Internationale Studie

Xylit erhöht Risiko für kardiale Ereignisse um 57 Prozent

mg
Medizin
Höhere Werte des Süßstoffs Xylit im Blut sind mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Herzerkrankungen und Schlaganfälle verbunden, zeigt eine internationale Studie unter Federführung der Berliner Charité.

Die Untersuchung der Cleveland Clinic in den USA wurde jetzt im European Heart Journal veröffentlicht. Erstautor der Studie ist Dr. med. Marco Witkowski, Kardiologe am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC). Bereits 2023 hatte der Wissenschaftler in einer von der Cleveland Clinic geleiteten Studie in Zusammenarbeit mit dem DHZC im Magazin „Nature Medicine“ gezeigt, dass der Süßstoff Erythrit mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verbunden ist.

Xylit wird in großen Mengen verkauft und als „natürlicher Süßstoff“ beworben, da es in geringen Mengen auch in Obst oder Gemüse vorkommt und vom Körper produziert werden kann. Künstliche Süßstoffe wie Xylit werden von Gesundheitsbehörden der USA und der Europäischen Union als „Generally Recognized as Safe“ (GRAS) eingestuft. Ihr Einsatz wurde von mehreren Leitlinienorganisationen für Personen empfohlen, die an Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Außerdem soll Xylit einigen Untersuchungen zufolge eine karieshemmende Wirkung haben. Daher wird der Süßstoff nicht nur als Ersatz für Zucker, sondern auch als zusätzliches Mittel gegen Karies vermarktet, etwa als Zusatz von Zahncremes, Lutschtabletten oder Kaugummis, schreibt die Charité.

Xylit erhöht die Reaktivität von Blutplättchen

Witkowski hat während eines mehrjährigen Forschungsaufenthalts in den USA untersucht, ob der Konsum von Xylit das Risiko für schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle erhöht. Dazu wurden zunächst Blutproben von insgesamt mehr als 3.300 Herz-Kreislauf-Patienten analysiert. Diese Probanden wurden daraufhin über drei Jahre hinweg beobachtet. In diesem Zeitraum kam es bei Patienten mit hohen Xylit-Konzentrationen im Blut signifikant häufiger zu Schlaganfällen, sogenannten „kardialen Ereignissen“ wie einem Herzinfarkt oder zu einem Todesfall.

Dieser Zusammenhang konnte in der Folge weiter erhärtet werden: In Laborversuchen wie auch bei Tests mit Gesunden zeigte sich, dass Xylit die Reaktivität von Blutplättchen erhöht, was die Bildung von Blutgerinnseln fördert und somit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern kann. Konkret wurde festgestellt, dass das Risiko für schwerwiegende kardiale Ereignisse bei erhöhten Xylit-Werten im Blut um 57 Prozent erhöht war.

Bei Süẞstoff(kombination)en herrscht groẞer Forschungsbedarf

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gab anlässlich der Studienergebnisse bisher keine neue Bewertung für Xylit heraus. Die jüngste Stellungnahme stammt aus dem Februar 2023 und bildet den Forschungsstand vom 23. September 2019 ab. Sie kommt zu dem Schluss, die „Mehrheit der Studien bestätigt keine Gesundheitsbeeinträchtigung – allerdings ist die Studienlage unzureichend“.

Die aktuelle Datenlage zur gesundheitlichen Wirkung von Süßstoffen reicht aus Sicht der Behörde nicht aus, um eine abschließende gesundheitliche Risikobewertung vorzunehmen. Der Grund: Die bis September 2019 vorliegenden epidemiologischen Studien betrachteten ausschließlich die Süßstoffexposition aus Light-Getränken. „Die tatsächliche Exposition könnte aber wesentlich höher sein, da einzelne Süßstoffe sowie Kombinationen aus verschiedenen Süßstoffen auch in Fertigprodukten und Kosmetika (etwa Zahnpasta) verwendet werden“, schreibt das BfR. Da derzeit hauptsächlich Studien zu einzelnen Süßstoffen vorliegen, bestehe auch Forschungsbedarf zu den gesundheitlichen Wirkungen von Süßstoffkombinationen.

Die BfR-Bewertung konzentrierte sich auf diejenigen Süßungsmittel, die nicht zu den zuckerähnlichen Zuckeraustauschstoffen wie zum Beispiel Xylit und Erythrit gehören. Sofern aus den ausgewerteten Humanstudien hervorgehe, welche Stoffe im Einzelnen verwendet wurden, liege der Fokus der Bewertung auf den fünf synthetischen Süßstoffen Sucralose, Aspartam, Saccharin, Cyclamat und Acesulfam K.

In der Europäischen Union zugelassen sind derzeit 19 Süßungsmittel, darunter acht Zuckeraustauschstoffe: Sorbit (E 420), Mannit (E 421), Isomalt (E 953), Polyglycitolsirup (E 964), Maltit (E 965), Lactit (E 966), Xylit (E 967) und Erythrit (E 968). Chemisch betrachtet handelt es sich bei diesen Stoffen um Zuckeralkohole (Polyole). Vor ihrer Zulassung wurden alle Süßungsmittel als Teil der rund 300 zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe von einem internationalen Expertengremium gesundheitlich bewertet.

In unregelmäßigen Abständen werden die Stoffe von den zuständigen Gremien jeweils neu geprüft, allerdings nicht alle gleichzeitig, schreibt das BfR. Deshalb wurden Prioritäten festgelegt: „Die Süßungsmittel hatten dabei eine niedrige Priorität, sie waren gemäß EU-Verordnung bis Ende des Jahres 2020 neu zu bewerten", allerdings wurden von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit inzwischen längere Fristen eingeräumt.

Das Zwischenfazit des BfR lautet darum, dass die Datenlage uneinheitlich und für einige betrachtete Bevölkerungsgruppen (zum Beispiel Kinder und Schwangere sowie für bestimmte gesundheitliche Aspekte) sehr begrenzt ist. „Hieraus ergibt sich weiterer Forschungsbedarf, um fundierte Schlussfolgerungen, insbesondere zu langfristigen Auswirkungen von Süßungsmitteln für verschiedene Bevölkerungsgruppen, ableiten zu können.“

Verbraucher sollten Süßstoff-Konsum überdenken

„Unsere Forschung weist auf mögliche Risiken von Xylit hin und zeigt, dass Süßstoffe nicht unbedingt die harmlose Zuckeralternative sind, für die sie oft gehalten werden. Besonders bei Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Risiken könnte der Konsum von Xylit zusätzliche Gesundheitsgefahren bergen“, erklärt Witkowski. „Es ist wichtig, dass Verbraucher sich dieser Risiken bewusst sind und ihren Konsum dieser Süßstoffe überdenken. Bei Unsicherheiten sollten sie sich an ihren Arzt oder Ernährungsberater wenden.“

Forscher für Erythrit-Studie ausgezeichnet

Die Herzstiftung hat Dr. Marco Witkowski mit dem Wissenschaftspreis der Josef-Freitag-Stiftung ausgezeichnet. Er hatte 2023 in einer Studie gezeigt, dass Erythrit womöglich die Thrombose- und die Infarktgefahr erhöht. Das internationale Forscherteam unter Beteiligung von Witkowski hatte anhand von Blutproben bei mehr als 4.000 Probanden aufgezeigt, dass erhöhte Blutkonzentrationen des Zuckeralkohols Erythritol („Erythrit“) mit thromboembolischen Komplikationen in Verbindung stehen. Ihre Ergebnisse hatten der Facharzt für Kardiologie an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin des Deutschen Herzzentrums der Charité (DHZC), Campus Benjamin Franklin, und seine Forscherkollegen im hochkarätigen Journal „Nature Medicine“ publiziert (https://bit.ly/zm_Erythrit). In seiner Arbeitsgruppe will Witkowski nun Süßstoffe und andere Nahrungsmittelbestandteile „systematisch auf ihre thrombogenen Effekte untersuchen“.

Witkowski, M. et al.: The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk. Nat Med 29, 710–718 (2023). <link url="https://doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9" target="new-window" url-fragment="" seo-title="" follow="follow">doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9

Angesichts der weit verbreiteten Verwendung von Xylit in Lebensmitteln und Zahnpflegeprodukten halten es die Autorinnen und Autoren der Studie für wichtig, die potenziellen Gesundheitsrisiken weiter zu untersuchen.

Marco Witkowski et al.: Xylitol is prothrombotic and associated with cardiovascular risk, European Heart Journal, 2024;, ehae244, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae244

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