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„Kaum gesicherte Zusammenhänge BSE und vCJK“

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Heftarchiv Medizin
Der nachfolgende Beitrag erreichte die Redaktion. Die Meinung des Autors stellt eine These dar, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Die postulierte Bedrohung des Menschen durch die Bovine Spongioforme Enzephalopathie (BSE), auch Rinderwahnsinn genannt, ist bislang minimal. Die „neue“ Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (vCJK) ist derzeit nicht als Infektionskrankheit identifizierbar. Es besteht der Verdacht, dass lediglich die gesteigerte Aufmerksamkeit der Ärzte dazu führte, eine solche Krankheit aus den bekannten Enzephalopathien des Menschen auszugrenzen.

Nach wie vor sind die medizinischen Auswirkungen von BSE auf den Menschen als „Quantité négligeable“ einzuschätzen (zm 3/1998, S. 72-73). Das ist auch das Fazit eines Schwerpunktheftes der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW) mit dem Thema „Creutzfeldt-Jakob-Krankheit/BSE“, das am 15. Februar dieses Jahres – und damit vier Jahre nach dem zitierten Beitrag in den zm – erschienen ist.

Inzidenz der vCJK

In seinem Editorial zum DMW-Schwerpunktheft gibt Prof. Sigrid Poser, Leiterin der Prionenforschergruppe an der Neurologischen Universitätsklinik in Göttingen zunächst einige Fakten zur gesundheitlichen Bedrohung durch BSE bekannt: Das erste in Deutschland positiv auf BSE getestete Tier wurde im November 2000 gefunden. Seither ist in Deutschland noch kein Fall der so genannten neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) entdeckt worden, obwohl intensiv danach gefahndet wurde. Die neue Variante der CJK, vCJK wurde wiederholt mit der Ansteckung der erkrankten Personen mit Material aus BSE-erkrankten Tieren in Verbindung gebracht. In Großbritannien (UK) wurden bislang 113, in Frankreich fünf und in Irland ein Fall identifiziert.

Es bleibt offen, ob die vCJK überhaupt „neu“ ist, oder wegen ihrer (für UK schätzbaren) geringen Inzidenz von 1 : 4 Millionen vorher nur nicht beachtet wurde. Das wendet zumindest in der gleichen Ausgabe der DMW Prof. Roland Scholz aus Gauting ein. Seiner Ansicht nach spricht für den Zweifel an der Neuheit von vCJK. Prof. Hans G. Creutzfeldt selbst, der Entdecker der nach ihm und Prof. Alfons Jacob benannten Erkrankung, beschrieb bereits 1920 einen seiner ersten Fälle – einen erkrankten 23- jährigen Mann – mit genau den Symptomen der so genannten vCJK.

Zusammenhang mit BSE bisher unbewiesen

Der angebliche Anstieg der seit Jahrzehnten bekannten sporadischen Form der CJK, der auch als Argument für eine seuchenhafte Bedrohung des Menschen durch BSE ins Feld geführt wird, ist nach Poser „durch die besondere Aufmerksamkeit zu erklären, die dieser Krankheit in den letzten Jahren zuteil wurde“. Die Inzidenz liegt seit Jahrzehnten konstant bei zirka 1 : 1 Million. Dies wird für Deutschland auch durch die Ergebnisse der seit 1993 laufenden epidemiologischen „Studie zur Epidemiologie und Diagnostik humaner spongioformer Enzephalopathien“ gestützt, über die in der DMW Dr. Brit Mollenhauer, Göttingen, berichtet. Er bestätigt einerseits die konstante Inzidenz der CJK. Außerdem wurde auch in dieser Studie unter den 1247 mit dem Verdacht auf CJK untersuchten Patienten kein einziger Fall mit vCJK entdeckt. Noch immer geht jedoch die Mehrzahl der Prionenforschergruppen davon aus, dass es zumindest einen Zusammenhang zwischen BSE und vCJK gibt. Die angesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse machten ihrer Auffassung nach einen solchen Zusammenhang, also die Infektionsmöglichkeit des Menschen durch Material aus BSE-Tieren, ja überhaupt die Einschätzung der vCJK als Infektionskrankheit im weiteren Sinne „sehr wahrscheinlich“. Wirklich stützende, evidente Forschungsergebnisse für diese Meinung der Prionenforscher führt aber auch Prof. Poser als eine der führenden Vertreterinnen der Prionenforschung nicht an. Im Gegenteil, sie räumt in ihrem Editorial ein, dass „der formale Beweis des Zusammenhangs zwischen BSE und vCJK noch aussteht“.

Gesundheit ist nur minimal gefährdet

Einige Argumente zur Vernunft stellte Prof. Scholz in seinem DMW-Beitrag „25 Thesen gegen die Behauptung, BSE und vCJK seien oral übertragbare Infektionskrankheiten und BSE gefährde die menschliche Gesundheit“ zusammen. Zunächst stellt er die Frage, ob Spongioforme Enzephalopathien (SE) Infektionen oder genetische Defekte sind. Er beantwortet diese Frage deutlich in Richtung vererbbarer Keimbahndefekte oder erworbener somatischer Mutationen. Hier zitiert er interessanterweise auch den Nobelpreisvortrag von Prof. Stanley B. Prusiner, dem Urheber der Prionenhypothese. Dieser hat jedoch die von ihm entdeckte genetische Bedingtheit der SE später aus unbekannten Gründen nicht mehr weiterverfolgt. Auch sieht Scholz die Ursache der vermehrten BSE-Erkrankungen bei Rindern in UK eher als Folge züchterischer Aktivitäten denn als durch Tiermehl verursachte Seuche. Er bemängelt, dass man in den vergangenen Jahren zwar eine Unzahl von Laborexperimenten zur Übertragbarkeit von BSE gemacht habe, den letztlich für die Tiermehl-Hypothese beweiskräftigen fraktionierten Fütterungsversuch aber nicht.

Für genetische Ursachen der gehäuften BSE sprechen auch die sehr detailgenauen Verbreitungskarten des Veterinary Records für UK von 1992. Hier fällt auf, dass Counties mit Sitz der staatlichen Besamungsanstalt die meisten BSE-Fälle haben, dass Counties mit vielen an (der verwandten) Scrapie verendeten Schafen zum Teil fast BSE-frei sind und dass bevorzugt Rinder erkranken, deren Mütter später BSE-Symptome ausbildeten.

Die genetische Hypothese besticht nach Scholz vor allem für die in Deutschland seit November 2 000 entdeckten 123 Rinder mit positivem BSE-Test. Die meisten von ihnen hatten keine neuropathischen Symptome. Diese unter fast zwei Millionen getesteten Rindern ermittelten Fälle stammen zu fast 50 Prozent aus Bayern, hier wiederum aus sehr umschriebenen Gebieten, die auffälligerweise am stärksten mit den Fallouts von Tschernobyl belastet waren. Auch dies könnte – zumindest so lange keine anderen plausiblen Hypothesen aufgestellt wurden – dafür sprechen, dass durch Radioaktivität vermehrt entstandene spontane somatische Mutationen für die Auslösung der BSEVarianten im Nervenmaterial der betroffenen Tiere verantwortlich sind.

Wenn also die Spongioformen Enzephalopathien höchst wahrscheinlich genetisch bedingt und somit keine Infektionskrankheiten sind, so besteht auch kaum eine reale Gefahr, dass Menschen sich an Material aus BSE-erkrankten Rindern „anstecken“ und daraufhin die vCJK entwickeln.

So folgert auch die Nationale CJK-Überwachungsstelle in Edinburgh und London in ihrem Bericht 1999: „We have found no evidence of any dietary, iatrogenic or occupational risk for vCJD“.

Konsequenterweise hat daher auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin seine zunächst drastische Warnung vor einer vCJK-Epidemie zurückgenommen. Obwohl sich das Risiko „nicht präzise“ voraussagen lasse, rechnet Dr. Michael Beekes aus dem Robert-Koch-Institut nunmehr für die kommenden vierzig Jahre in Deutschland bestenfalls mit zirka 400 vCJK-Fällen. Das ist der zehnte Teil der zirka 4 000 Fälle an klassischer, sporadischer CJK, die bei normaler Inzidenz für die kommenden 40 Jahre erwartet werden. Sollten also wirklich Personen unter der Symptomatik der vCJK erkranken, würde sich die Gesamtinzidenz der Spongioformen Enzephalopathien kaum verändern.

Etablierte Prionenforscher beharren auf Gefährdung

Diese von Scholz aufgestellte Indizienkette gegen eine gesundheitliche Gefährdung durch BSE kann begreiflicherweise die etablierte Prionenforschung nicht ohne Einspruch stehen lassen. Daher erschien es der Heftherausgeberin Poser auch angebracht, als letzten Beitrag des DMW-Heftes eine Art „Widerlegung“ der 25 Thesen von Scholz durch ihren Mitarbeiter Dr. Walter J. Schulz-Schaeffer anzufügen.

Schulz-Schaeffer wiederholt hier die etablierte Meinung der Prionenforschung, dass ein Risiko für den Menschen durch BSE-infiziertes Material, auch wenn der formale Beweis dafür fehle, „auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr wahrscheinlich“ sei. Bei der Quantifizierung dieses „sehr wahrscheinlichen“ Risikos kommt der Autor dann allerdings in Schwierigkeiten. Das Fazit seines Beitrages lautet: „Das tatsächliche Ausmaß der Gefährdung von Menschen durch den BSE-Erreger ist bei unbekannter Inkubationszeit und unbekannter Speziesbarriere bislang nur in groben Umrissen abschätzbar.“

Der geneigte Leser mag sich also selbst eine Meinung bilden, je nach Ängstlichkeit, ließe sich noch anfügen. Der kritische Leser kann sich aber auch fragen, ob vertretbar war, ganze Berge von Rindern zu keulen, nur weil ein Tier der Herde positiv auf BSE getestet wurde. Auch stellt sich die Frage, ob die Millionen von Fördergeldern, die in die Prionenforschung fließen, nicht lediglich durch eine öffentliche Panikmache verfügbar wurden.

Dr. Till U. Keil

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