Lieblingsmusik beeinflusst Schmerzschwelle besonders stark
Eine Vielzahl vorangegangener Studien hat gezeigt, dass Musik die Schmerzwahrnehmung und die Schmerzschwelle beeinflusst. Sie wird daher von den AutorInnen einer Metaanalyse von 97 Untersuchungen aus den Jahren 1995 bis 2014 als mögliche Ergänzung zum Schmerzmanagement bei Patienten mit akuten oder chronischen Schmerzen empfohlen. Eine neue niederländische Beobachtungsstudie untersuchte nun, inwieweit bevorzugte Musik im Vergleich zu unbeliebter Musik die Schmerz-(Toleranz-)Schwellen und die wahrgenommene Schmerzintensität bei gesunden Probanden beeinflusst.
Diese Beobachtungsstudie wurde 2016 während des Festivals „Lowlands“ durchgeführt, auf dem Besucher Konzerte, aber auch Literatur- und Ballettveranstaltungen sowie wissenschaftliche Vorträge besuchen konnten. Insgesamt wurden 415 volljährige Freiwillige in diese Studie eingeschlossen. Die Druckschmerzschwelle wurde bei 277 Probanden bestimmt und in den Test der elektrischen Schmerztoleranzschwelle wurden 138 Probanden aufgenommen. Die Schmerzschwellen wurden durch quantitative sensorische Tests gemessen. Die Freiwilligen wurden nach dem Zufallsprinzip entweder die handgehaltene Druckalgometrie zur Bestimmung der Druckschmerzschwelle oder elektrischen Messungen zur Bestimmung der elektrischen Schmerztoleranzschwelle zugeteilt. Die Schmerzschwellen wurden auf der dorsalen Seite des Unterarms verabreicht.
Elektrische Schmerztoleranzschwelle (EPTT): Die EPTT wurde als das maximale Schmerzniveau definiert, das der Teilnehmer tolerieren konnte. Die EPTT wurde in Milliampere (mA) ausgedrückt. Die Freiwilligen wurden zuvor angewiesen, den elektrischen Strom durch Drücken des Knopfes zu starten und den Knopf loszulassen, sobald die Schmerzen unerträglich wurden. Der Strom begann bei 0 mA und der maximale elektrische Strom wurde aufgrund von Sicherheitsvorschriften auf 50 mA begrenzt. EPTT wurde viermal bewertet, einschließlich einer Trainingseinheit.
Druckschmerzschwellen (PPT): Zur Beurteilung der PPT wurde ein digitales Druckalgometer auf die Unterarmmuskulatur des nicht dominanten Arms aufgesetzt. PPT wurde in N/cm2 ausgedrückt. Der Druck begann bei 0 N und wurde auf 220 N/cm 2 aus Sicherheitsgründen begrenzt. Die Freiwilligen wurden angewiesen, ihre Hand zu heben und/oder „Stop“ zu sagen, wenn sie neben dem Druck ein brennendes, schmerzhaftes oder stechendes Gefühl verspürten. PPT wurde viermal bewertet, einschließlich einer Trainingseinheit.
Numerische Bewertungsskala (NRS): Freiwillige wurden gebeten, ihre wahrgenommene Schmerzintensität direkt nach der Bewertung des PPT oder des EPTT auf einer numerischen Bewertungsskala (NRS) zu bewerten. Die NRS ist eine 11-Punkte-Likert-Skala, die von null (0, kein Schmerz) bis 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) reicht.
Signifikanter Unterschied bei Lieblingsmusik erkennbar
Ergebnisse: Sowohl in der EPTT- als auch in der PPT-Gruppe übte Musik einen statistisch signifikanten Unterschied in den Schmerzschwellen zugunsten der bevorzugten Musik aus (3,625 mA beziehungsweise 8,582 N). Darüber hinaus wurde sowohl in der EPTT- als auch in der PPT-Gruppe ein statistisch signifikanter, wenn auch kleiner Unterschied im subjektiven Schmerzniveau (NRS) zugunsten der bevorzugten Musik gefunden (NRS: -0,261). Darüber hinaus wurden die höchsten Schmerzschwellen sowohl für Druckschmerz als auch für elektrische Schmerztoleranzschwellen erhalten, wenn der bevorzugten Musik eine nicht gemochte Musik vorausging.
Fazit der AutorInnen: Das Hören bevorzugter Musik beim Empfang schädlicher Stimuli führt im Vergleich zu unbeliebter Musik zu höheren Schmerzschwellen und niedrigeren Schmerzwerten. Bevorzugte Musik könnte für Patienten mit Schmerzen oder bei schmerzhaften Eingriffen von Vorteil sein. Obwohl nicht formal getestet, schreiben die AutorInnen, könnten die Ergebnisse darauf hindeuten, dass Ablenkung als zugrunde liegender Mechanismus der Schmerzlinderung unwahrscheinlich ist. Die Daten zeigten, dass die mittleren Schmerzschwellen beim Hören von unbeliebter Musik niedriger waren als die Schmerzschwellen, wenn überhaupt keine Musik gehört wurde. „Das endogene Opioidsystem scheint besser geeignet, unsere Ergebnisse zu erklären“, schlussfolgern die AutorInnen. Dabei würden die höchsten Schmerzschwellen sowohl für elektrische als auch für Druckschmerzreize erreicht, wenn der bevorzugten Musik eine ungeliebte Musik vorausgeht. „Daher ist es plausibel, dass bevorzugte Musik von Vorteil sein könnte, wenn man sich einem tatsächlichen, schmerzhaften Eingriff unterzieht.“
Hans Timmermann, Regina L. M. van Boekel, Ludo S. van de Linde et al.,The effect of preferred music versus disliked music on pain thresholds in healthy volunteers. An observational study, Plos One 17. Januar 2023, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0280036