Der Einfluss von Implantaten auf alle anderen Fachgebiete
Parallel zum wissenschaftlichen Programm veranstaltete die Akademie Praxis und Wissenschaft (APW) während des Kongresses Praxisseminare rund um die Implantologie. Ein besonderer Höhepunkt war die Auftaktsendung des zahnmedizinischen TV-Expertenkanals MEDLIVE und der International Online Academy (IOA). Nachfolgend wird über einzelne Vorträge und Seminare berichtet.
Implantologie – ein Teil der ZMK-Heilkunde
Ex-DGZMK Präsident Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner, Mainz, teilte in seinem Vortrag die Geschichte der Implantologie in fünf Phasen ein: Zuerst war die Zeit des Pioniergeistes, der Empirie und der ersten klinischen Ergebnisse stellvertretend verbunden mit den Namen Linkow und Pruin. Die zweite Phase galt der systematischen Grundlagenforschung und der gezielten klinischen Anwendung, die dritte den systematischen Studien mit Verlaufskontrollen, Langzeitbeobachtungen und der klinischen Routineanwendung. In der vierte Phase, die die letzten 15 Jahre umfasst, erfolgte eine Ausweitung der Indikation mit erhöhten ästhetischen Ansprüchen, die fünfte Phase schließlich gilt der Zukunft mit Fragen der Sofortbelastung, zum Einsatz von Wachstumsfaktoren und der computergesteuerten Implantologie. Weiterhin ging Prof. Wagner auf Detailfragen der gesteuerten Knochenregeneration (GBR), Knochenersatzmaterialien, Sinuslift, Kallusdistraktion und die verschiedenen Oberflächenmodifikationen ein. Zur Klärung dieser Detailfragen forderte er zum Schluss seines Vortrags nachdrücklich einen engen Forschungsverbund zwischen Universität und Praxis.
Zukunftsperspektiven für Implantate in der Chirurgie
Prof. Dr. Dr. Friedrich W. Neukam, Erlangen, referierte über erweiterte Indikationen für Implantate. Diese finden sich zum Beispiel in der Kieferorthopädie bei der Verwendung des Gaumenimplantates als stabilisierender Block für Frontzahnachsveränderungen oder des Zygomaimplantates bei extremer Oberkieferalveolarfortsatzatrophie. Die Sofortbelastung von Implantaten hingegen sieht Prof. Neukam als problematisch an, da die Freisetzungen von BMPs (bone morphogenetic proteins) und Zytokinen erst nach der Implantation beginnen und die Reifungsphase mit Umbau des Knochens zunächst abgewartet werden muss, um entsprechend hohe Kaukräfte zu erfüllen.
MEDLIVE – the medical expert channel
Am Vormittag des ersten Kongresstages fand die Live-Auftaktsendung des zahnmedizinischen TV-Expertenkanals MEDLIVE statt. Einmal wöchentlich soll eine dreieinhalbstündige Sendung aus allen Bereichen der Medizin und Zahnmedizin mit Kongressberichten, Expertenmeinungen, Fortbildungsbeiträgen, Workshops und einem Video-Forum informieren. In Kooperation mit der Akademie Praxis und Wissenschaft (APW) soll durch die International Online Academy (IOA) ebenfalls ab 2002 erstmals die Theorie des Curriculums „Implantologie“ der APW und DGI online angeboten werden. Die Auftaktsendung beinhaltete neben der Vorstellung des Programms eine Live-Übertragung aus dem Universitätsklinikum Erlangen. Hier wurde von PD Dr. Dr. Stefan Schultze-Mosgau eine beidseitige Sinusbodenaugmentation mit intraoral entnommenem Knochen, Knochenersatzmaterial und „plateled rich plasma“ (PRP) durchgeführt.
Parodontitistherapie und Implantate
Prof. Dr. Thomas F. Flemmig, Münster, ging zunächst auf die Problematik ein, ob bei einem parodontal angeschlagenen Zahn einer Parodontitistherapie oder zum Erhalt des Knochens der Extraktion mit anschließender Implantation der Vorrang zu geben ist. Er konnte in seinen Ausführungen zeigen, dass bei 50 Prozent Knochenverlust auch ökonomisch die Parodontitistherapie die bessere Wahl darstellt. Bei einem Knochenverlust von über 75 Prozent hingegen, bei der eine sehr schlechte Prognose mit einem hohen parodontologischen Therapiemisserfolg besteht, bietet eine Implantation die bessere Alternative. Parodontitistherapie und Implantate stellen, so Prof. Dr. Thomas Flemmig, daher eine sinnvolle Ergänzung dar.
Implantatdesign, Sofortund Frühbelastung
Dr. Roland Glauser, Zürich, berichtete in seinem interessanten Vortrag über Implantatdesign und Stabilitätsaspekte. Zum Zeitpunkt der Implantatinsertion ist die Primärstabilität neben der Art der Aufbereitung, der Implantatlänge und des Implantatdurchmessers maßgeblich durch das Makrodesign (Implantatgestaltung) des Implantats beeinflusst. Dieser primäre, rein mechanische Halt wird dann zunehmend durch eine biologische Verankerung ersetzt. Hierfür ist das Microdesign mit der Oberflächenstruktur des Implantats verantwortlich. Durch Modifikationen dieses Microdesigns ist die biologische Stabilität früher zu erreichen und eine frühere Belastung der Implantate möglich. Aussagen zum Grad der Osseointegration wurden hier mit Hilfe der Resonanzfrequenzanalyse getroffen.
Computergestütztes Operieren
In diesem APW-Praxisseminar ging PD Dr. Dr. Stefan Haßfeld, Heidelberg, auf die rechnergestützte Chirurgie mit Möglichkeiten der Bildgebung, Bildverarbeitung, Operationsplanung und -simulation ein. Da das Orthopantomogramm für die Planung in der Implantologie zum Teil nur unvollständige räumliche Informationen bietet, wird für komplexe Fälle zunehmend empfohlen, computertomographische Daten zu nutzen. Die aktuellen Techniken der Informatik ermöglichen eine semiautomatische Markierung des Mandibularkanals, eine dreidimensionale graphisch interaktive implantologische Planung und die computergestützte Implantatinsertion. PD Dr. Dr. Stefan Haßfeld stellte ein kommerziell verfügbares, interaktives 3DPlanungssystem für die Implantologie vor. Für die Umsetzung auf das Operationsgebiet bieten sich neben Bohrschablonen und Navigationssystemen prinzipiell auch in der Erprobung befindliche Medizinroboter an. Hier sind die Probleme der Patientenbewegungen und einer geeigneten Fixierung noch nicht abschließend geklärt.
Zahntechnische Probleme bei Implantaten
In diesem Zahntechniker-Seminar betonte Prof. Dr. Jörg Strub, Freiburg, zunächst, dass die technischen Probleme abhängig vom jeweiligen Implantatsystem sind. Hierbei ergeben sich spezielle Problematiken bei Systemen mit interner oder externer Verschraubung, okklusaler oder horizontaler Verschraubung oder zementierter Suprakonstruktion. Bei Einzelkronen lassen sich durch Zementierung gute Ergebnisse erzielen, bei Brücken ergeben sich Probleme in der Passgenauigkeit, hier liegen noch keine wissenschaftlichen Daten für größere, zementierte Restaurationen vor. Für den implantologischen Ersatz eines Unterkiefermolaren mit einem durchmesserstarken Implantat wird meistens sehr viel Knochen benötigt, hier empfiehlt Prof. Strub die Verwendung von zwei normalen oder durchmesserreduzierten Implantaten. Insgesamt wünschte sich Prof. Strub eine engere Partnerschaft zwischen Zahntechniker und Zahnarzt, um die immer größer werdenden Herausforderungen in der Implantologie gemeinsam im Team zu lösen.
Dr. Thomas Verbeck
Poliklinik für Chirurgische ZMK-Heilkunde
Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstr. 17
53111 Bonn