Aus der Wissenschaft

Die Entwicklung des oralen Mikrobioms in den ersten 60 Lebensmonaten

Elmar Hellwig
Die bakterielle Zusammensetzung des oralen Mikrobioms von erwachsenen Menschen hat sich überwiegend als sehr stabil gegenüber äußeren Einflüssen erwiesen. Nachhaltige Veränderungen treten erst ein, wenn sich endogene Faktoren wie beispielsweise Erkrankungen, Stoffwechsel oder Umweltbedingungen wie die Art der Mundhygiene oder die Ernährung ändern. Vergleichsweise wenig untersucht ist bislang das frühkindliche orale Mikrobiom, dessen Zusammensetzung sich in der ersten Lebensphase dynamisch entwickelt. Eine japanische Arbeitsgruppe hat jetzt die Entwicklung in den ersten 60 Monaten mit einer Längsschnittstudie untersucht.

Zahlreiche Studien beschäftigten sich mit der Bedeutung oraler Mikroorganismen für das Auftreten und Fortschreiten von oralen Erkrankungen – wie zum Beispiel Karies und Parodontitis – sowie deren Auswirkungen auf die systemische Gesundheit. Es wird angenommen, dass die frühe mikrobielle Keimbesiedelung entscheidend zur Etablierung und Reifung des oralen Mikrobioms beiträgt. Während und nach der Geburt ist die Mundhöhle der Neugeborenen verschiedenen Mikroorganismen ausgesetzt, wobei mit dem Wachstum der Neugeborenen die orale Flora primär durch Ernährungsumstellung und während des Zahndurchbruchs beeinflusst wird. Allerdings gibt es bisher kaum Studien zur Zusammensetzung des Mikrobioms im Alter zwischen sechs und 36 Monaten. Genau in diesem Zeitraum wird die Ernährung auf feste Kost umgestellt und die Milchzähne brechen durch.

Das menschliche orale Mikrobiom umfasst zahlreiche Bakterienarten, wobei die dominierenden Arten normalerweise bei den meisten Menschen zu finden sind. Das Verständnis des Besiedelungszeitraums dieser wichtigsten Bakterienarten ist entscheidend, denn es gibt Hinweise darauf, dass Unterschiede im Anteil dieser Hauptbakterien mit dem Fehlen von Karies und Gingivitis einhergehen. Die vorliegende Studie zielte darauf ab, den zeitlichen Ablauf der oralen mikrobiellen Besiedelung bei Kindern zu bestimmen und zu zeigen, ab welchem Zeitpunkt die Zusammensetzung des oralen Mikrobioms dem von Erwachsenen ähnelt.

Methodik

In die Studie wurden 54 Kinder eingeschlossen (27 Jungen, 27 Mädchen), die zwischen Juni 2015 und Januar 2017 geboren waren. Von den Kindern wurden Speichelproben zu 13 verschiedenen Zeitpunkten gesammelt: 1 Woche, 1 Monat, 3, 6, 9, 12, 18, 24, 30, 36, 42, 48, und 60 Monate nach der Geburt. Zudem mussten Kinder im Alter von 60 Monaten mit sterilem Wasser (3 ml für zehn Sekunden) kräftig spülen. Das Wasser wurde anschließend analysiert. Zusätzlich mussten die Eltern mit Wasser spülen, als ihre Kinder 18 beziehungsweise 36 Monate alt waren, auch diese Proben wurden auf Bakterien untersucht.

Die Eltern füllten zudem einen umfassenden Fragebogen über Ernährung und Mundgesundheit aus. Der Fragebogen beinhaltete auch das Datum der Einführung von Babynahrung beziehungsweise der Verwendung von Milchpulver bis zum sechsten Lebensmonat. Die Eltern mussten Angaben zur Anzahl der durchgebrochenen Zähne bei ihren Kindern bis zum vierten Lebensmonat machen. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Kinder, bei denen Zahnkaries diagnostiziert worden war, und die Anzahl der Eltern, die über subjektive Symptome und Zahnkaries berichteten, sowie die Anzahl der Probanden, die vor der Untersuchung Antibiotika nahmen, dokumentiert. Die detaillierte Beschreibung der Analysemethoden zur Identifikation der Bakterien (next generation sequencing) und die Datenanalyse können der Originalarbeit entnommen werden.

Ergebnisse

Nimmt man die üblicherweise bei mehr als 85 Prozent der Mütter und der Väter nachgewiesenen 110 taxonomischen Einheiten als repräsentative Hauptbestandteile der bakteriellen Besiedelung der Mundhöhle für Erwachsene an, so wurden diese bei 25 Prozent der Kinder, die eine Woche alt waren, bereits nachgewiesen. Nachfolgend stieg der Anteil dieser Bakterien auf 80 Prozent zwischen dem sechsten und dem 18. Monat an und erreichte nach 36 Monaten einen Wert von etwa 90 Prozent. Bei Babys, die eine Woche alt waren, konnten nur wenige Bakterienarten (Streptokokken, Rothia und Gemella) nachgewiesen werden, die auch später als sogenannte Hauptbesiedler zu finden waren. Im Alter zwischen sechs und 18 Monaten stiegen die Nachweisraten verschiedener Hauptbakterien, darunter Neisseria, Hämophilus und Fusobacterium an. Die Zusammensetzung des oralen Mikrobioms näherte sich also bei Kindern zwischen dem sechsten und dem 18. Monat dem von Erwachsenen an und war mit 36 Monaten mit dem von Erwachsenen vergleichbar.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die ersten 36 Lebensmonate (insbesondere in der Periode von sechs bis 18 Monaten), ein Zeitfenster für die Ausbildung des oralen Mikrobioms darstellen. Da das Mikrobiom der 36 Monate alten Kinder dem der Erwachsenen gleicht, kann die Entwicklung der mikrobiellen Zusammensetzung in dieser Zeit für die zukünftige Prävention von oralen Erkrankungen entscheidend sein. So ist bekannt, dass Neisserien das Risiko für die Entstehung einer Karies reduzieren können, während F. nucleatum eine wichtige Rolle bei der mikrobiellen Aggregation auf den Zähnen spielt und mit der Entstehung von Parodontalerkrankungen in Verbindung gebracht wird. Es ist daher sinnvoll, schon direkt ab dem Milchzahndurchbruch mit einer sorgfältigen Mundhygiene zu beginnen.

Diskussion

Auch wenn in der vorliegenden Studie herausgestellt wird, dass es eine Art grundlegendes orales Mikrobiom gibt, so gleicht dessen individuelle Zusammensetzung später dem Fingerabdruck jedes einzelnen Menschen. Denn im Laufe des Lebens wird dieses primäre Mikrobiom durch zahlreiche Einflussfaktoren, zum Beispiel Ernährungsumstellungen, Rauchen, Stress, Medikamenteneinnahme, geformt. Wenn es allerdings „gereift“ ist und sich den individuellen ökologischen Bedingungen der Mundhöhle angepasst hat, ist es sehr stabil. Dann haben neue Bakterien kaum noch eine Chance sich zu etablieren. Das erklärt auch, warum der Einfluss antimikrobieller Wirkstoffe auf die Zusammensetzung des oralen Mikrobioms gering ist. Eine ältere Studie konnte in diesem Zusammenhang zeigen, dass zusammenlebende Partner zwar Ähnlichkeiten bezüglich des oralen Mikrobioms aufweisen, dass aber selbst nach neunmaligem intensivem Küssen für zehn Sekunden die Keime des jeweiligen anderen nur transient im Mund zu finden waren [Kort et al., 2014].

Bakterien haben primär ein symbiotisches Verhältnis zu ihrem Wirt. Es gibt zwar bei den meisten Menschen einige mit Karies und Parodontitis assoziierte Keime, die aber erst krankheitsauslösend werden, wenn sie im dentalen Biofilm zunehmen und sich die lokalen Umweltbedingungen in der Mund­höhle ändern, das heißt dysbiotisch werden. Selbst nach Karies- und Parodontitistherapie bleibt das orale Mikro­biom dann dysbiotisch und damit das Risiko einer Neuerkrankung erhöht [Yama et al., 2023]. Letztlich lässt sich also das Mikrobiom und damit auch der dentale Biofilm nur durch Vermeidung der gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen (also ökologisch) – begleitet von einer zielgerichteten Mundhygiene – wieder in ein gesund­erhaltendes Gleichgewicht bringen.

Wer sich eingehend mit dem Thema „Orales Mikrobiom“ beschäftigen möchte, sei auf die Publikation von M. Kilian et al: The oral microbiome – An update for oral healthcare professionals“, British Dental Journal 221, 657-666, 2016 verwiesen.

Die Studie:
Yama K, Morishima S, Tsutsumi K, Jo R, Aita Y, Inokuchi T, Okuda T, Watai D, Ohara K, Maruyama M, Chikazawa T, Iwamoto T, Kakizawa Y, Oniki T.: Oral microbiota development in the first 60 months: A longitudinal study.  J Dent Res. 2024,103:1249-1257.

Literaturliste

  • Kort R, Caspers M, van de Graaf A, van Egmond W, Keijser B, Roeselers G.: Shaping the oral microbiota through intimate kissing. Microbiome 2014, 2:4.

  • Yama K, Nishimoto Y, Kumagai K, Jo R, Harada M, Maruyama Y, Aita Y, Fujii N, Inokuchi T, Kawamata R, Sako M, Ichiba Y, Tsutsumi K, Kimura M, Murakami S, Kakizawa Y, Kumagai T, Yamada T, Fukuda: Dysbiosis of oral microbiome persists after dental treatment-induced remission of periodontal disease and dental caries. mSystems 2023, 8.

Prof. Dr. Elmar Hellwig

Univ.-Prof. (a.D.) Dr. med. dent. Elmar Hellwig

Erzherzogstr. 8,
79102 Freiburg

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