Ist Aspartam krebserregend?
Mitte Juli haben die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) und der Gemeinsame Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) der WHO und die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen ihre Bewertung der gesundheitlichen Auswirkungen des zuckerfreien Süßstoffs Aspartam veröffentlicht. Diese sorgen für Irritation: Unter Berufung auf „begrenzte Beweise“ für die Karzinogenität stufte die IARC Aspartam als „möglicherweise krebserregend“ für den Menschen ein. Der JECFA widersprach indirekt: Faktisch erwachse aus dieser Bewertung kein Risiko im regelhaften Anwendungsfall. Die zuletzt gültige, akzeptable tägliche Aufnahme von 40 Milligramm pro Kilo Körpergewicht und Tag könne weiterhin als unbedenklich gelten.
FDA: Studienlage ist mangelhaft und Aspartam kein Problem
Auch die US-Lebensmittelbehörde FDA teilt nicht die Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC). Man sei mit den Schlussfolgerungen der Behörde „nicht einverstanden“, heißt es in einer Mitteilung. Die Einstufung von Aspartam als „möglicherweise krebserregend für den Menschen“ bedeute nicht, „dass Aspartam tatsächlich mit Krebs in Zusammenhang steht“, schreibt die FDA weiter. Eigene Wissenschaftler hätten die WHO-Bewertung zugrundeliegenden Untersuchungen überprüft und „erhebliche Mängel in den Studien festgestellt“. Trotz dieser mangelhaften Datenlage ist das Fazit der US-Behörde eindeutig: Man sehe keine Sicherheitsbedenken für Aspartam „bei den derzeitigen Verwendungsmengen und Einhaltung der zulässigen täglichen Aufnahmemenge“.
Aspartam ist ein chemischer Süßstoff, der seit den 1980er-Jahren in vielen Lebensmittel- und Getränkeprodukten enthalten ist, darunter in Diätgetränken, Kaugummis, Gelatine, Eiscreme, Milchprodukten wie Joghurt, Frühstücksflocken, Zahnpasta und Medikamenten, aber auch in Hustenbonbons und Kauvitaminen.
Trotz weniger Studien nutzt man Aspartam seit 40 Jahren
„Krebs ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Jedes Jahr stirbt einer von sechs Menschen an Krebs. Die Wissenschaft ist ständig bemüht, die möglichen auslösenden oder begünstigenden Faktoren von Krebs zu bewerten, in der Hoffnung, diese Zahlen und den menschlichen Tribut zu verringern“, betonte Dr. Francesco Branca, Direktor der Abteilung Ernährung und Lebensmittelsicherheit der WHO in einer Mitteilung (https://bit.ly/zm_WHO_Aspartam). „Die Bewertungen von Aspartam haben gezeigt, dass die Sicherheit bei den üblicherweise verwendeten Dosen zwar kein großes Problem darstellt, aber potenzielle Wirkungen beschrieben wurden, die durch mehr und bessere Studien untersucht werden müssen.“
Die beiden Gremien führten unabhängige, aber komplementäre Überprüfungen durch, um die potenziell krebserregende Gefahr und andere Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit dem Verzehr von Aspartam zu bewerten. Es war das erste Mal, dass die IARC Aspartam bewertete, und das dritte Mal für den JECFA. Nach Durchsicht der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur stellten beide Organisationen eine begrenzte Evidenz für Krebs und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen fest.
Anpassung der zulässigen Tagesdosis – warum?
Dabei stufte die IARC Aspartam als „möglicherweise krebserregend“ für den Menschen (Gruppe 2B) ein, da es nur begrenzte Hinweise auf Krebs beim Menschen gibt (insbesondere für das hepatozelluläre Karzinom). Es gab auch nur begrenzte Evidenz für Krebs bei Versuchstieren und in Bezug auf die möglichen Mechanismen zur Entstehung von Krebs. Der JECFA kam dagegen zu dem Schluss, dass die Daten keinen ausreichenden Grund aufzeigten, um die zuvor festgelegte akzeptable tägliche Aufnahmemenge von bis zu 40 Milligramm pro Kilo Körpergewicht und Tag für Aspartam zu ändern. Der Ausschuss bekräftigte daher, dass es für eine Person sicher sei, Aspartam innerhalb dieser Grenze pro Tag zu konsumieren. Bei einer Dose Diät-Cola, die 200 oder 300 mg Aspartam enthält, müsste ein Erwachsener mit einem Gewicht von 70 kg beispielsweise neun bis 14 Dosen pro Tag zu sich nehmen, um die akzeptable Tagesdosis zu überschreiten, schreibt die WHO weiter – vorausgesetzt, es erfolge keine Aufnahme über andere Nahrungsquellen oder Medikamente.
Die IARC-Klassifizierungen spiegeln die Stärke der wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber wider, ob ein Wirkstoff beim Menschen Krebs verursachen kann, aber nicht das Risiko, bei einer bestimmten Exposition an Krebs zu erkranken, betont die WHO. Die IARC-Gefahrenbewertung berücksichtigt alle Arten von Expositionen, ob ernährungsbedingt oder beruflich. Die Klassifizierung der Evidenzstärke in Gruppe 2B ist die dritthöchste Stufe von vier Stufen und wird im Allgemeinen entweder verwendet, wenn es begrenzte, aber nicht überzeugende Beweise für Krebs beim Menschen oder überzeugende Beweise für Krebs bei Versuchstieren gibt, aber nicht für beides.
„Die Ergebnisse der begrenzten Beweise für die Karzinogenität bei Menschen und Tieren und der begrenzten mechanistischen Beweise dafür, wie es zu Karzinogenität kommen kann, unterstreichen die Notwendigkeit weiterer Forschung, um unser Verständnis zu verfeinern, ob der Konsum von Aspartam eine krebserregende Gefahr darstellt“, sagt Dr. Mary Schubauer-Berigan vom IARC.
Der Zusammenhang mit Krebs sei „nicht überzeugend“
Die Risikobewertungen von JECFA bestimmen die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Art von Schaden, hier Krebs, unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Expositionsstufen auftritt. Es sei nicht ungewöhnlich, dass der JECFA Klassifizierungen der IARC in seine Überlegungen einbezieht, betont die WHO.
„Der JECFA hat auch die Evidenz zum Krebsrisiko in Tier- und Humanstudien geprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Aspartamkonsum und Krebs beim Menschen nicht überzeugend ist“, sagte Dr. Moez Sanaa von der WHO. „Wir brauchen bessere Studien mit längerer Nachbeobachtung und wiederholten Ernährungsfragebögen in bestehenden Kohorten. Wir brauchen randomisierte kontrollierte Studien, einschließlich Studien zu mechanistischen Signalwegen, die für die Insulinregulation, das metabolische Syndrom und Diabetes relevant sind, insbesondere im Zusammenhang mit der Karzinogenität.“
Die Bewertungen der Auswirkungen von Aspartam durch IARC und JECFA stützten sich auf wissenschaftliche Daten, die aus vielen Quellen erhoben wurden, darunter sind von Experten begutachtete Arbeiten, Regierungsberichte und Studien, die zu regulatorischen Zwecken durchgeführt wurden. Die Studien seien zudem von unabhängigen Sachverständigen geprüft worden, heißt es: „Beide Ausschüsse haben Schritte unternommen, um die Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bewertungen zu gewährleisten.“
Europäische Lebensmittelbehörde: Datenlage ist unzureichend – Stoffe bleiben zugelassen
In der EU muss Aspartam, wie alle anderen Lebensmittelzusatzstoffe auch, auf dem Etikett entweder mit seinem Namen oder seiner E-Nummer (E 951) angegeben werden. Der Süßstoff und seine Abbauprodukte sind seit vielen Jahren nach gründlichen Sicherheitsbewertungen für den menschlichen Verzehr zugelassen, schreibt die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Diese hatte den Stoff zuletzt 2013 einer turnusmäßigen Neubewertung unterzogen und war dabei zu dem Schluss gekommen, dass Aspartam und dessen Abbauprodukte für die allgemeine Bevölkerung (einschließlich Säuglinge, Kinder und Schwangere) unbedenklich sind.
Aktuell ruht eine laufende Sicherheitsbewertung von zwei verwandten Lebensmittelzusatzstoffen, dem Aspartam-Acesulfam-Salz (E 962) und Neotam (E 961). Der Grund: Im Juli 2021 stellte die EFSA fest, dass die verfügbare Datenlage nicht ausreicht, um eine Risikobewertung vorzunehmen. Ungeachtet dessen sind E 962 (seit 2005) und E 961 (seit 2010) in der Europäischen Union als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen.
Die IARC und die WHO wollen weiterhin den Erkenntnisstand beobachten und unabhängige Forschungsgruppen ermutigen, weitere Studien über den möglichen Zusammenhang zwischen der Aspartam-Exposition und den Auswirkungen auf die Gesundheit der Verbraucher durchzuführen.