Mit Copy & Paste zum Dr. med.
Acht weitere Arbeiten finden sich seit 2011 in anderen Fachbereichen der Hauptstadt-Unis - neben Münster gerät damit auch Berlin als zweiter "Hotspot" ins Visier von Plagiatsexperten.
50.000 Doktorarbeiten und Habilitationsschriften auf dem Prüfstein
Immerhin 70 Prozent der Studenten schreiben ihre Doktorarbeit - gerade für praktizierende Ärzte ist der Doktortitel ein sichtbares Zeichen ihrer medizinischen Expertise. Die Versuchung, den Titel mit relativ geringem Aufwand zu erlangen, ist in der Medizin deshalb groß, beklagen Experten seit langem.
Nach und nach werden nun von Mitarbeitern der Rechercheplattform VroniPlag Wiki rund 50.000 Doktorarbeiten und Habilitationsschriften deutscher Hochschulen überprüft - überwiegend aus der Human- und Zahnmedizin. "Das bietet sich an, weil die Arbeiten meist kurz sind", sagt Informatikerin Debora Weber-Wulff von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft.Sie leitet das Projekt.
Ein Professor, sechs ähnliche Promotionen
Bislang sind bei VroniPlag Wiki seit 2011 insgesamt 134 plagiierte Doktorarbeiten und sieben Habilschriften dokumentiert - nach Durchlaufen des mehrstufigen Prüfverfahrens auch mit Autorennamen. Interessantes trat dabei zutage: In Münster gab es beispielsweise zwei fast identische zahnmedizinische Arbeiten, die über Affennetzhäute verfasst wurden. In Berlin unter anderem ein Cluster von sechs Doktoranden der Zahnmedizin, die alle mit ähnlichem Material beim selben Professor promovierten.
Ein eigenes Überprüfungsverfahren an den Universitäten dauert oft noch viele Monate, denn auch hier wird mithilfe mehrerer Ombudsleute mehrstufig überprüft - und zunächst die Richtigkeit von Quellen und Daten gecheckt. Volker Bähr leitet an der größten Universitätsmedizin Deutschlands das Büro für Gute Wissenschaftliche Praxis - auf seinem Tisch landen auch die Eingaben von VroniPlag Wiki.
"Bestätigt sich der Verdacht, dann wird ein Hauptverfahren eröffnet", erläutert Bähr. Bislang wurde an der Charité jedoch nur ein Doktortitel entzogen und eine Habilitationsschrift als Autoplagiat gerügt. Das heißt: Der angehende Professor hatte von sich selbst aus früheren Arbeiten abgeschrieben.
Ein systemimmanentes Problem
Ein Teil des potenziellen Problems scheint dabei schon im System angelegt zu sein, denn Doktoranden arbeiten bei ihren Versuchen oft im Team zusammen. "Aber wer dann was auswertet und die Daten verwendet - da gibt es oft zu wenig Trennschärfe und Transparenz", beklagt Bähr. Und das Problembewusstsein fehlt. Auch bei manchen Doktorvätern.
"Vor allem in der älteren Generation sind sich viele gar keiner Schuld bewusst. Mit der Einstellung "Das haben wir immer schon so gemacht" werden sie zu schlechten Vorbildern", sagt Bähr. "Ich wünsche mir, dass auch die Aberkennung eines Titels veröffentlicht wird", sagt Weber-Wulff. Auch Bähr findet dies nicht unberechtigt: "Die Verleihung des Doktortitels ist ja auch ein öffentlicher Akt."
Enge Spielräume
Trotzdem sind die Spielräume für die Unis eng. "Es drohen Klagen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts", sagt Bähr. Gerade bei inkriminierten Professoren sei dies nicht selten. Früher, so betont Weber-Wulff, seien entzogene Doktortitel zumindest im Anhang zum Jahrbuch der Hochschulschriften publiziert worden.
Hat ein Doktorvater, der mehrere gefälschte Arbeiten betreut und durchwinkt, überhaupt mit Konsequenzen zu rechnen? "Solche Doktorväter können wir gegebenenfalls rügen, ihnen eventuell Lehrveranstaltungen entziehen oder die Erlaubnis, Doktorarbeiten zu betreuen. An einer anderen Uni können sie das dann jedoch vielleicht trotzdem wieder tun. Das Wissenschaftsrecht ist nicht besonders stark ausgeschrieben", resümiert Bähr.
Ebenso wie Weber-Wulff glaubt auch Bähr, dass ein differenzierter Doktorabschluss nach US-Vorbild weiterhelfen könne - eine einfachere Variante (MD) für alle Praktiker und eine wissenschaftlich anspruchsvollere (PhD) für diejenigen, die weiterforschen wollen.
Ein Doktorautomatisch mit Studienabschluss?
Der Medizinische Fakultätentag (MFT) glaubt nicht, dass darin die Lösung besteht. "Den MD erhalten Studenten in den USA oder Österreich automatisch mit Studienabschluss. Aber ich sehe keinen Grund, warum Ärzte einen Doktortitel führen sollen, ohne eine Arbeit zu schreiben", sagt MFT-Präsident Prof. Heyo Kroemer von der Uni Göttingen. Unbedingt sinnvoll sei es jedoch, das wissenschaftliche Arbeiten in den Studiengängen via Curriculum zu stärken - wie zuletzt auch vom Wissenschaftsrat empfohlen.
Das Bewusstsein für die Standards wissenschaftlich korrekten Arbeitens habe sich jedoch schon verbessert, meint Kroemer. Eine zentrale Behörde zur Kontrolle von Doktorarbeiten braucht Deutschland seiner Ansicht nach nicht. Plagiatsucher hingegen halten eine zentrale Beratungsstelle für die einzelnen Hochschulen im Umgang mit dem Problem für sinnvoll. "Sonst wird das Rad durch jede Uni neu erfunden", sagt Weber-Wulff.
Nach Ansicht Kroemers können und sollten die Unis dies allein stemmen - er sieht Fakultäten, Doktoranden und Doktorväter in der Pflicht. Zwar sei es juristisch umstritten, Rügen oder die Aberkennung von Titeln zu veröffentlichen. "Ich persönlich würde das aber unbedingt befürworten."
von Andrea Barthélémy, dpa