Spekulationssteuer auf dem Prüfstand

Willkür, Fesseln und Fallstricke

Wohl keine andere deutsche Steuerregelung wurde so unklar formuliert wie die Spekulationssteuer. Spekulationsverluste lassen sich neuerdings zwar vor- und zurücktragen. Für das grausame Börsen-Baissejahr 2001 eigentlich ein Steuersegen. Doch dabei drohen Willkür und Fallen.

Wer von der Spekulationssteuer – positiv oder negativ – betroffen ist, sollte nach dem 16. Juli 2002 aufmerksam die Zeitung lesen. Denn an diesem Tag will der Bundesfinanzhof (BFH) in München, das höchste deutsche Steuergericht, entscheiden, ob man das Verfahren mit dem Aktenzeichen IX R 62/99 zur endgültigen Klärung an das Bundesverfassungsgericht weiterleiten soll.

Geklagt hatte der Kölner Steuerrechtler Klaus Tipke. Er hält die Spekulationssteuer für nicht gerechtfertigt, nach der Spekulationsgewinne, die innerhalb eines Jahres realisiert wurden, der Steuer unterliegen. Sein Argument: Rund 95 Prozent all jener, die eigentlich Ihre Gewinne aus dem vorfristigen Verkauf von Aktien oder sonstigen privaten Gütern (etwa Autos, Kunstwerke, Antiquitäten) zu versteuern hätten, würden diese Steuer hinterziehen. Das geschehe ohne große Skrupel, weil eine fällige Spekulationssteuer nur sehr schwer nachprüfbar sei. Doch bereits 1991 hätte das Bundesverfassungsgericht (BVG) zu Karlsruhe unmissverständlich erklärt, dass eine unzulängliche Prüfung eine Steuer verfassungswidrig mache.

Konsequenz für den ehrlichen Steuerzahler, der in den Jahren 2000 oder 2001 Kursgewinne über die Freigrenze von 512 Euro hinaus – vormals 1000 Mark – realisiert hat (wohl eher ein Ausnahmefall): Er kann mit Verweis auf den anhängigen Prozess beim BVG den Steuerbescheid anfechten. Dieser wird dann mit einem Verweis auf den entsprechenden Steuerrechtsparagrafen ohne viel Aufhebens für „vorläufig“ erklärt. Entscheidet dann das höchste deutsche Verfassungsgericht zu Gunsten des Klägers Tipke, dass die Spekulationssteuer als solche nicht mit der Verfassung konform geht, erlischt die Steuerschuld. Wer den Einspruch versäumt, kann gezahlte Spekulationssteuern nachträglich nicht zurückfordern.

Freie Bahn für Steuerfahnder

Doch der Verfassungsstreit ist nur ein Aspekt im Kuddelmuddel rund um die Spekulationssteuer. Ein aktueller Beschluss des BFH (Aktenzeichen VII B 152/01) erlaubt nun den Steuerfahndern, von den Banken Auskünfte über Spekulationsgeschäfte zu verlangen, ohne dass ein konkreter Hinweis auf ein Steuervergehen vorliegen muss. Das war bislang Bedingung. Mit dem aktuellen BFH-Beschluss in der Tasche kann der Fiskus nun in Sachen Spekulationssteuer zur Rasterfahndung schreiten. So wie er mit großem Erfolg, fiskalisch wie moralisch, flächendeckend in der deutschen Bankenlandschaft nach Steuerfluchtgeld gefahndet hat, das vor der Zinsabschlagsteuer nach Luxemburg geflüchtet war.

Technisch sind die Finanzbehörden auf eine Rasterfahndung in Sachen Spekulationssteuer bestens vorbereitet. Die Betriebsprüfer der Banken operieren seit Jahresbeginn mit EDV-Systemen und entsprechender Software, die es erlaubt, sich aus der Ferne in die Bankcomputer einzuloggen. Das Bankgeheimnis ist dabei kein Hindernis. Denn die Prüfer durchleuchten ja keine Kundenkonten, sondern die Transaktionen der Bank, auch die im Auftrag von Kunden. Darunter fällt selbstverständlich die Kauf- und Verkaufsorder für Wertpapiere. Diese Transaktionen müssen kundenbezogen verbucht werden. Und dabei lässt sich ganz einfach feststellen, welcher Kunde innerhalb eines Jahres ein Wertpapiergeschäft mit Spekulationsgewinn abgeschlossen hat. Das zuständige Finanzamt bekommt dann eine Kontrollmitteilung. Taucht der erlöste Gewinn nicht in der Steuererklärung des betreffenden Steuerzahlers auf, bekommt dieser ein Problem. Überdies wurden vielerorts die Sachbearbeiter der Einkommensteuerklärungen speziell geschult, eventuellen Spekulationsgewinnen auf die Spur zu kommen. Macht etwa ein Steuerzahler seit Jahren schon fleißig Depotgebühren, Kosten für Hauptversammlungsbesuche und dergleichen geltend, ohne jemals einen Spekulationsgewinn deklariert zu haben, kann er darauf zählen, unter besonderer Aufsicht zu stehen.

Schreckgespenst

Seit Jahresbeginn hat die Spekulationssteuer den Ruf, ein Schreckgespenst zu sein. Im Zuge der Steuer(verwirrungs)- reform der amtierenden Regierung wurde nämlich das so genannte Halbeinkünfteverfahren eingeführt. Danach werden nicht nur Dividenden, sondern auch die erzielten Spekulationsgewinne aus Wertpapieren nur noch zur Hälfte besteuert.

Im Gegenzug können die Werbungskosten auch nur zur Hälfte angerechnet werden. Die Anrechnung der von den Aktiengesellschaften gezahlten Körperschaftssteuern auf die zu versteuernden Dividendeneinkünfte entfällt. Das bedeutet: Der Aktienspekulant darf jetzt 1 023 Euro Spekulationsgewinn binnen eines Jahres einfahren und bleibt dann mit 511 Euro immer noch unter der Freigrenze. Aber Achtung: Wer auf dem Steuerformular VA einen Verlustvor- oder Verlustrücktrag geltend macht, bekommt auch nur die halben Verluste angerechnet. Verluste können nach der geltenden Regelung auch für ein Jahr zurückgetragen werden – wenn sie in dem Jahr gemeldet werden, in dem sie angefallen sind, meint das Bundesfinanzministerium heute. Renommierte Kommentatoren des reformierten Gesetzes lesen jedoch aus dem Text eine Fünfjahresfrist heraus, so dass man Verluste aus dem Jahr 2000 auch noch bis zum Jahr 2005 anmelden könne. Eindeutig sei hingegen, so jedenfalls interpretiert die Steuerberatungspraxis das Gesetz, dass sich Spekulationsverluste bis auf unbegrenzte Zeit vortragen lassen.

Wichtig dabei ist: Es können nur Spekulationsgewinne und -verluste untereinander verrechnet werden. Spekulationsverluste von Kapitalerträgen abzuziehen ist somit nicht erlaubt. Damit ist ein Verlustvortrag lediglich eine Option, irgendwann einmal erzielte Spekulationsgewinne steuerunschädlich zu machen. Dadurch geraten aber viele Aktieninvestoren in eine Zwickmühle: Wer in der Vergangenheit (die Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre) Spekulationsgewinne am Fiskus vorbeigemogelt hat (bis Ende 1998 galt übrigens die Spekulationsfrist von einem halben Jahr), läuft bei der Anmeldung von Spekulationsverlusten Gefahr, durchleuchtet zu werden. Wer hingegen ein gutes Gewissen hat, kann seine erlittenen, durch Verkauf tatsächlich realisierten Verluste anmelden und vortragen lassen. Er schafft sich damit ein Steuerpolster für schnelle Spekulationen. Das ist besonders hilfreich bei zumeist zwangsweise kurzen Ausflügen in die Spekulationsgefilde der Optionsgeschäfte.

Über dieses Jonglieren mit Spekulationsverlusten hinaus gibt es noch weitere, ja sogar raffinierte, Möglichkeiten zur gewinnträchtigen Steuergestaltung. Und hier beginnen dann die Irrungen und Verwirrungen, die das neue Steuergesetz gleichsam provoziert. Dabei bieten sich mehrere Möglichkeiten an.

• Freigrenze mehrfach nutzen:

Der Verlustrücktrag wird zweimal geltend gemacht, um den Spekulationsfreibetrag in Höhe von 512 Euro sowohl für das zurückliegende als auch das aktuelle Steuerjahr auszunutzen. Es gibt Finanzämter, so wird aus der Steuerpraxis berichtet, die hier mitspielen. Aber das Bundesfinanzministerium meint: Die Freigrenze darf bei der Verlustverrechnung keine Rolle spielen. Doch kundige Steuerexperten lesen den Gesetzestext anders. Ein spezieller Erlass soll nun eine eindeutige Regelung herbeiführen. Wann dieser vom Ministerium kommt, ist ungewiss, da er mit den Bundesländern abgestimmt werden muss. Gegen ablehnende Steuerbescheide sollten die Betroffenen mit Verweis auf diesen ausstehenden Erlass Einspruch einlegen.

• Spekulationsgewinn aus Wertpapiergeschäften mit Verlusten aus anderen Privatgeschäften verrechnen:

Der steuerpflichtige Spekulationsgewinn ist nicht auf Wertpapiere beschränkt. Auch private Gebrauchsgüter, wie etwa Autos, Möbel, Kunstwerke oder Antiquitäten, die innerhalb der Spekulationsfrist von einem Jahr mit Gewinn wieder verkauft wurden, unterliegen dieser Spekulationssteuer. Werden Immobilienverkäufe innerhalb von zehn Jahren gewinnträchtig abgewickelt, werden auch hier Spekulationssteuern fällig. Da aber Spekulationsgewinne mit Spekulationsverlusten (auch mit den vorgetragenen) verrechnet werden dürfen, könnte man Verluste auch aus Auto- oder Immobilienverkäufen auf Spekulationsgewinne aus Wertpapieren anrechnen – und umgekehrt. Doch was allgemein im Gesetz geregelt und sogar auf den Steuerformularen für das Jahr 2001 erläutert wird, soll in der Praxis nicht gelten. Der Fiskus spielt nicht mit. Klärung wird auch hier womöglich erst ein höchstinstanzliches Gerichtsurteil schaffen.

• Ehegattensplitting:

Die Freigrenze für Spekulationsgewinne und die Möglichkeit, Spekulationsverluste ein Jahr zurück und unbegrenzt vortragen zu können, gelten pro Person. Daraus ergeben sich für Ehegatten und Familien wiederum Steuergestaltungsmöglichkeiten. Haben Ehegatten getrennte Depots, kann jeder für sich die Freigrenze nutzen, pro Ehepaar sind somit 1 024 Euro steuerfrei. Wichtig: bei der gemeinsamen Steuerveranlagung von Ehegatten verdoppelt sich die Spekulationsfreigrenze – anders als der Sparerfreibetrag – nicht automatisch. Verfügt jedoch jeder Ehepartner über ein eigenes Depot, kann das Paar auch untereinander verlustreiche Aktien übertragen, ein Service, den viele Banken sogar kostenfrei abwickeln.

Die Papiere gelten bei einer verlustreichen Abtretung als „verkauft“. Ein Ehepaar kann somit den erlittenen und „realisierten“ Spekulationsverlust nutzen, ohne dabei die verlustreichen Titel tatsächlich verkauft zu haben.

Joachim Kirchmann

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