Das Virus erschwert den Einsatz im Himalaya
Unser Ziel ist, dass die speziell ausgebildeten Amchis möglichst viele zahnmedizinische Tätigkeiten durchführen können. Dabei geht es vor allem um die Entfernung von Zahnstein, einfache Füllungen und Extraktionen unter Anästhesie. Abgesehen von Trepanationen werden keine endodontologischen Behandlungen durchgeführt.
Wichtig ist, vor dem Einsatz die fachlichen Besonderheiten für die Behandlung zu klären und das Team über die kultur- und landesspezifischen Gegebenheiten aufzukären. Das trägt unserer Erfahrung nach wesentlich zum Erfolg bei.
Wie kommt ein Stuhl 4.500 Meter den Berg rauf?
Vor Ort ploppen dann noch genug unerwartete Probleme auf. So war es das letzte Mal fast ein Akt der Unmöglichkeit, den neu gespendeten, klappbaren Behandlungsstuhl in die Berge von Ladakh zu schaffen. Erst sprengte er das Standardmaß für den Flugtransport, dann kapitulierten sämtliche Spediteure am Zielflughafen – die Hände gen Himmel reißend. Am Ende wurde er wie ein Rucksack auf die rund 4.500 Meter Höhe getragen, bevor er in der Amchiklinik in Lingshed aufgestellt und in Betrieb genommen werden konnte. Doch der Stuhl war nicht die einzige Herausforderung.
Bis einen Tag vor unserem Abflug nach Kashmir war unklar, ob der Flug überhaupt stattfindet. Dann – unser Team war gerade gelandet – kam es in der umkämpften Region Kashmir zwischen Indien und Pakistan erneut zum Einsatz von Waffen, diesmal heftiger als je zuvor. Die Lage wurde gefährlich. Vor allem, wenn man die Verhältnisse dort nicht kennt. Auch wenn ich alle bei unseren Freunden vor Ort in guten Händen wusste, hätte ich es keinem verdenken können, wenn er die Aktion abgebrochen hätte. Wir entschieden uns aber zum Weitermachen und hielten an unseren Plänen fest.
Immerhin war die Straße ins Bergdorf Lingshed jetzt fertig und der Aufstieg dadurch weniger anstrengend. In der Amchi-Klinik, in der es nun einen zahnmedizinischen Behandlungsraum gibt, trafen sich alle Amchis und das Hilfsteam aus Deutschland, um gemeinsam über mehrere Tage die mobile Einheit für Patientenbehandlung zu nutzen.
Mit viel Engagement und Enthusiasmus waren wir am Werk, bis der Strom in den Solarzellen verbraucht war und der Einsatz des Generators dazu führte, dass die Sicherung durchbrannte. So schnell gibt es hier im Bergland keinen Ersatz. Wir dachten schon: Das war‘s jetzt. Doch zum Glück gab es ja noch unsere kleinen Solarbohrer, mit denen in den anderen Dörfern weiter gebohrt werden konnte.
Die Mundgesundheit ist unterschiedlich, unterscheidet sich aber im Wesentlichen nicht sehr von der in unseren Breiten. Auffällig ist aber der schlechte Zustand der Milchzähne und der ersten Molaren. Hier muss sehr häufig extrahiert werden. Im Winter und bei schlechtem Wetter ist der Weg zur nächsten Klinik sehr beschwerlich oder gar nicht möglich. Daher bieten unsere Partnerprojekte nach Möglichkeit Hilfe vor Ort an.
Zu jeder Aktion gehören immer Prophylaxemaßnahmen mit unserem Maskottchen „Tunu“, die Versorgung mit Zahnbürsten und Untersuchungen in der Schule in Lingshed. Nicht zu vergessen natürlich die Behandlungen und Diagnosen der Amchis, die parallel mit den traditionellen Mitteln und Medikamenten der tibetischen Medizin durchgeführt wurden.
Während der sehr kurzen Vegetationsperiode müssen in 4.000 bis 5.000 Metern Höhe die Nahrungsmittel für Mensch und Tier für den Winter eingebracht werden. Außerdem wird aus Yak-Milch Käse und Butter hergestellt. In dieses Leben zahnmedizinische Prophylaxe oder regelmäßige Behandlungen zu integrieren, die in mehrere Tage entfernten Orten durchgeführt werden, ist fast unmöglich.
Stoffmasken helfen und vermeiden Müll
Das Gebiet kann neuerdings auch per Fahrzeug erreicht werden. Das hat natürlich für die Bevölkerung einen großen Nutzen. So kann zum Beispiel einfaches Baumaterial hierher geschafft werden, und man hat begonnen, in Lingshed eine Community Hall zu bauen. Wir haben uns an den Kosten für die elektrischen Anlagen beteiligt, unterstützt durch das Hilfswerk Deutscher Zahnärzte (HDZ).
Die Entwicklungen, zum Beispiel die Ablösung Ladakhs aus dem Bundesstaat Jammu und Kashmir sowie seine Umwandlung in ein Union Territory Ladakh, werden wir sicherlich in Zukunft bei unserer Projektarbeit berücksichtigen müssen.
In 15 Jahren hat uns bisher nichts aufgehalten – nun stoppte uns das Virus. Jetzt müssen vor allem die Menschen vor Ort geschützt werden, denn die Region ist weit schlechter ausgestattet als Deutschland. Als Helfer darf man nicht einfach so hier aufschlagen, denn man könnte die Infektion einschleppen. Das wäre fahrlässig.
Seit April sind die Schulen in der nordindischen Himalaya-Region geschlossen. Wir planen unseren nächsten Einsatz erst 2021 und versuchen bis dahin – so gut es über die Distanz möglich ist –, den gelernten medizinischen Kräften vor Ort zu helfen. Mit unseren Augen, Ohren und vor allem unseren Herzen sind wir wie immer im Himalaya. Wir unterstützen jetzt finanziell das Anfertigen von Stoffmasken für die Dorfbewohner. Sie können gewaschen und mehrfach verwendet werden. Das vermeidet Müll und sorgt dafür, dass jeder immer eine Maske hat.
Da der Schulunterricht in Ladakh nun fast das ganze Jahr ausfällt, wird er in den von uns medizinisch betreuten Dörfern selbst organisiert und von Freiwilligen und den älteren Schülern übernommen. Wir unterstützen auch das Projekt finanziell und freuen uns über die lobenswerten Initiativen.
Maik Wieczorrek
1. Vorsitzender
Ladakhpartners-Partnership Local Doctors e.V.