Warnung vor Industrieanleihen

Schuldenfalle schnappt zu

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Seit gut zwei Jahren purzeln die Aktienkurse in den Keller. Viele Anleger schichteten daher ihr Kapital in Festzinstitel um. Da aber sichere Staatspapiere nur noch Magerrenditen bieten, investierten die Geldanleger in letzter Zeit in die vergleichsweise ertragstarken Anleihen von Industrieunternehmen. Jetzt aber steht immer häufiger die Rückzahlung des hier angelegten Geldes auf dem Spiel.

Es gibt Anleger, die gehen davon aus, dass man mit festverzinslichen Anleihen – im Gegensatz zu Aktien – kein Geld verlieren kann. Solange die Anlage läuft, gibt es die fest zugesagten Zinsen. Und spätestens am Ende der Laufzeit wird das ausgeliehene Geld zu hundert Prozent zurückgezahlt. Ein großer Irrtum.

Besonders kluge Köpfe glaubten und glauben, mit Rentenfonds, die auf Hochzinsanleihen ausgerichtet sind (im Fachjargon „High Yield Bonds“ genannt), relativ risikofrei am Kapitalmarkt die hohen Festzinsen abgreifen zu können. Doch auch diese Investoren haben sich in den Finger geschnitten. Von 99 Hochzinsfonds, so analysierte der Feri Trust aus Bad Homburg, weisen auf Sicht von zwölf Monaten nur zehn eine positive Rendite auf. Mit 89 Fonds hingegen verloren die Anleger innerhalb eines Jahres bis zu 30 Prozent. Der High-Yield-Index der US-Investmentbank Merrill Lynch bestätigt dieses niederschmetternde Ergebnis. Danach haben die Liebhaber der Hochzinsanleihen sogar bei einer Anlagedauer von fünf Jahren ein schlechtes Geschäft gemacht. Ihre Jahresdurchschnittsrendite lag bei 1,2 Prozent und damit unter dem Sparbuch-Niveau.

Die Garantie hoher Zinsen steht zwar in den Prospekten. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Wer sich etwa in die hier zu Lande recht zahlreich aufgelegten Anleihen der Republik Argentinien eingekauft hat, muss jetzt feststellen, dass auch vermeintlich sichere Staatsanleihen plötzlich nicht mehr mit regelmäßigen Zinszahlungen bedient werden und eine Rückzahlung des investierten Geldes in den Sternen steht. Damit wird der Preis für die relativ hohen Zinsen südamerikanischer Schuldner – die Nominalsätze liegen zwischen sieben und elf Prozent – teuer bezahlt. Ein weit über der Norm angesiedelter Zinssatz ist kein gutes Zeichen für die Bonität des Schuldners. Und das kann im Anleihegeschäft oft auch den Totalverlust der Forderung bedeuten.

Banken mit weißer Weste

Viele Investoren, die den Mammutzinsen maroder Staaten nicht trauen mochten, haben ihr Sparkapital vermeintlich grundsoliden Unternehmen anvertraut. Oft war hierfür der Rat der Banken ausschlaggebend. Denn Unternehmensanleihen rentierten sich im Schnitt um mindestens anderthalb, bisweilen sogar um gar drei Prozentpunkte besser als beispielsweise Bundesanleihen. Der Bankenrat war in vielen Fällen nicht ohne Grund so eindringlich: Das Geldinstitut hat in der Regel sehr genauen Einblick in die finanziellen Risiken ihrer Anleiheklientel aus dem Unternehmenslager. So kam es in jüngster Zeit häufiger vor, dass eine Großbank lieber die Provision aus der Platzierung einer Unternehmensanleihe einstrich, als selber das Kreditrisiko zu übernehmen. Dieses übertrug sie dann lieber auf die privaten Geldanleger, indem sie zur Zeichnung der frisch aufgelegten Unternehmensanleihe riet.

Nun stellt sich nach dem Versanden der letzten vier Konjunkturund Börsenboomjahre heraus: Viele der großen – und früher bestens bonierten – Unternehmen Europas türmten, angetrieben durch einen wahnwitzigen Expansionsdrang, gigantische Schuldenberge auf. So haben die 50 größten europäischen Konzerne laut einer Ermittlung der Bonitäts-Rating-Agentur Standard & Poor’s allein während der letzten drei Jahre ihren Schuldenstand von insgesamt 230 Milliarden auf 564 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Nur neun der 50 untersuchten Konzerne haben ihren Schuldenstand gesenkt. Die 50 Großkonzerne bilden indes nur die Spitze des Eisbergs. Nach einer Berechnung der WGZ-Bank haben Europas Unternehmen von Anfang 1999 bis heute ihr Kreditvolumen um 30 Prozent auf 3 400 Milliarden Euro anschwellen lassen. Noch düsterer präsentiert sich der Schuldenpegel aller US-Unternehmen: Dort verdoppelte sich die Firmenverschuldung während der letzten drei Jahre.

Der Schuldenberg wächst

Die Zahl der Großkonzerne wächst, die durch Verschuldung erheblich an Bonität verloren haben und die für die privaten Zeichner ihrer Anleihen ein erhebliches Risiko darstellen. Die Liste der Wackelkandidaten (siehe Kasten) wurde jüngst um die Namen Fiat, British Airways, United Airlines, Alcatel, ABB, Tyco, GAP, Goodyear-Tire & Rubber, Renault, KPN, Repsol, Ahold oder Nortel Networks erweitert.

Es mehren sich aber auch die Unternehmen, die ihre einst gutgläubigen Anleihekäufer ganz im Stich gelassen haben – sie gingen pleite. Die Anleihe-Investoren verloren teilweise ihr gesamtes Kapital. Ein Beispiel ist etwa der amerikanische Telekom-Riese WorldCom, der sich mit geliehenem Geld zuerst künstlich aufgeblasen und dann seine Bilanzen gefälscht hatte. WorldCom hinterlässt fallierte Anleihen im Wert von rund 23 Milliarden US-Dollar. Allein mit dem letzten Anleihepaket kurz vor der Pleite schaufelte die gierige WorldCom 12,2 Milliarden Dollar überwiegend von Privatanlegern in die damals bereits löchrige Firmenkasse.

Ein aktuelles Beispiel aus Europa: Der britische Kabelnetzbetreiber NTL Communications wird derzeit primär auf Kosten seiner privaten Anleihen-Zeichner saniert. Diese verloren gut elf Milliarden Euro. Diese Summe ist der bislang größte Zahlungsausfall in Europa. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2002 wurden bei europäischen Unternehmen insgesamt Anleihen im Wert von rund 25 Milliarden Euro notleidend, mehr als insgesamt in den 17 Jahren zuvor.

AT&T Canada, der bankrotte US-Glasfasernetz-Betreiber Global Crossing und auch der britische Telekom-Netzausrüster Marconi meldeten jeweils zwischen drei und vier Milliarden US-Dollar an Unternehmensanleihen, die nicht mehr bedient und wohl auch nicht mehr getilgt werden.

Das Jahr der Pleiten

So viel steht fest: Das Jahr 2002 wird als das Jahr mit den bislang größten Anleiheausfällen in die Finanzgeschichte eingehen. Denn allein im ersten Halbjahr gingen insgesamt Anleihen im Wert von an die 76 Milliarden US-Dollar perdu. Die Ausfallrate unter den Industrieanleihen beträgt damit, so rechnete die Rating- Agentur Moody’s aus, etwa 18 Prozent. Sie liegt damit neunmal höher als noch vor fünf Jahren. Und die Warnleuchten für weitere Anleihepleiten blinken bereits. So wurden von Juni 2001 bis Juni 2002 um die 30 Industrieanleihen mit einem ausstehenden Volumen von 47 Milliarden Dollar von Standard & Poor’s von grundsolide auf Schrottstatus herabgestuft. Die Kurse dieser zumeist börsennotierten Anleihetitel fielen dementsprechend um gut die Hälfte – Verluste, die der Investor realisiert, will er sich von diesen Papieren trennen.

Die maßlose Überschuldung vieler Großunternehmen und die damit verbundene Gefahr eines vorzeitigen Exitus ihrer Industrieanleihen setzt auch auf anderer Ebene eine Todesspirale in Gang: Konzerne, die erst einmal ihre Schulden mit Zins und Tilgung bedienen müssen, um überleben zu können, fahren massiv ihre Investitionen herunter. Das zieht andere Unternehmen, die von diesen Investitionen existieren, mit in den Überlebenskampf. Prominente (noch lebende) Beispiele sind Nortel Networks, Ericsson, Lucent Technologies oder Marconi.

Insgesamt bremst die überbordende Schuldenlast, ausgelöst durch eine unbändige Expansionslust auf Kredit während der verflossenen Boomjahre, das weltweite Wirtschaftswachstum. Denn Finanzmittel, die für Zins und Tilgung bereitstehen müssen, werden nicht investiert. Somit fehlt es an Aufträgen, deshalb an Umsätzen und Gewinnen. So wird der (erhoffte) Konjunkturaufschwung durch den Schuldenberg wahrscheinlich weiterhin stark gebremst.

Überschuldung des Mittelstands

Womit sich im Großen die Konzerne – überwiegend aus Großmannsucht – herumschlagen, haben auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen ihre Probleme. So erwartet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform, die hier zu Lande die Kreditverhältnisse auch im Kleinen überwacht, für Ende 2002 mit rund 40 000 Insolvenzen einen bisherigen Negativrekord. Er übertrifft das ohnehin schon lausige Pleitenjahr 2001 um 23 Prozent. Der häufigste Insolvenz-Grund: Illiquidität durch fehlende Kreditwürdigkeit oder Überschuldung. Den volkswirtschaftlichen Schaden schätzt Creditreform allein in Deutschland auf 45 Milliarden Euro, den Verlust an Arbeitsplätzen auf 600 000.

Creditreform-Geschäftsführer Helmut Rödl: „Die Megapleiten sind in den Schlagzeilen, der Mittelstand aber stirbt still und heimlich.“ Totengräber sind vielfach die Banken. Sie haben in aller Regel im Verbund mit den privaten Anleihe-Investoren an den Megapleiten sehr viel Geld verloren. Deshalb halten sie bei den Klein- und Mittelbetrieben die Darlehenstaschen zu und ziehen sich Schritt für Schritt aus der zunehmend riskanten Kreditvergabe zurück.

Der langjährige Autor unserer Rubrik „Finanzen“ ist gerne bereit, unter der Telefon-Nr. 089/64 28 91 50 Fragen zu seinen Berichten zu beantworten.

Dr. Joachim KirchmannHarthauser Straße 2581545 München

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