Morbus Osler
Die Anamnese der Patientin ergab multiple Erkrankungen (Abbildung 1). Sie litt an einer Schilddrüsenunterfunktion, die medikamentös mit Levothyroxin eingestellt war. Sie hatte eine bekannte Trigeminusneuralgie, die über Gabapentin behandelt wurde. Des Weiteren bestanden ein insulinpflichtiger Diabetes und ein Bluthochdruck. Vermutlich auf Basis einer Hepatitis aufgrund des Morbus Osler litt die Frau zusätzlich unter einer Leberzirrhose. Jüngst war sie wegen eines subduralen Hämatoms in stationärer Behandlung gewesen. Im Allergiepass wurden unter anderem Novocain, Tetracain als Lokalanästhetika und auch Perubalsam, das in zahlreichen Salben vorhanden ist, angegeben.
Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich neben den nicht erhaltungswürdigen Zähnen eine Lingua plicata (Abbildung 2), aber auch multiple fleckige Veränderungen auf der Mundschleimhaut (Abbildung 3). Bei diesen Veränderungen handelte es sich allein um farbliche, das heißt rötlich-bläuliche, Alterationen, die nicht über das Niveau der Schleimhäute erhaben waren. Hier lag der Verdacht auf das Vorliegen eines Morbus Osler nahe, der von der Patientin auch so bestätigt wurde. Abgeklärt worden war dies in einer hämatoonkologischen Praxis.
Diskussion
Pathologische Blutungen können inadäquat lang oder stark ausfallen oder ohne entsprechenden Anlass vonstatten gehen. Unterschieden werden Defekte im Bereich der Thrombozyten, der plasmatischen Gerinnung sowie in den Gefäßen.
Etwa 70 Prozent aller pathologischen Blutungen finden ihre Ursache bei den Thrombozyten, die entweder in nicht ausreichender Zahl vorliegen oder einen Defekt aufweisen. Das heißt, derartige Erkrankungen entziehen sich einer schnellen Diagnostik, da erst Thrombozytenfunktionstestungen durchgeführt werden müssen. Insgesamt 20 Prozent aller pathologischen Blutungen sind plasmatisch bedingt und werden als Koagulopathien beschrieben. Die verbleibenden zehn Prozent sind vaskulär bedingter Natur [Herold G, 2006].
Etwa 90 Prozent aller Blutungsneigungen sind erworben – und diese meist iatrogen verursacht durch eine entsprechende Medikation [Herold G, 2006]. In Abhängigkeit von der Ursache der Blutungsneigung finden sich klinisch unterschiedliche Erscheinungsformen. Bei Koagulopathien kommt es meist zu großflächigeren Blutungen mit in der Regel scharfen Rändern. Bei thrombozytären oder vaskulär bedingten Blutungen finden sich meist nur kleine punktförmige, das heißt petechiale, Blutungen, die im Gegensatz zu kleinen Ektasien von Gefäßen nicht wegdrückbar sind [Herold G, 2006].
Im vorliegenden Fall waren kleine petechiale Blutungen erkennbar, was direkt an einen Thrombozytendefekt oder an einen Gefäßdefekt denken lässt.
Einen thrombozytären Defekt kann man häufig schon direkt in der Zahnarztpraxis detektieren. Hier ist die primäre Hämostase gestört, das heißt, die initiale Vasokonstriktion und Bildung des Thrombozytenagglomerats, das sich direkt nach Verletzung bildet. Wird beispielsweise eine Leitungs- oder Infiltrationsanästhesie gegeben, und es kommt zu einer merklich stärkeren Blutung beim Herausziehen der Kanüle, ist eine Thrombozytopenie oder -pathie nicht unwahrscheinlich, wenn nicht akzidentiell ein Gefäß punktiert wurde. In der Praxis dürften diese Patienten meist Acetylsalicylsäure oder einen anderen Thrombozytenaggregationshemmer erhalten.
Diagnostisch kann der Rumpel-Leede-Test durchgeführt werden. Mit der Blutdruckmanschette wird für fünf Minuten ein Druck aufgebaut, der etwa 10 mmHG höher ist als der diastolische Blutdruck, wobei sich dann bei Vorliegen einer Pathologie petechiale Blutungen einstellen. Dies wäre ein Hinweis für eine vaskuläre oder auch thrombozytäre Störung [Herold G, 2006].
Die im vorliegenden Fall bestehende Erkrankung eines Morbus Osler oder auch Morbus-Rendue-Osler-Weber wird autosomal dominant vererbt mit unterschiedlich starker Penetranz, das heißt, die klinische Ausprägung kann stark variieren. Die Häufigkeit wird mit 1:2.000 bis 1:40.000 beschrieben. Ursächlich ist ein Defekt von Endoglin (HHT1) oder der Aktivin-Rezeptor-ähnlichen Kinase 1 (ALK1[HHT2]). Kleine Teleangiektasien am Übergang von Arteriole zu Venole bilden sich. Typische Prädilektionsstellen für diese Teleangiektasien sind Lippen, Zunge und Nasenschleimhäute. Patienten berichten häufiger über Nasen- oder auch gastrointestinale Blutungen. Ebenfalls gibt es häufiger arteriovenöse Malformationen in Lunge, Leber und auch im Gehirn [Herold G, 2006; Faughnan ME et al., 2011].
Ist die Haut beteiligt, zeigen sich hier häufig 1 bis 3 mm große, flache, rötliche oder auch rötlich-braune Gefäßerweiterungen. Häufige Manifestationsorte hierfür sind das Gesicht, die Ohren, Hand und Fingerrücken, die palmarseitige Hand, der Fußrücken und auch unterhalb der Fingernägel [Bork K, Brugdorf W, Hoede N, 2008]. Jedoch blassen diese auf Druck typischerweise ab.
Teleangiektasien in der Leber in Verbindung mit einer Zirrhose oder auch zerebrale Beteiligungen können mit schweren Komplikationen einhergehen, wie im vorliegenden Fall. Durch die multiplen Blutungen kann sich in der Folge bei diesen Patienten auch eine Eisenmangelanämie einstellen [Bork K, Brugdorf W, Hoede N, 2008].
Veränderungen im Bereich der Mundhöhle finden sich vornehmlich auf dem Lippenrot, der Lippeninnenseite, der vorderen Hälfte der Zunge inklusive der Zungenspitze, sublingual. Seltener sind Wangenschleimhaut, Gingiva oder Gaumen betroffen. Ernsthafte Blutungen hier sind selten, aber auch letale Verläufe sind berichtet worden [Bork K, Brugdorf W, Hoede N, 2008].
Eine Therapie gibt es für diese Krankheit nicht. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass es vermehrt zu Blutungen kommen kann.
Prof. Dr. Dr. Christian Walter
Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie – plastische Operationen, Mediplus Praxisklinik
Haifa-Allee 20, 55128 Mainz
walter@mainz-mkg.de
Dr. Eva Papesch
Praxis für Hämatologie und Onkologie, MED Facharztzentrum
Wallstr. 3–5, 55122 Mainz
Fazit für die Praxis
Anamnese und klinische Untersuchung sind unabdingbare Grund-pfeiler der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung.
Viele Erkrankungen gehen mit Veränderungen im Gesicht oder auch in der Mundhöhle einher und sollten hinterfragt werden.
Beim Morbus Osler handelt es sich um eine genetisch bedingte Veränderung an den Gefäßen mit konsekutiv vermehrten Blutungen.
Literatur
1. Bork K, Brugdorf W, Hoede N: Mundschleimhaut- und Lippenkrankheiten. Stuttgart: Schattauer, 2008.
2. Herold G: Innere Medizin. Köln: Gerd Herold, 2016.
3. Faughnan ME, Palda VA, Garcia-Tsao G, Geisthoff UW, McDonald J, Proctor DD, Spears J, Brown DH, Buscarini E, Chesnutt MS, Cottin V, Ganguly A, Gossage JR, Guttmacher AE, Hyland RH, Kennedy SJ, Korzenik J, Mager JJ, Ozanne AP, Piccirillo JF, Picus D, Plauchu H, Porteous ME, Pyeritz RE, Ross DA, Sabba C, Swanson K, Terry P, Wallace MC, Westermann CJ, White RI, Young LH, Zarrabeitia R; HHT Foundation International – Guidelines Working Group: International guidelines for the diagnosis and management of hereditary haemorrhagic telangiectasia. J Med Genet. 2011 Feb;48(2):73–87