„Ärzte und Zahnärzte sollten mehr über den Nationalsozialismus wissen!“
Klein: „Es gibt heute zu viele Mediziner, die unzureichende Kenntnisse über die Rolle der Medizin im Dritten Reich haben – und hier schließe ich Zahnmediziner mit ein. Beispielsweise fehlt es an Wissen über die menschenverachtenden Versuche und die eklatanten Verstöße gegen den Hippokratischen Eid von Ärzten und Zahnärzten in der Zeit des Nationalsozialismus.“
Klein setzt sich daher dafür ein, dass die Approbationsordnung für Mediziner und Zahnmediziner ergänzt wird um die Geschichte und die Verantwortlichkeit während der Zeit des Nationalsozialismus. „In dieser Zeit haben viele Berufsgruppen Schuld auf sich geladen, indem sie an den Verbrechen, vor allem an den deutschen und europäischen Jüdinnen und Juden, mitgewirkt haben – so auch deutsche Zahnärzte“, erläutert Klein.
Die Approbationsordnung muss geändert werden
„Über die Verstrickung der Zahnärzte ins Unrechtssystem der Nazis wissen die heutigen Studierenden der Zahnheilkunde nach meinem Eindruck viel zu wenig. Den zahnmedizinischen Fakultäten sollte daran liegen, dass die angehenden Zahnärzte in Zeitalter ständiger Ethikdebatten ein Bewusstsein hierfür entwickeln.“
Von hoher Bedeutung ist für Klein das Projekt der Zahnärzteschaft zur Aufarbeitung der NS-Zeit im Berufsstand. Mit der Untersuchung der Rolle der Zahnärzte während des Dritten Reichs stelle die Zahnärzteschaft sich ihrer Verantwortung. Er verwies darauf, dass sich über 60 Prozent der Hochschullehrer der Zahnheilkunde und Kieferchirurgie der NSDAP angeschlossen hatten. „Das ist ein weitaus höherer Prozentsatz im Vergleich zu anderen Berufsgruppen“, sagte Klein. „Ich halte es für wichtig, dass diese Vergangenheit der Zahnärzte in Deutschland aufgearbeitet wird. Aus diesem Grund ist eine Ergänzung der Approbationsordnung für Zahnärzte erforderlich.“
Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Inhaber des gleichnamigen Lehrstuhls der RWTH Aachen und Leiter des zahnärztlichen Aufarbeitungsprojekts, begrüßt die Initiative des Antisemitismusbeauftragten als „richtig und wichtig“, denn die ärztliche Approbationsordnung sehe bisher keine verpflichtete Lehre in „NS-Medizin“ vor. Er erinnerte daran, dass das Thema an der RWTH Aachen bereits vor zehn Jahren eigeninitiativ in die Pflichtlehre aufgenommen worden sei. Dort werde der Medizin im Nationalsozialismus seitdem ein ganzer Seminartag gewidmet. Das liege aber auch daran, dass es in Aachen einen „Modellstudiengang“ gebe und deshalb dort von den üblichen Lehrinhalten des Regelstudiengangs Medizin abgewichen werden dürfe.
Die Studierenden sind regelmäßig schockiert
Groß: „Jedenfalls stellen wir in diesen Seminaren immer wieder fest, wie wenig Vorwissen die Studierenden mitbringen und wie schockiert sie auf die Verbrechen reagieren. Deshalb brauchen wir möglichst bald eine solche Änderung in der AO. Ich empfehle allerdings, beide Seiten zum Thema zu machen: Die Verbrechen von Ärzten im Nationalsozialismus – um die es dem Antisemitismusbeauftragten geht –, aber auch die vielen jüdischen Opfer unter den Ärzten und Zahnärzten, denn gerade diese beiden Berufe waren unter jüdischen Akademikern weitverbreitet. Ärzte waren eben beides: Täter und Verfolgte.“
Groß verwies außerdem darauf, dass aus ganz ähnlichen Gründen vor 15 Jahren der Herbert-Lewin-Preis ins Leben gerufen worden sei, an dem mittlerweile auch die BZÄK und die KZBV beteiligt sind. „Damit zeichnen wir – das Preisgericht – Arbeiten aus, die sich wissenschaftlich mit der Rolle der Ärzteschaft während der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen“, erklärte er. „Diese Schriften stammen meist von jungen Doktoranden der Medizin und der Zahnheilkunde. Je früher wir also unseren Nachwuchs für dieses Thema sensibilisieren, desto intensiver und breiter werden auch die Forschungsaktivitäten in diesem Bereich ausfallen.“