Interview mit PD Dr. Aarabi zur Mundgesundheits-App MuMi+

„Wir wollen präventives Verhalten etablieren“

nl
Studien zufolge pflegen Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte ihre Zähne oft schlechter als ihre Altersgenossen aus anderen Bevölkerungsgruppen und haben daher ein höheres Risiko, Karies zu entwickeln. Eine App soll helfen, die Mundgesundheitskompetenz zu fördern und Karies gar nicht erst entstehen zu lassen. Dafür wird die bestehende MuMi-App um die neuen Module „Kinder und Jugendliche“ und „Mundgesundheit rund um die Geburt“ erweitert (MuMi+).

Frau Dr. Aarabi, was ist das „MuMi+ Projekt“ und wie ist die Idee für das Projekt entstanden?

PD Dr. Ghazal Aarabi: Das „MuMi+ Projekt“ (Gesunde Zähne für Alle: Förderung der Mundgesundheitskompetenz von Klein bis Groß) ist ein Kooperationsprojekt der Poliklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltung, des Instituts für Medizinische Soziologie und des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Es ist die Nachfolge des abgeschlossenen MuMi-Projekts („Förderung der Mundgesundheitskompetenz und Mundgesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund“) und wird von Mai 2025 bis April 2028 durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert.

Rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Um das Bewusstsein für ein gutes Mundgesundheitsverhalten zu verbessern, haben wir in dem Vorgängerprojekt eine Smartphone-App zur Verbesserung der Mundgesundheitskompetenz bei erwachsenen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte entwickelt und erprobt. Die Evaluationsergebnisse zeigten bei den Nutzer:innen dieser „MuMi-App“ im Vergleich mit den Nicht-Nutzer:innen signifikante Verbesserungen in der Mundgesundheitskompetenz und der Mundgesundheit selbst. Insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte und niedrigem sozioökonomischem Status (SES) haben hier profitiert.

Bei Kindern und Jugendlichen aus Familien mit einem niedrigen SES und mit Migrationsgeschichte beobachten wir ein unzureichendes Mundpflegeverhalten und eine höhere Kariesprävalenz. Aktuelle Untersuchungen weisen außerdem auf eine häufigere Karies im Milchzahngebiss hin (ECC). Die frühkindliche Karies wird in ihren Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Zähne und des Mundes häufig unterschätzt. Zur Verhinderung frühkindlicher Karies ist somit die Einbeziehung und Aufklärung werdender Eltern essenziell. Auch werdende Mütter haben zusätzliche schwangerschaftsbedingte Risiken für ihre Mundgesundheit. Vielseitige Veränderungen während der Schwangerschaft können zum Beispiel das Risiko für eine Schwangerschaftsgingivitis erhöhen.

Vor diesen Hintergründen wollten wir im Rahmen des MuMi+ Projekts die App für weitere Alters- und Zielgruppen ausdehnen. Die MuMi+ App beinhaltet die beiden neuen Module „Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen“ (Modul 1) und „Mundgesundheit rund um die Geburt“ (Modul 2).

In Kooperation mit dem Schulzahnärztlichen Dienst des Öffentlichen Gesundheitsdienstes aus dem Bezirk Hamburg-Mitte und mit niedergelassenen Hamburger Zahnarztpraxen sowie Hamburger Gynäkolog:innen und Hebammen soll in einer randomisiert kontrollierten Studie der Effekt der App zur Steigerung der Mundgesundheitskompetenz untersucht werden. Dabei untersuchen wir Akzeptanz, Nutzung und Wirkung der App in verschiedenen Szenarien: Schule, Praxen, Hebammenversorgung.

Welche kurzfristigen und welche langfristigen Ziele verfolgen Sie mit MuMi+? Wie kann die App Nutzern helfen, ihre Mundgesundheit zu verbessern?

Daten zur Mundgesundheit und Mundgesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte sowie insbesondere von Schwangeren mit Migrationsgeschichte sind insgesamt kaum vorhanden. Das MuMi+ Projekt verfolgt als kurzfristiges Ziel, eine bessere Datenlage und eine genauere Einschätzung der Risikofaktoren für eine schlechte Mundgesundheit zu schaffen, um daraus zielgenauere präventive Strategien und Maßnahmen zu entwickeln.

Das langfristige Ziel des MuMi+ Projekts ist eine wissenschaftlich fundierte Schulungs-App „Für Alle“ – vom Mutterleib bis ins hohe Alter. Im Rahmen des Projekts wird nicht nur bei den Teilnehmenden, sondern auch bei den beteiligten gesundheitlichen Fachkräften das Bewusstsein für individuelle und sozial- wie kulturgeprägte Bedarfe, Verhaltensweisen und Risikofaktoren angehoben. Durch Sensibilisierung und Wissensvermittlung können für Mundhygiene schlechte Verhaltensmuster erkannt und präventives Verhalten etabliert werden. Ein weiteres Ziel besteht in der Selbstwirksamkeitserfahrung, das heißt mit dem eigenen Verhalten die persönliche gesundheitliche Situation verbessern zu können.

Sie haben 1,4 Millionen Euro Förderung für die Entwicklung der beiden neuen Module erhalten. Könnten Sie deren Aufbau und die Inhalte etwas näher beschreiben?

Die MuMi+ App soll wie die Vorgänger-App nach Themengebieten und verschiedenen Säulen strukturiert sein. Im Mittelpunkt steht die Prävention (Verhaltensweisen, Mundhygiene, Ernährung). Darüber hinaus sind aber auch Risikofaktoren, Anatomie, das deutsche Gesundheitssystem und weitere Themen relevant. Für die Entwicklung von Modul 1 sollen möglichst viele Bildmaterialien und Piktogramme mit möglichst wenig Text, aber mit vielen Gambling-Komponenten eingesetzt werden, um die Attraktivität der App für Kinder zu steigern. Im Rahmen einer Fokusgruppe mit einer Hamburger Schulklasse und Gesprächen mit IT-Expert:innen konnten folgende Funktionen als wichtige Bestandteile der App eruiert werden: Gamification, Multiplayer-Elemente, Entertainment in der Form von Videos, Belohnungssysteme, die Möglichkeit der Charaktergestaltung. Die Entwicklung der App wird während der gesamten Zeit durch einen pädagogischen Experten begleitet.

Bei Modul 2 spielt nicht nur die eigene Mundgesundheit der werdenden Mutter eine Rolle, sondern auch die Mundgesundheit von Kleinkindern. Der kultursensiblen Umsetzung der App-Inhalte kommt insgesamt ein hoher Stellenwert zu. Mit der frühzeitigen Erkennung von schlechten Verhaltensmustern der Mundhygiene und einer Etablierung eines präventionsorientierten Inanspruchnahmemusters könnte sich zukünftig eine günstigere gesundheitsökonomische Kosten-Nutzen-Relation ergeben. Insbesondere für Menschen mit Zugangsschwierigkeiten zur zahnärztlichen Versorgung aufgrund von sprachlichen Barrieren oder kulturspezifischen Aspekten kann die MuMi+ App ein barriere- und kostenfreies Tool darstellen und somit zur Verbesserung der Versorgung beitragen.

Gibt es bereits Feedback zur App von Nutzerinnen und Nutzern oder aus der Zahnärzteschaft?

Die Rückmeldungen zu den Ergebnissen und zum Projekt sind äußerst positiv und zeigen, dass enormer Bedarf für die Förderung der Mundgesundheit dieser Zielgruppen gesehen wird. Wir erhalten Anfragen zur Nutzung der MuMi-App von niedergelassenen Kolleg:innen aus ganz Deutschland. Auch ich gebe meinen Patient:innen die App gern an die Hand. Ebenso zeigen Gesundheitsämter, Schulgesundheitsfachkräfte, Sozialbehörden und Personen, die explizit mit Flüchtlingen zusammenarbeiten, Interesse. Auch von außerhalb Deutschlands erreichen uns immer wieder Anfragen zur Nutzung der App und der Fragebögen, die im Projekt entwickelt wurden. Das Thema und unsere Projekterfahrungen sind zudem auf nationalen und internationalen Kongressen sehr gefragt. Auch von unseren App-Nutzer:innen selbst konnten wir im Rahmen der Evaluation der Studie Feedback einholen, was nun in die Entwicklung der MuMi+ App einfließen kann.

Das Gespräch führte Dr. Nikola Lippe.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.

test