Schutzräume für Demenzkranke
Die demente alte Dame kam mit dem Zug aus Warschau. Sie trug Pantoffeln und schlurfte verwirrt durch Charlottenburgs Straßen. Und sie hatte Glück, weil Polizisten sie schließlich direkt in ein Pflegeheim im Bezirk fahren konnten. Dort gab es nicht nur Fürsorge und eine warme Mahlzeit - einige Altenpfleger sprachen auch Polnisch. Bald war behutsam geklärt, aus welcher Stadt die Seniorin stammte. Es wurde ein Fall für die polnische Botschaft. Nach zwei Wochen war sie wieder zu Hause.
Ein Projekt macht Schule
Es ist der komplizierteste Fall, an den sich Mortimer Eulenburg erinnert. Er ist Jurist beim Gerontopsychiatrisch-Geriatrischen Verbund im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. 2011 begann hier ein Projekt, das hilflose und demente Senioren besser schützen soll - und seitdem Schule macht. Die Nachfragen kommen nicht nur aus anderen Berliner Bezirken, sie kommen inzwischen aus ganz Deutschland.
Schutzraum statt Zelle
Denn die Idee ist bestechend einfach: Polizisten, die von Passanten über orientierungslose alte Menschen informiert werden, können sie direkt in Pflegeheime bringen. Dafür haben die Polizei, der Bezirk und die Heime Kooperationen geschlossen. Bis zu drei Tage ist die professionelle Betreuung im Heim kostenlos. Seit dem Start gibt es in Charlottenburg-Wilmersdorf pro Monat zwei bis drei demente Menschen, die für eine kurze Zeit in einem solchen "Schutzraum" unterkommen. Bis die Polizei weiß, wer sie sind.
Das Konzept hat nach Spandau und Mitte nun auch Friedrichshain-Kreuzberg überzeugt. "Das geht doch nicht, dass demente Menschen bei der Polizei in einer Sammelzelle sitzen", sagt Mitarbeiterin Sabine Schweele. Die Polizei gleiche die Fälle weiterhin mit Vermisstenanzeigen ab. Professionelle Pflege bis hin zum Wechseln von Inkontinenz-Einlagen aber kann sie nicht leisten - das übernehmen nun die Heime.
Der Identität auf der Spur
"Das Konzept ist für alle entlastend", erläutert Projektmanager Eulenburg. Alte Menschen fühlten sich im Pflegeheim geborgener als bei der Polizei. Nach Mahlzeiten müssten sie oft auf die Toilette - und dort könne ein Pfleger manchmal schon durch Wäscheschildchen einen Hinweis auf ihre Herkunft erhaschen. Oder es ergibt sich eine Spur nach geduldigen Gesprächen.
Oft aber würden die Senioren auch schon vermisst - und bei der Polizei gemeldet. "In den allermeisten Fällen reichen drei Tage aus, um zu wissen, wo jemand hingehört", sagt Eulenburg. Angehörige gäben dem Pflegeheim danach oft eine Spende als Dank für die Betreuung.
Immer der Erinnerung nach
Dass Demente auf der Straße herumirren, ist nicht ungewöhnlich - und wird mit der steigenden Lebenserwartung wahrscheinlich noch zunehmen. "Die Menschen laufen in der Regel nicht vor etwas davon. Sie wollen irgendwo hin, an das sie sich erinnern", sagt Eulenburg. "Das kann ein Stein in Ostpreußen sein."
von Ulrike von Leszczynski