Experten wollen 7-Tage-Inzidenz kippen
Ein Strategiewechsel ist nach Einschätzung der Expertengruppe um Prof. Matthias Schrappe von der Universität Köln und Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen “unvermeidlich”. In dieser Situation bedeute die alleinige Betonung von Kontaktverboten bei fortwährender Missachtung des Schutzauftrags für die verletzlichen Bevölkerungsgruppen nichts anderes als die Gefahr, die Bevölkerung sehenden Auges in eine „kalte Herdenimmunität“ zu führen. Es sei nicht auszuschließen, dass eine weitgehende Durchseuchung der Bevölkerung so rasch eintritt, dass selbst eine Impfung nicht mehr zu einem Trendwechsel beitragen kann.
Zielgruppen-spezifische Maßnahmen stärker in den Blick nehmen
Aus diesem Grund wiederhole und verstärke die Autorengruppe ihren Appell, den Grundsatz jeder Prävention, nämlich die Ergänzung allgemeiner Maßnahmen durch Zielgruppen-spezifische Maßnahmen, stärker zu berücksichtigen. In der neuesten Version ihres Thesenpapiers (Version 6.1. ) fordern die Wissenschaftler daher erneut “verlässliche Zahlen und Grenzwerte”, die zur Information und Steuerung eingesetzt werden.
Gegenwärtig sei das Robert Koch-Institut wegen des fortwährenden Fehlens von Kohorten-Studien nicht in der Lage, verlässlich Angaben zum Auftreten neuer SARS-CoV-2-Fälle zu machen. Für die sogenannte „7-Tage-Inzidenz“ würden unsystematisch gewonnene Testprävalenzen erhoben, die aus unterschiedlichen Stichproben stammen, und über eine Woche akkumuliert werden. Bei diesem Vorgehen lasse sich weder zur Gesamtpopulation noch zur Dunkelziffer eine verwertbare Aussage machen.
Kohortenstudien: unerlässlich für eine Impfkampagne
Darum schlagen die Autoren zwei neue Steuerungsinstrumente vor, die angesichts fehlender Kohorten-Studien auf die Melderate zwar nicht verzichten können, diesen “fehleranfälligen Wert” jedoch durch andere Parameter aussagekräftiger machen sollen.
So könnte der neu entwickelte “Notification Index” (NI) die Dynamik der Entwicklung beschreiben und den Bias durch die Testverfügbarkeit oder durch das Auftreten eines einzelnen großen Clusters ausgleichen. Der ebenfalls vorgeschlagene Hospitalisierungs-Index (HI) könnte die Belastung des Gesundheitssystems in einer Region anzeigen.
Um die in allen bislang veröffentlichten Thesenpapieren beschriebenen Probleme durch die Stichprobenauswahl zu beheben, seien prospektive Kohorten-Studien notwendig. Diese müssten zufällig ausgewählte Bevölkerungsstichproben umfassen, die regelmäßig (etwa alle 14 Tage) auf das Neu-Auftreten einer SARS-CoV-2-Infektion untersucht werden. Dieses Vorgehen erlaube nicht nur zentrale Aussagen zur Häufigkeitsentwicklung, zu Infektionswegen, zur Symptomatik und zu Risikogruppen, sondern sei “unerlässlich, um Impfkampagnen zu planen und zu bewerten".