Neue Trenddroge bei Teenagern

Ist Lachgas ein Problem für Zahnärzte?

Frank G. Mathers
,
Anne Schink
Zahnmedizin
Lachgas wird seit Jahrzehnten erfolgreich zur Sedierung in der Zahnmedizin eingesetzt. Gleichzeitig häufen sich die Berichte über Missbrauch und Abhängigkeit durch Jugendliche. Die gesundheitlichen Folgen sind nicht nur schwerwiegend, sondern häufig auch irreversibel. Mittlerweile zählt Lachgas zu den Spitzenreitern der in Europa konsumierten psychoaktiven Substanzen.

Distickstoffmonoxid (N2O) unterliegt der ärztlichen Verschreibungspflicht. Die auch Lachgas genannte chemische Verbindung wird seit vielen Jahrzehnten weltweit und seit einigen Jahren verstärkt auch in Deutschland erfolgreich zur Anxiolyse und Sedierung in der Zahnmedizin eingesetzt. Im Vergleich zu anderen Anästhetika verursacht Lachgas keine Atemdepression und es steht seit 1977 auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization Model List of Essential Medicines) [WHO, 2023].

Neben der medizinischen Anwendung wird Lachgas in vielen industriellen Bereichen verwendet, etwa in der Lebensmittelverarbeitung als Konservierungsmittel oder als Treibgas zur Herstellung von Schlagsahne in Sprühdosen. Trotz der weiten Verbreitung kam es in den vergangenen 100 Jahren nur sehr selten zu Fällen von Missbrauch und Abhängigkeit – und wenn dann meist bei Zahnärzten [Jastak, 1991]. Die Situation hat sich allerdings in letzter Zeit geändert: 2022 wurde Lachgas von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction, EMCDDA) als eine der am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen in Europa eingestuft [Gernez et al., 2023].

Prävalenz von Missbrauch

In Frankfurt am Main gaben 16 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal Lachgas angeboten bekommen zu haben, fast jeder zehnte hat es mindestens einmal probiert, vier Prozent in den vergangenen zwölf Monaten, ein Prozent in den letzten 30 Tagen (Tabelle 1) [Werse et al., 2020]. Diese Entwicklung spiegelt sich in einer deutlichen Zunahme von Berichten in den Massenmedien und wissenschaftlichen Publikationen wider.

N2O wird wegen seiner euphorisierenden Wirkung, die nur wenige Minuten anhält, konsumiert, und zwar in der Regel durch Inhalation aus Luftballons oder Sprühsahne-Kartuschen. Bei medizinischer Nutzung ist die Inhalation von Lachgas in der Regel unbedenklich, da immer für eine ausreichende Sauerstoffzufuhr gesorgt ist und Lachgas im Körper nicht metabolisiert wird. Mögliche Risiken werden durch eine sorgfältige Anamnese erkannt, entsprechende Patienten gegebenenfalls ausgeschlossen.

Bei missbräuchlicher Anwendung besteht jedoch ein hohes Risiko akuter und chronischer Toxizität. Gerade die Langzeitanwendung hat in den vergangenen Jahren zugenommen und mit der Abhängigkeit und Toleranzwirkung zeigen sich zunehmend die chronischen Schäden, gerade bei Jugendlichen [Lai et al., 1997].

Klinische Symptomatik von chronischem Missbrauch

Patienten zeigen einen Mix von Symptomen aus dem zentralen und dem peripheren Nervensystem (Abbildung 1) [Gernez et al., 2023]. Es findet beim gleichen Patienten im Wechsel eine Hyper- oder eine Hyporeflexie statt, je nachdem ob myelopathische oder neuropathische Einflüsse vorherrschen. Dieses ungewöhnliche Bild wird als „Myeloneuropathie“ bezeichnet und kann zur Fehldiagnose „Multiple Sklerose“ führen [Layzer, 1978].

Chronische N2O-Konsumenten haben häufig neuropathische Symptome, zum Beispiel anhaltende Handschuh-förmige Parästhesien oder Taubheitsgefühle in den Händen [Winstock und Ferris, 2020]. In den Beinen finden sich motorische Defizite und Gangstörungen. Laboruntersuchungen können Hinweise geben. So finden sich erniedrigte Vitamin-B12-Spiegel, allerdings ohne direkte Korrelation zum Schweregrad der Symptome [Swart et al., 2021]. Methylmalonsäure(MMS)-, Homocystein- und Methioninspiegel im Plasma korrelieren hingegen signifikant mit dem klinischen Schweregrad [Gernez et al., 2022; Grzych et al., 2023]. Die radiologische Bildgebung des zentralen Nervensystems gibt nicht immer eindeutige diagnostische Hinweise. Eine Mehrzahl von Lachgasabhängigen zeigt sogar normale MRT-Befunde des Rückenmarks trotz klinischer Symptome einer Myelopathie [Jiang et al., 2021; Li et al., 2021].

Lachgas reagiert mit Cobalamin (Vitamin B12) und verursacht Störungen im Stoffwechsel, insbesondere eine Hyperhomocysteinämie. Hohe Homocysteinspiegel können wiederum zu thromboembolischen Ereignissen führen, da Homocystein verschiedene Schritte der Gerinnungswege beeinflussen kann [Sauls et al., 2003]. Tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien sind daher ebenfalls als Komplikationen eines chronischen N2O-Konsums bekannt.

Lachgasabusus führt zu psychischen Störungen, die wie eine Demenz imponieren. Psychosen, Depression, Angst- und Schlafstörungen finden sich ebenfalls häufig [Paulus et al., 2021]. Da Lachgas auch antidepressiv wirkt, könnte eine Depression auch ursächlich für den Missbrauch sein. Ob Depressive sich mit Lachgas selbst behandeln, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden.

Labordiagnostik

Eine direkte N2O-Messung ist in der Praxis nicht möglich. Lachgas hat eine sehr kurze Halbwertszeit von nur wenigen Minuten [Molloy et al., 1973]. Die Eliminierung erfolgt über die Lunge und nach Beendigung der Exposition nimmt die Konzentration in der ausgeatmeten Luft schnell ab: von 70 Prozent auf praktisch null nach fünf Minuten [Einarsson et al., 1993]. Daher wird die Bestimmung von N2O in der Ausatemluft bei Patienten, die in der Notaufnahme eingeliefert werden, aufgrund des kurzen zeitlichen Abstands zwischen Einnahme und Aufnahme routinemäßig nicht durchgeführt. Das gleiche Problem besteht bei toxikologischen Untersuchungen durch die Polizei.

Vitamin B12

Obwohl N2O zu einem funktionellen Vitamin-B12-Mangel führt, ist die quantitative Vitamin-B12-Bestimmung bei Lachgasmissbrauch diagnostisch unzuverlässig [Grzych et al., 2023]. Sinnvoller bei einer chronischen Intoxikation ist die Messung der funktionellen Marker für Vitamin B12: Homocystein und Methylmalonsäure (MMS).

Homocystein

Plasmahomocystein ist sehr empfindlich und kann als Marker für einen kürzlich stattgefundenen N2O-Konsum verwendet werden, da es rasch ansteigt [Grzych et al., 2023]. Allerdings sinkt der Plasmaspiegel innerhalb weniger Tage nach dem letzten Konsum wieder auf physiologische Werte und der Marker ist nicht spezifisch für eine Lachgasintoxikation. Homocystein steigt auch bei Vitaminmangel (Vitamin B6, Vitamin B9, Vitamin B12), Nieren- oder Leberschäden und Hypothyreose und bei bestimmten Stoffwechselkrankheiten.

Methylmalonsäure (MMS)

MMS ist bei der Untersuchung des Vitamin-B12-Status spezifischer als Homocystein, da es nicht von den Vitaminen B6 und B9 abhängt. MMS ist kein empfindlicher Marker für den N2O-Missbrauch, da sein Anstieg nicht direkt mit der Lachgasapplikation korrelieren muss. MMA im Plasma korreliert aber schon mit dem klinischen Schweregrad einer chronischen Lachgasintoxikation und kann daher als Marker dafür eingesetzt werden [Grzych et al., 2023].

Fazit

Lachgas ist nach Einschätzung aller deutschen und internationalen Fachgesellschaften nicht mehr aus der modernen Zahnmedizin wegzudenken. Als potentes Anästhetikum gehört es in professionelle Hände, um wie bei anderen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln den Nutzen für den Patienten zu maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren.

Weder in Deutschland noch weltweit sind chronische Schäden bei Patienten oder Personal bei der ärztlichen Applikation von Lachgas in der Zahnarztpraxis bekannt geworden. Lachgas wird aber – wie andere Anästhetika/Analgetika auch – missbraucht. Besonders bekannte Substanzen sind Fentanyl, Propofol oder sogar nichtsteroidale Antiphlogistika wie Ibuprofen, die bei manchen Patienten zu einer Dialysepflicht geführt haben.

Zahnärzte haben eine besondere Verantwortung für die Anwendung von potenten Anästhetika und kommen dieser Verantwortung auch nach. Hohe Ausbildungsstandards (DGAP-ZMK), komplexe Geräte mit Systemen zur Absaugung von überschüssigem Lachgas sowie die behördlich auferlegte Verschreibungspflicht stellen sicher, dass Lachgas den Patienten zur Verfügung steht, die es dringend benötigen, und gleichzeitig Patienten und Personal geschützt werden.

Die Lachgassedierung gilt als besonders sichere und nebenwirkungs­arme Standardmethode in deutschen Zahnarztpraxen. Mit Recht wird die Lachgasapplikation von der WHO seit einem halben Jahrhundert als essenziell notwendige medizinische Behandlung geführt. Gleichzeitig schauen Zahnärzte mit Sorge auf den Missbrauch von Lachgas und anderen verschreibungspflichtigen Anästhetika. Der Freizeitkonsum von N2O hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen – und damit vermehrt Berichte über Fälle von akuter und chronischer Toxizität. Es gibt ein breites Spektrum an chronischen irreversiblen Symptomen, darunter Myelopathie, Neuropathie, psychiatrische Erkrankungen, kognitive Ausfälle und kardiovaskuläre Auswirkungen. Zum Schutz der Bevölkerung hat der Gesetzgeber Lachgas und andere potente Anästhetika der Verschreibungspflicht unterstellt. Nur in zahnärztlicher/ärztlicher Hand kann der sichere Einsatz garantiert werden.

Literaturliste

  • WHO, World Health Organization Model List of Essential Medicines. The selection and use of essential medicines 2023: Executive summary of the report of the 24th WHO Expert Committee on the Selection and Use of Essential Medicines. Vol. 23. 2023, Geneva: World Health Organization.

  • Jastak, J.T., Nitrous oxide and its abuse. J Am Dent Assoc, 1991. 122(2): p. 48-52.

  • Gernez, E., et al., Nitrous Oxide Abuse: Clinical Outcomes, Pharmacology, Pharmacokinetics, Toxicity and Impact on Metabolism. Toxics, 2023. 11(12).

  • Werse, B., Kamphausen, G., Martens, J., MoSyD Jahresbericht 2019 Drogentrends in Frankfurt am Main. 2020, Goethe Universität Center for Drug Research: Drogenreferat der Stadt Frankfurt.

  • Lai, N.Y., et al., „Nanging“: another cause of nitrous oxide neurotoxicity. Med J Aust, 1997. 166(3): p. 166.

  • Layzer, R.B., Myeloneuropathy after prolonged exposure to nitrous oxide. Lancet, 1978. 2(8102): p. 1227-30.

  • Winstock, A.R. and J.A. Ferris, Nitrous oxide causes peripheral neuropathy in a dose dependent manner among recreational users. J Psychopharmacol, 2020. 34(2): p. 229-236.

  • Swart, G., et al., Nitrous oxide-induced myeloneuropathy. Eur J Neurol, 2021. 28(12): p. 3938-3944.

  • Grzych, G., et al., Comparison of biomarker for diagnosis of nitrous oxide abuse: challenge of cobalamin metabolic parameters, a retrospective study. J Neurol, 2023. 270(4): p. 2237-2245.

  • Gernez, E., et al., Plasma Methionine and Clinical Severity in Nitrous Oxide Consumption. Toxics, 2022. 11(1).

  • Li, Y., et al., Clinical epidemiological characteristics of nitrous oxide abusers: A single-center experience in a hospital in China. Brain Behav, 2021. 11(12): p. e2416.

  • Jiang, J., et al., Nitrous oxide-related neurological disorders: Clinical, laboratory, neuroimaging, and electrophysiological findings. Brain Behav, 2021. 11(12): p. e2402.

  • Sauls, D.L., A.S. Wolberg, and M. Hoffman, Elevated plasma homocysteine leads to alterations in fibrin clot structure and stability: implications for the mechanism of thrombosis in hyperhomocysteinemia. J Thromb Haemost, 2003. 1(2): p. 300-6.

  • Paulus, M.C., et al., Does vitamin B12 deficiency explain psychiatric symptoms in recreational nitrous oxide users? A narrative review. Clin Toxicol (Phila), 2021. 59(11): p. 947-955.

  • Molloy, M.J., I.P. Latto, and M. Rosen, Analysis of nitrous oxide concentrations in whole blood: an evaluation of an equilibration technique. Br J Anaesth, 1973. 45(6): p. 556-62.

  • Einarsson, S., et al., Nitrous oxide elimination and diffusion hypoxia during normo- and hypoventilation. Br J Anaesth, 1993. 71(2): p. 189-93.

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Dr. med. Frank G. Mathers

Institut für dentale Sedierung
Goltsteinstr. 95, 50968 Köln

Anne Schink

Institut für dentale Sedierung
Goltsteinstr. 95, 50968 Köln
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