Interview mit Prof. Jörg Wiltfang

„Es ist ein bisschen wie bei der NASA“

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Zahnmedizin

In der MKG-Chirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) operiert man jetzt mit dem Robotersystem „Symani“ — Joystick statt Skalpell. Direktor Prof. Jörg Wiltfang über Optionen und Grenzen der neuen Assistenz und seinen „Geräteführerschein“.

Herr Prof. Wiltfang, Sie haben das Robotersystem nach Kiel geholt. Warum?

Prof. Jörg Wiltfang: Seit mehreren Jahrzehnten nutzen wir in der rekonstruktiven Chirurgie tagtäglich sogenannte Lappenplastiken, die wir mikrovaskulär reanastomosieren. Diese Maßnahme führen wir unter dem Mikroskop mit mikrochirurgischen Instrumenten und sehr feinem Nahtmaterial durch. Aber diese Verfahren haben eine natürliche Grenze, die je nach Talent, Erfahrung und Lebens­alter unterschiedlich ist. Und jeder noch so geschulte Chirurg hat natürlicherweise einen Tremor. Die Grenze ist individuell, aber es gibt diese natürliche Grenze, die wir bisher nicht überschreiten konnten.

Und das Robotersystem kann diese Grenze überwinden?

Ja. Der Mikrochirurgie-Roboter überträgt die Handgriffe des Chirurgen – bis zu 20-fach verkleinert. So kann ich sehr kleine Gefäße mit hoher Genauigkeit, tremorfrei reanastomosieren. Wir kommen sowohl bei Tumoroperationen als auch bei der Behandlung von Gesichtsverletzungen, beispielsweise nach Kriegseinsätzen, in Bereiche, die vorher kaum möglich waren.

Wie waren Ihre ersten Schritte mit dem Roboter im OP? Die Umstellung auf ein Assistenzsystem ist doch bestimmt nicht so einfach, oder?

Man kauft sich nicht einfach einen Roboter und fängt an, sondern man muss vorher ein Training absolvieren. In einem Mikrolabor musste ich zum Beispiel als erstes lernen, kleine Ringe auf eine Mikrostange zu legen. Anschließend, wenn man dies einigermaßen beherrscht, fängt man an, Kunstgefäße zu nähen – in unterschiedlichem Durchmesser. Man fängt bei zwei Millimetern an und verringert den Durchschnitt der Kunstgefäße schrittweise. Wenn man das erfolgreich wiederholt ausführen kann, bekommt man eine Art Geräteführerschein. Erst dann darf man mit dem Roboter am Patienten arbeiten.

Die Lernkurve ist für jemanden, der in der Mikrochirurgie arbeitet, aber tatsächlich sehr steil. Damit meine ich: Man benötigt kein mehrjähriges Training, sondern nach wenigen Wochen hat man sich die entsprechende Expertise angeeignet.

18 Patienten haben sie bislang mit dem neuen Assistenzsystem operiert [Anm. d. Red.: Stand 24. Februar 2023]. Was für Erfahrungen haben Sie gemacht?

Tatsächlich verliefen alle OPs bisher sehr positiv. Das heißt nicht, dass dies bei den nächsten 100 Operationen auch so sein wird. Eine Thrombose – die Bildung von Blutgerinnseln – ist die Hauptkomplikation in der Mikro­chirurgie.

Der Roboter operiert den Patienten, der Chirurg sitzt in einiger Distanz daneben. Wie fühlt sich das „neue“ Operieren für Sie an?

Es gibt natürlich einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, der oder die am Patienten tätig ist, genau dort, wo der Roboter tätig ist. Dieser Mitarbeiter oder diese Mitarbeiterin assistiert, sie oder er übernimmt zum Beispiel das Abschneiden der Fäden. Der Chirurg selbst ist tatsächlich etwas entfernt vom Operationstisch. Aber dies ist eher von Vorteil. Ich habe zum Beispiel eine deutlich bessere Haltung. Und über das Mikroskop habe ich auch nicht so einen guten Überblick, sondern nur ein eher kleines Sichtfeld, anders als über dem Exoskop. Und mit der 3-D-Brille bekommt man eine sehr gute Visualisierung. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man bei der NASA arbeiten (lacht).

Wo hat das Robotersystem seine Grenzen?

Ich denke, im Halben-Millimeter-Bereich gibt es noch eine Grenze. Im Moment nutzen wir den mikrochirurgischen Roboter lediglich, um Verfahren durchzuführen, die wir schon seit Jahrzehnten ohne Assistenzsystem durchführen. Unser Ziel ist aber, dass man letztlich Lappenplastiken generiert, die noch kleinere Gefäße aufweisen. Gut anwendbar wäre das robotische System zum Beispiel bei zarten Säuglingen, die aufgrund einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte operiert werden müssen.

Lassen Sie uns zum Schluss einen Blick in die Zukunft werfen. Wie wird sich die Zahnmedizin durch KI und Assistenz­systeme wohl verändern?

Die Grundprinzipien werden sich nicht verändern. Die Wundheilung zum Beispiel werden wir nicht vereinfachen oder besser machen können, da braucht der Körper einfach seine Zeit. Aber ich denke, wir werden weitere Unterstützung durch Assistenzsysteme bekommen. Ich vergleiche diese Assistenzsysteme immer gerne mit einem Navigationsgerät im Auto. Sie hatten früher lediglich eine Landkarte im Auto und natürlich sind Sie damit auch an den Ort ihrer Wünsche gekommen. Aber mit einem Navigationssystem gelingt es Ihnen, sicherer dorthin zu kommen, das heißt mit einer höheren Genauigkeit, vielleicht sogar schneller.

Und diese Assistenzsysteme sind ja auch keine Neuheit in der Zahnmedizin oder der MKG. Es gibt eigentlich kaum noch einen Eingriff, der nicht digital geplant ist. Jetzt geht es halt noch einen Schritt weiter, indem die digitale Planung mit einer augmentativen Maßnahme sicher umgesetzt wird. Der geniale Operateur kann es vielleicht auch ohne, aber ein Assistenzsystem ist einfach genauer. Das kostet natürlich alles auch eine Menge Geld – der mikrochirurgische Roboter kostet etwa 1 Million Euro  – aber je häufiger dieses System eingesetzt wird, desto eher lohnt sich die Anschaffung.

Das Interview führte Navina Bengs.

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