Die orale Situation einer Crystal Meth-Patientin
Fallbeschreibung
Eine 26-jährige Frau wurde nach einem Fahrradunfall in Begleitung der Polizei in unsere interdisziplinäre Notfallaufnahme mit multiplen und ausgeprägten extra- und intraoralen Weichteilverletzungen sowie einer Alveolarfortsatzfraktur des Ober- und Unterkiefers eingeliefert.
Die Patientin war stark desorientiert und agitiert. Die Fremdanamnese war bis auf einen langjährigen Crystal Meth-Abusus unauffällig, der polizeilich bestätigt wurde. In der CT-Kopf/Hals-Untersuchung konnten intrazerebrale Verletzungen ausgeschlossen und der zusätzliche klinische Verdacht einer Nasenbeinfraktur bestätigt werden.
Die weitere klinische Inspektion ergab intraoral den Befund eines kariös tief zerstörten Restzahngebisses mit multiplen, teils gelockerten, nicht erhaltungswürdigen Zähnen.
Zunächst erfolgte in Lokalanästhesie nach gründlicher Reinigung der Wunden und einer Tetanusauffrischung die mehrschichtige plastische Rekonstruktion der extra- und intraoralen Weichteilverletzungen mit gleichzeitigem Beginn einer intravenösen (i.v.) Antibiotikagabe (Unacid
R
). Im Anschluss wurde die Patientin zur weiteren Überwachung auf die Intensivstation verlegt.
24 Stunden später konnte sei bei deutlich verbessertem Allgemeinzustand auf unsere periphere Station rückverlegt werden und verließ die Klinik ohne weitere therapeutische Maßnahmen gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat. Die weiteren engmaschigen Nachsorgetermine wurden von ihr zunächst nicht wahrgenommen.
Einige Tage später stellte sich die Patientin erneut in unserer Ambulanz mit einer ausgeprägten Wundheilungsstörung, einer beginnenden Superinfektion sowie einer beginnenden Weichgewebenekrose vor.
Nach erneuter stationärer Aufnahme und Wiederaufnahme der i.v. Antibiotikatherapie (Unacid
R
) erfolgte in Vollnarkose eine Wundrevision und Reposition der Nasenbeinfraktur. Zusätzlich erfolgte - mit Ausnahme der dentes caninii - die operative Entfernung der tief zerstörten und nicht erhaltungswürdigen Restbezahnung des Ober- und Unterkiefers in Kombination mit einer modellierenden Osteotomie sowie einem plastischen, speicheldichten Wundverschluss.
Basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen bei Patienten mit Crystal Meth-Abusus orientierten wir uns bezüglich des postoperativen Prozederes am Management von MR-ONJ-Risikopatienten: also Fortführung der i.v. Antibiose (Unacid
R
), weiche Kost und Prothesenkarenz. Die histopathologische Aufarbeitung der entnommenen Knochenproben zeigte Anteile von nekrotischem Knochen, obwohl weder in der klinischen Inspektion, noch in der Bildgebung (OPG und CT) Anzeichen für eine Knochennekrose zu finden waren.
Am siebten postoperativen Tag konnte die Patientin unter Fortführung der oralen Antibiose in die Nachsorge entlassen werden. Am 21. postoperativen Tag erfolgte bei stabilen Wundverhältnissen die intraorale Nahtentfernung. Im weiteren Verlauf steht nun die kaufunktionelle und prothetische Rehabilitation der Patientin an.
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Diskussion
Patienten mit langjährigem Crystal Meth-Abusus stellen für den behandelnden Zahnarzt, Oralchirurgen und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen eine besondere Herausforderung dar. Die konservierende und prothetische Versorgung wird durch die Meth-bedingten Nebenwirkungen, besonders durch die ausgeprägte Xerostomie bei vorangegangenem und fortschreitendem Konsum, mit dem Risiko weiterer kariöser Läsionen prognostisch deutlich erschwert.
Dies wird in aller Regel durch die sozialen Lebensumstände und die damit generell einhergehende eingeschränkte Mundhygiene und Compliance der betroffenen Patienten zusätzlich erschwert. In diesem Zusammenhang gilt die Aufgabe des Crystal Meth-Konsums als wichtigste therapeutische und prophylaktische Maßnahme [Wang et al. 2014].
Bezüglich der möglichen Entstehung von Knochennekrosen nach langjährigem Crystal Meth-Abusus gibt es bislang nur Hypothesen, die auf vereinzelten Case-Reports beruhen [Pabst und Werkmeister 2016]. Aus diesem Grund ist die Erforschung möglicher pathophysiologischer Mechanismen der Gegenstand aktueller und zukünftiger Forschung.
Hinsichtlich der Prävention und Therapie möglicher Methamphetamin-induzierter Osteonekrosen des Kiefers sind konservative (wie Mundspüllösungen, CHX) und chirurgische Optionen (Nekroseabtragung, modellierende Osteotomie und plastische Deckung) entsprechend dem Management der MR-ONJ denkbar.
Mit speziellem Hinblick auf die Methamphetamin-induzierte Osteonekrose des Kiefers ist allerdings bezüglich der „idealen“ Therapie noch keine abschließende Aussage möglich. Dies sollte in zukünftigen Studien weiter evaluiert werden [Ristow et al. 2015].
Zusammenfassung
Die auf Methamphetaminbasis synthetisierte Mode- und Designerdroge Crystal Meth gewinnt zunehmend an Popularität und hat neben ihrem extremen Abhängigkeitspotenzial eine Vielzahl an Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Herz-Kreislauferkrankungen, psychotische Attacken und eine schnell fortschreitende, irreversible Neurodegeneration.
Eine weitere Nebenwirkung ist der sogenannte Meth Mouth, der sich klinisch unter anderem durch eine Xerostomie sowie ausgeprägte kariöse Läsionen manifestiert. Zusätzlich gibt es erste Hinweise auf einen möglichen pathophysiologischen Zusammenhang zwischen einem langjährigen Konsum von Crystal Meth und der Entwicklung von oralen Knochennekrosen, die in ihrem klinischen Erscheinungsbild der Antiresorptiva- beziehungsweise der Medikamenten-assoziierten Osteonekrose der Kiefer (MR-ONJ) ähneln.
Fazit für die Praxis
Patienten mit Crystal Meth-Abusus und gegebenenfalls ausgeprägtem Meth Mouth stellen unter Umständen eine besondere konservierende und prothetische Herausforderung dar. Zahnentfernungen und dentoalveolär-chirurgische Eingriffe sollten sich bei anamnestischem Meth“-Konsum nach bisherigem Wissen am Vorgehen und Management von MR-ONJ Risikopatienten orientieren.
Dr. med. Dr. med. dent. Andreas PabstProf. Dr. Dr. Richard WerkmeisterJuan Carlos Castillo-Duque,Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische GesichtschirurgieBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzRübenacherstraße 170, 56072 Koblenzandipabst@me.com
Interessenskonflikte
Dieser klinische Fall wurde von Herrn Juan Carlos Castillo-Duque im Rahmen des 67. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 2017 in Köln-Bonn präsentiert.
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Literaturverzeichnis:
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