Listerine Cool Mint krebserregend?

Es ist nicht alles Gold, was als „Studie“ glänzt

nl
Zahnmedizin
In einer Studie wird vor regelmäßiger Verwendung von Listerine Cool Mint gewarnt, weil die Mundspülung wegen Mikrobiomveränderungen angeblich krebserregend sein könnte. Die Behauptung ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Forschende aus Belgien warnen vor Listerine Cool Mint, weil der regelmäßige Gebrauch der alkoholhaltigen Mundspüllösung das Mikrobiom so verändern soll, dass Bakterien, die mit verschiedenen Krebserkrankungen in Verbindung gebracht wurden, vermehrt auftreten. Wie zu erwarten war, gehen solche pointierten Aussagen in Publikumsmedien schnell viral. Wer die Studie genauer liest, kommt jedoch schnell zu dem Schluss, dass die Behauptung weder vom Studiendesign noch von den erhobenen Daten gedeckt ist. Mehr noch: Die Methodik und die erschreckend eindimensionalen Schlussfolgerungen werden von Wissenschaftlern heftig kritisiert.

Das im Journal of Medical Microbiology veröffentlichte Paper ist Teil einer größeren Studie, in der die Verwendung von Mundspüllösungen als Methode zur Verringerung der Übertragung von sexuell übertragbarer Infektionen (STIs) bei Männern, die Sex mit Männern haben, untersucht wurde. Der Pharynx gilt den Studienautoren zufolge als „wichtiges Reservoir für die Infektion und Übertragung bestimmter STIs“ – insbesondere Neisseria gonorrhoeae besiedele häufig den Oropharynx und spreche an dieser anatomischen Stelle weniger gut auf Antibiotika an, heißt es in der Studie [Laumen et al., 2024].

Untersucht wurde auch, ob die verwendete Mundspülung Auswirkungen auf das orale Mikrobiom der Patienten hat. Insgesamt wurden für die Teilstudie 64 Männer rekrutiert, die Sex mit Männern haben, eine HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) einnehmen und in den letzten zwei Jahren eine symptomatische oder asymptomatische sexuell übertragbare Infektion (Chlamydia trachomatis/Neisseria gonorrhoeae/Syphilis) hatten. Jeweils die Hälfte der Probanden hatte deshalb in den sechs Monaten vor Studienbeginn einen antimikrobiellen Wirkstoff eingenommen, die andere Hälfte nicht.

Abgestrichen wurde im hinteren Oropharynx

Für die doppelt verblindete, randomisierte, kontrollierte Studie erhielten die Teilnehmer eine ihnen unbekannte Mundspüllösung, die sie jeweils über einen Zeitraum von drei Monaten verwenden sollten – danach wurde gewechselt (entweder Listerine Cool Mint oder ein Placebo). Die Probanden wurden instruiert, einmal täglich eine Minute mit 20 ml unverdünntem Mundwasser zu gurgeln und zu spülen. Darüber hinaus sollten sie die Mundspüllösung vor und nach dem Sex verwenden – ebenso ihr Partner. Abstriche wurden zu Studienbeginn, nach drei und nach sechs Monaten entnommen, wobei die Dauer zwischen der letzten Mundspülung und dem Abstrich nicht erfasst wurde. Die Abstriche wurden „durch Abreiben beider Tonsillen und des hinteren Oropharynx“ durchgeführt.

Da zehn Probanden ausschieden, konnten schließlich nur vollständige Proben von 54 Männern gesammelt werden. Lediglich 63,9 Prozent der Teilnehmer verwendeten ihre jeweiligen Studienmundspülungen täglich, und dies mindestens während einer Zeitdauer von 75 Prozent des veranschlagten Dreimonats-Intervalls. Rund die Hälfte nutzte bereits im Monat vor Beginn der Studie regelmäßig eine Mundspüllösung. Wann sie diese das letzte Mal vor der Baseline-Untersuchung verwendeten, bleibt unbekannt, ebenso wie die verwendeten Präparate.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Alpha-Diversität des oropharyngealen Mikrobioms nach dreimonatiger Anwendung von Listerine Cool Mint nicht signifikant differierte, aber Unterschiede in der Zusammensetzung im Vergleich zum Ausgangswert festgestellt werden konnten. Zwei Arten opportunistischer Bakterien kamen nach dreimonatiger täglicher Anwendung der alkoholhaltigen Mundspülung häufiger im hinteren Oropharynx vor: Fusobacterium nucleatum (mediane F. nucleatum CLR transformierte Abundanz zu Studienbeginn 0,16 versus LCM 2,19, P = 0,003) und Streptococcus anginosus (mediane CLR-transformierte Abundanz zum Ausgangswert 0,24 gegenüber LCM 2,58, P = 0,004). Die Forschenden stellten auch einen Rückgang von Actinobacteria fest (mediane CLR-transformierte Abundanz bei Ausgangswert 3,82 gegenüber LCM 2,69, P = 0,005).

Bakterien werden mit Parodontalerkrankungen, Speiseröhren- und Darmkrebs in Verbindung gebracht

Actinobacteria gehören zu den nitratreduzierenden Bakterien und tragen zur Regulierung des Blutdrucks bei. Die Forschenden räumen allerdings ein, dass „die Häufigkeit nitratreduzierender Bakterien von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gesundheit und Lebensstil beeinflusst werden“ und deshalb mit Vorsicht interpretiert werden muss.

Im Falle der erhöhten Anteile von S. anginosus und F. nucleatum weisen die Autoren aber auf eine mögliche Verbindung mit schweren Allgemeinerkrankungen hin: „Die Verwendung von Listerine wurde mit einer erhöhten Häufigkeit häufiger opportunistischer Bakterien in der Mundhöhle in Verbindung gebracht, die Berichten zufolge bei Parodontalerkrankungen, Speiseröhren- und Darmkrebs sowie systemischen Erkrankungen angereichert sind. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die regelmäßige Verwendung von Listerine-Mundwasser sorgfältig abgewogen werden sollte."

Angesichts der methodischen Schwächen der Untersuchung und der eher schwach einzuschätzenden Validität und Reliabilität der erhobenen Daten ist diese Schlussfolgerung allerdings wissenschaftlich nicht haltbar. Dies wird in einer Fülle von Details deutlich. Wenn beispielsweise – wie von den Autoren angenommen – eine Assoziation von Alkohol und einer erhöhten Anzahl von S. anginosus und F. nucleatum besteht, ist es nicht nachvollziehbar, warum nicht erhoben wurde, ob die Probanden während des Studienzeitraums regelmäßig und gegebenenfalls in welchem Umfang Alkohol konsumiert haben. Informationen über Ernährungsgewohnheiten und zum Rauchen wurden ebenfalls nicht abgefragt, obwohl insbesondere Rauchen deutliche Auswirkungen auf das orale Mikrobiom hat.

Die Kohorte ist nicht repräsentativ

Eine weitere methodische Schwäche ist die kleine Kohorte, sowie der ausgewählte Probanden-Pool (ausschließlich Männer, PrEP, sexuell übertragbare Infektion innerhalb der letzten zwei Jahre). Die Ergebnisse dieser Studie sind offensichtlich nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.

Weiterhin wurden alle Abstriche im hinteren Oropharynx und im Bereich der Tonsillen entnommen und nicht oral. Inwieweit die Mundspüllösung in diesen Bereich gelangt ist, bleibt fraglich. Ebenso stellt sich die Frage, ob diese Abstriche auch nur annähernd das Mikrobiom der Mundhöhle repräsentieren können. Über die Mundgesundheit der Probanden gibt es überdies keinerlei Informationen.

Die Probanden haben angegeben, die Mundspüllösung nicht exakt gemäß dem Protokoll verwendet zu haben (nur knapp über die Hälfte verwendete die Spüllösung täglich). Auch wurden die Abstriche nur in dreimonatigen Abständen entnommen – ohne zu dokumentieren, wann zuletzt gespült wurde.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass Laumen und ihre Kollegen auch nach der Placebo-Spülung signifikante Veränderungen im Mikrobiom feststellten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass auch andere Faktoren neben der Listerine-Spülung für die Mikrobiomveränderungen infrage kommen.

Fazit

Auch wenn Alkohol als Bestandteil von Mundspüllösungen durchaus kritisch diskutiert werden kann, ist die Schlussfolgerung der Autoren, auf der Basis der vorliegenden Daten auf eine Gesundheitsgefahr von Listerine Cool Mint zu schließen, wissenschaftlich nicht haltbar. In Verbindung mit einer darauf aufsetzenden Berichterstattung in den Publikumsmedien, die insbesondere die nicht repräsentative Zusammensetzung der Probandengruppe unterschlägt und den Eindruck erweckt, die Studienergebnisse ließen sich problemlos auf die Bevölkerung übertragen, wird der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft im öffentlichen Raum ein Bärendienst erwiesen.

Laumen JGE, Van Dijck C, Manoharan-Basil SS, de Block T, Abdellati S, Xavier BB, Malhotra-Kumar S, Kenyon C. The effect of daily usage of Listerine Cool Mint mouthwash on the oropharyngeal microbiome: a substudy of the PReGo trial. J Med Microbiol. 2024 Jun;73(6). doi: 10.1099/jmm.0.001830. PMID: 38833520.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.