Gewaltopfer in der Praxis

Häusliche Gewalt: Zahnärzte können erste Zeugen sein

LL
Praxis
Wenn PatientInnen als Opfer von häuslicher Gewalt in der Praxis vorstellig werden, können Zahnärztinnen und Zahnärzte erste Zeugen sein. Verdächtige Verletzungen passen hier oft nicht zum Krankheitsbild.

Die Zahnärztekammer Niedersachsen hatte am vergangenen Wochenende anlässlich ihres „Tages der Akademie” noch einmal für das Thema Gewalt zwischen Lebenspartnern und gegen Kinder im häuslichen Umfeld sensibilisiert. Die Fallzahlen in Niedersachsen seien stark gestiegen, teilte die Kammer mit. 2021 wurden in Niedersachsen laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik 21.509 Fälle registriert – rund sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Die Dunkelziffer wird noch einmal deutlich höher geschätzt, da viele Fälle erst gar nicht zur Anzeige gebracht werden.

Darum komme der Zahnärzteschaft eine wichtige Rolle zu, betont die Kammer. „Zahnärztinnen und Zahnärzte sind oftmals die erste Anlaufstelle bei Verletzungen im Mund- und Kieferbereich. Sensibilisiert auf bestimmte Symptome und Verletzungsmuster, können sie so zu indirekten Zeugen von Gewalttaten werden, welche für andere unsichtbar bleiben”, heißt es.

Mit geschultem Auge sollten BehandlerInnen Spuren erkennen, PatientInnen behutsam ansprechen und vor allem aber auch die Möglichkeit einer gerichtlich verwertbaren zahnärztlichen Dokumentation der Verletzungen erläutern und Opfern bei weiteren Schritten behilflich sein, sagte Axel Wiesner, Referent für Fortbildungen im Vorstand der Zahnärztekammer Niedersachsen.

eine gerichtsfeste Dokumentation muss umfassend sein

Charakteristische Verletzungen sind zum Beispiel Zahntraumata wie Zahnrisse, -brüche und -absplitterungen, ein Riss des Oberlippenbändchens, Verletzungen der Oberlippe oder Kieferfrakturen, die sich mit der Krankengeschichte des Patienten nicht vereinbaren lassen.

Wichtig für eine gerichtsfeste Dokumentation sind vor allem die Darstellung aktueller und älterer Verletzungen, die genaue Beschreibung der Anzahl und der Größe der Verletzungen, die Lagebeschreibung zu anatomischen Fixpunkten, die genaue Beschreibung der Art der Läsionen (Form, Farbe, Tiefe, Alter, Beschaffenheit – das kann bei Verletzungen im Zahnbereich in der Patientenakte unter Zuhilfenahme des Zahnschemas oder auf einem Beiblatt erfolgen –, eine grafische oder fotografische Dokumentation sowie die Beschreibung des psychischen Eindrucks, den die Patientin/der Patient macht.

Bei Wiederholungsgefahr darf die Polizei eingeschaltet werden

Gibt es bei der Behandlung Anzeichen dafür, dass das Wohl von Minderjährigen gefährdet sein könnte, sollte die Situation mit den Sorgeberechtigten, also meist den Eltern oder einem Elternteil, besprochen werden. Im Gespräch sollte, sofern der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen dadurch nicht in Frage gestellt wird, auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht werden, rät die Bundeszahnärztekammer (BZÄK).

Im Fall eines ernstzunehmenden Verdachts und zum Schutz vor weiteren körperlichen und seelischen Schäden, sprich Wiederholungsgefahr, darf der Zahnarzt die Polizei oder das Jugendamt benachrichtigen. Es überwiegt dann der Kindesschutz.

Der Wunsch nach Schutz der Privatsphäre ist zu respektieren

Schwierig ist das Thema der Schweigepflicht. Zahnärzte unterliegen im Rahmen ihrer Berufsausübung der Berufsordnung und der ärztlichen Schweigepflicht (§ 203 Strafgesetzbuch [StGB]). Verweigert der erwachsene Patient eine Offenbarung, hat der Zahnarzt den Wunsch nach Schutz der Privatsphäre zu respektieren.

Schwere körperliche Misshandlungen mit Wiederholungsgefahr können – unter sorgfältiger Abwägung der Gesamtumstände – das Durchbrechen der ärztlichen Schweigepflicht gemäß § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) ermöglichen und rechtfertigen.

Die BZÄK hat auf ihrer Webseite Informationen dazu zusammengestellt, was im Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt in der zahnärztlichen Praxis zu beachten ist. Hier finden Sie auch weiterführende Links.

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