patienten der Schienengruppe, zwei Patienten der Physiotherapiegruppe und ein Akupunkturpatient).

Diskussion

Die Behandlung der ersten Symptome einer CMD stellt uns vor große Herausforderungen in der Schmerzbehandlung unserer Patienten. Daher ist eine effektive Erstbehandlung auch in der nicht spezialisierten Praxis wichtig. Alle drei vorgestellten Therapieoptionen sind mehr oder weniger effizient in dieser Phase der Behandlung. Vor allem die Schienentherapie mit dem Aqualizer scheint sich besonders zu eignen, sie ist auf der einen Seite effektiv in der Verbesserung der Symptome, leicht verfügbar (konfektioniert in verschiedenen Größen und Stärken sofort erhältlich, ohne zahntechnisches Labor) und einfach für den Patienten anzuwenden.

Die physiotherapeutischen Übungen erwiesen sich in der Untersuchung als ähnlich gut geeignet, fordern dem Patienten allerdings eine deutlich höhere Disziplin und Compliance ab. In der initialen Phase haben diese einen hohen Leidensdruck und arbeiten daher wahrscheinlich adäquat mit. Ob alle Übungen immer korrekt und wie gewünscht ausgeführt wurden, kann allerdings nicht überprüft werden und ist daher schwierig zu beurteilen. Aus Perspektive des Patienten sind 15 Übungen sowohl zeitlich als auch koordinatorisch anspruchsvoll und somit nicht für jeden geeignet.

Die Akupunktur zeigte in der Untersuchung die geringste Verbesserung der Symptome, allerdings wurde sie aus regulatorischen Gründen (Ethikkommission der Universität) nicht wie vom Beschreiber durchgeführt. Ob dies zu einem besseren Ergebnis geführt hätte, darüber kann nur spekuliert werden. Diese Art der Therapie erfordert jedoch von der Behandlerin oder dem Behandler eine spezielle Ausbildung auf diesem Gebiet. Die größte Einschränkung der Ergebnisse sind die sehr geringen Patientenzahlen bei einem komplexen Krankheitsbild, daher dürfen sie nicht überinterpretiert werden. Allerdings zeigen sie eindrucksvoll, dass auch die nichtmedikamentöse Therapie bei der Behandlung der Symptome der CMD sehr erfolgreich sein kann. Eine Kombinationstherapie aus zwei oder mehr der vorgestellten Optionen könnte durchaus noch vielversprechender sein.

Was bedeuten die Ergebnisse für die tägliche Praxis?

Es lassen sich folgende Schlussfolgerungen für die klinische Praxis treffen:

  • Die vorgestellten nichtmedikamentösen Therapien verbesserten die subjektiv empfundenen Schmerzen, die Palpationsschmerzen extra- und intraoral sowie die Kopfbeweglichkeit.

  • Schienentherapie mit dem Aqualizer und Physiotherapie verbesserten mehr erhobene Parameter als die Very-Point-Akupunktur.

  • Die Mundöffnung wurde durch keine Therapieoption signifikant erhöht.

Die Studie: 
Simma-Kletschka I, Artacker N, Balla M, Oellerer N, Piehslinger E, Fornai C: Initial therapeutic approaches for orofacial myofascial pain: three pilot studies. Cranio. 2023 Apr 13:1-13. doi: 10.1080/08869634.2023.2198397.

Florian Beuer

Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer

Direktor der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Funktionslehre und Alterszahnmedizin, Centrum für Zahn-,
Mund- und Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin
florian.beuer@charite.de

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