Von guter Zugänglichkeit profitieren alle
Barrierefreiheit im Internet bedeutet, dass ein Web-Produkt von möglichst vielen Menschen – auch jenen mit körperlichen oder geistigen, dauerhaften oder vorübergehenden Einschränkungen – auf möglichst vielen Geräten genutzt werden kann. Dazu folgendes Beispiel: Eine Patientin mit einer Sehbehinderung versucht, online einen Termin zu buchen. Allerdings ist die Website nicht barrierefrei gestaltet. Der Kontrast zwischen Text und Hintergrund fällt zu gering aus – eine Barriere, die vier von fünf Websites aufweisen. Im Ergebnis kann die Patientin weder einen Termin buchen noch andere Informationen der Website nutzen. Für sie ist das frustrierend und diskriminierend, für die Praxis verursacht dies zusätzliche und unnötige Arbeit. Denn, statt den Termin selbst zu organisieren, ruft die Patientin an und bindet so die Arbeitszeit des Praxisteams.
Von einem gut eingestellten Kontrast profitieren jedoch nicht nur Menschen mit einer Sehbehinderung. Er ist auch von Vorteil für Nutzerinnen und Nutzer, die die Website der Praxis bei hellem Sonnenlicht auf einem Smartphone anschauen. Dass Barrierefreiheit im Web allen dient, zeigt sich auch am Beispiel von Untertiteln in Audio- oder Videodateien. Sie ermöglichen zum einen Gehörlosen den Zugang zu den Inhalten, darüber hinaus aber auch allen, die in einer stillen oder lauten Umgebung arbeiten. Hilfreich sind sie überdies für Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder die das geschriebene Wort besser verstehen als das gehörte.
Einschränkungen sind vielfältig – und weit verbreitet
Als ersten Schritt in Richtung Barrierefreiheit sollten sich Zahnärztinnen und Zahnärzte zunächst die Bandbreite der möglichen Einschränkungen vor Augen führen:
Sehbehinderungen reichen von leichtem bis vollständigem Sehverlust auf einem oder beiden Augen über Farbenfehlsichtigkeit als Symptom verschiedener Behinderungen bis hin zu Sehstörungen wie einem Tunnelblick.
Zu Hörbehinderungen zählen leichter bis vollständiger Hörverlust auf einem oder beiden Ohren sowie Hörstörungen, bei denen die Betroffenen einige Töne hören können, andere jedoch nicht.
Körperliche Behinderungen werden manchmal als „motorische Behinderungen“ bezeichnet. Sie umfassen Schwäche und Einschränkung der Muskelkontrolle, Gelenkerkrankungen (zum Beispiel Arthritis), körperliche Schmerzen, Lähmungen und das Fehlen von Gliedmaßen.
Kognitive, lernbedingte und neurologische Behinderungen können Auswirkungen auf das Hören, die Motorik, das Sehen, das Sprechen und das Verstehen von Informationen haben. Sie beeinträchtigen aber nicht unbedingt die Intelligenz einer Person.
Aktuell leben in Deutschland fast 20 Millionen Menschen über 65 Jahre, die von physiologischen und kognitiven Veränderungen wie Demenz betroffen sind. Mehr als doppelt so viele tragen aufgrund von Sehschwächen eine Brille, jeder siebte Erwachsene ist schwerhörig. Einige Einschränkungen sind sichtbar, andere – insbesondere mentale Veränderungen oder psychische Erkrankungen – sind unsichtbar. Zur Veranschaulichung: In Deutschland sind jedes Jahr etwa 27,8 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Jeder einzelne dieser Faktoren kann die Aufnahme von Informationen aus dem Internet erschweren.
Um die eigene Website auf Barrierefreiheit zu testen und Schwachstellen zu identifizieren, können Zahnärztinnen und Zahnärzte im nächsten Schritt unterschiedliche Tools einsetzen (Abb. 1). „WAVE“ (wave.webaim.org) beispielsweise bietet eine Untersuchung auf die wichtigsten Punkte der Barrierefreiheit hin an. Mit einem sogenannten „Color Contrast Checker“ lässt sich der Kontrast überprüfen. „WhoCanUse“ (whocanuse.com) zeigt die Auswirkungen von Farbkontrasten auf Menschen mit unterschiedlichen Sehbehinderungen und der „A11Y – Color blindness empathy test“ (vinceumo.github.io/A11Y-Color-Blindness-Empathy-Test) hilft, verschiedene Formen von Farbblindheit und visueller Unschärfe (besser) zu verstehen.
Wechseln Sie die Perspektive
Diese Videos veranschaulichen die Vorteile eines barrierefreien Webdesigns und helfen dabei, die Perspektive von Menschen mit Einschränkungen einzunehmen:
In welchen Situationen und wie profitieren Nutzerinnen und Nutzer von barrierefreien Online-Angeboten: www.w3.org/WAI/perspective-videos
Wie nutzen Menschen mit Einschränkungen unterschiedliche Technologien? Die Videos auf dieser Seite geben einen Einblick: www.axesslab.com/tech-youtubers
Es gibt zur Barrierefreiheit von Websites einige gesetzliche Anforderungen und Konventionen. Der internationale Standard für digitale Barrierefreiheit sind die „Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.2“. Sie wurden vom „World Wide Web Consortium“ (W3C) entwickelt und geben zahlreiche Empfehlungen, um Webinhalte für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu gestalten. (Eine inoffizielle deutsche Übersetzung, die sich auf eine frühere Version der WCAG bezieht, findet sich auf outline-rocks.github.io/wcag/translations/WCAG21-de.)
So beseitigen Sie Barrieren auf Ihrer Website
Diese Maßnahmen machen Websites zugänglich für unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer:
Alternativtexte (kurz: Alt-Texte): Sie beschreiben ein Bild oder eine Grafik und werden anstelle des Bildes angezeigt. Setzen sehbehinderte Menschen Screenreader oder andere assistierende Technologien ein, die ihnen die Website-Inhalte auf eine ihnen verständliche Art ausspielen, stellt der Alt-Text (Abb. 2) sicher, dass sie auf alle Informationen in den Bildern zugreifen können. Zum Beispiel können die Infos softwareunterstützt vorgelesen werden. Alt-Texte sind auch hilfreich, wenn eine Website aufgrund einer schwachen Internetverbindung nicht richtig geladen wird.
Tastaturbedienung: Für viele Menschen mit Behinderungen (wie Handzittern oder nachlassende Feinmotorik) ist die Tastatur und nicht die Maus das wichtigste Eingabegerät. Daher ist es wichtig, dass sich Websites vollständig mit der Tastatur bedienen lassen. Mit dem Cursor können Patientinnen und Patienten beispielsweise effizient navigieren, Schaltflächen aktivieren und Formularfelder ausfüllen.
Semantisches HTML: Die Semantik beschäftigt sich mit den Bedeutungen sprachlicher Zeichen und Zeichenfolgen. Mithilfe von semantischem HTML lässt sich der Inhalt einer Seite strukturieren und seine Zugänglichkeit sicherstellen. Jedes HTML-Element beschreibt die Art des Inhalts, den es darstellt. Das <h1>-Element enthält eine Überschrift der ersten Ebene, ein <p>-Element einen Textabsatz, das <ul>-Element eine ungeordnete Liste mit <li>-Elementen und so weiter. Ein semantisch korrekter HTML-Code stellt sicher, dass moderne Browser und unterstützende Technologien Inhalte richtig kommunizieren und damit korrekt erfasst werden können. Zum Beispiel liest ein Screenreader den Text aus und sehbehinderten Menschen vor. Die korrekte Auszeichnung ist wichtig, da auch die „blindesten“ Website-Besucher überhaupt – die Suchmaschinen – den Code auslesen, seine Bedeutung erfassen und das Ranking beeinflussen.
Seitentitel: Sie identifizieren Webseiten im Browser ähnlich wie Buchtitel in einer Bibliothek. Ohne einen beschreibenden Seitentitel wissen Nutzerinnen und Nutzer nicht, welche Seite in einem Tab geöffnet ist und worum es darin geht – es sei denn, sie navigieren direkt zu dieser Seite und durchsuchen ihren Inhalt. Seitentitel werden im sogenannten Head-Bereich des HTML-Codes einer Webseite definiert und sind eines der wichtigsten Elemente der Suchmaschinenoptimierung. Wenn ein Seitentitel fehlt oder nicht präzise formuliert ist, hat das zur Folge, dass Nutzerinnen und Nutzer ihren aktuellen Standort und den Hauptzweck der Webseite nicht identifizieren können.
Festlegen der Sprache: Unterstützende Technologien wie Screenreader oder andere Text-To-Speech(TTS)-Software müssen die Sprache der Seite kennen, um den Inhalt in natürlicher Sprache ausgeben zu können. So wird er von den Benutzern verstanden. Die Sprache wird im sogenannten Head-Bereich des HTML-Codes einer Webseite definiert und ist auch für Suchmaschinen oder automatische Übersetzungsdienste wichtig.
Beschreibende Link-Texte: Sie zeigen den Zweck eines Hyperlinks an, ohne dass ausschließlich visuelle Hinweise vorhanden sind. Dies ist besonders wichtig für Personen, die auf unterstützende Technologien wie Screenreader oder die Tastaturnavigation angewiesen sind. Screenreader können Hyperlinks nur anhand ihrer Aktivierbarkeit und des zugehörigen Textes erkennen. Hyperlinks mit Texten wie „mehr erfahren“ oder „hier“ sind nicht beschreibend und die Benutzerinnen und Benutzer verstehen möglicherweise nicht, wohin sie der Link führt und was ihn auf der verlinkten Webseite zu erwarten hat. Das erschwert die Navigation auf der Website. Deshalb ist es wichtig, aussagekräftige und beschreibende Link-Texte zu schreiben.
Untertitel und Transkripte bei Video- und Audiodateien: Sie machen Video- und Audioinhalte zugänglich, indem sie eine Textalternative zum Ton bieten. Untertitel zeigen das gesprochene Wort auf dem Bildschirm an, während Transkripte eine schriftliche Aufzeichnung des Gesagten liefern. Beides hilft gehörlosen oder schwerhörigen Menschen, den Ton in Videos und Audiomitschnitten zu verstehen.
Kontrast: Ist er zu gering, haben Benutzer mit Sehbehinderungen Schwierigkeiten, die Informationen auf Ihrer Website zu lesen oder wahrzunehmen. Daher ist ein hoher Kontrast wichtig. Designelemente wie Farben, Layout und Typografie einer Website werden in einer separaten Datei festgelegt, mit deren Hilfe sich das optische Erscheinungsbild einer Website bestimmen lässt.
Das Thema Barrierefreiheit sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte schon in der Konzeptionsphase ihrer Praxiswebsite mitdenken. Arbeiten sie dafür mit einem Dienstleister zusammen, empfiehlt es sich, nach Kompetenzen im Designen barrierefreier Websites zu fragen und sich bereits umgesetzte Beispiele nennen zu lassen. Auch diese Websites kann man mithilfe von Tools wie WAVE prüfen und sich dann für einen Anbieter entscheiden.