Transparency International zum „Globudent-Skandal“

Das System braucht mehr Transparenz

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Mit einem 13 Seiten starken Papier reagiert die deutsche Sektion des Vereins Transparency International (TI) auf die im Herbst aufgekommenen Betrugsvorwürfe gegen einzelne Zahnärzte im sogenannten Globudent-Skandal. Die zentralen Forderungen der weltweit operierenden und anerkannten Organisation:
Mehr Transparenz im Gesundheitssystem durch zusätzliche Regularien. Die zm bieten nachfolgend eine Analyse der TI-Argumente aus zahnärztlicher Sicht.

1993 als Organisation gegen Korruption gegründet, mittlerweile in 122 Ländern aktiv, hat die im vergangenen Jahr mit dem Carl Bertelsmann-Preis 2002 ausgezeichnete Transparency International eine illustre Gruppe korporierter Mitglieder. Ob Allianz, Lufthansa, Bosch, Daimler-Chrysler, Deutsche Bahn oder die Landesapothekerkammer Hessen – namhafte Unternehmen und Organisationen unterstützen den Verbund zur Vermeidung von Korruption in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.

Der „Wachhund gegen Korruption“, so die Organisation über sich selbst, hat nach einem umfangreichen Papier zu „Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen“ aus dem Jahr 2000 anlässlich der im Spätherbst 2002 aufgekommenen „Globudent-Affäre“ eigene Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz im System vorgeschlagen. Die Kernpunkte der Vorschläge:

• eine detaillierte Rechnung bei Füllungen für Kassenpatienten, die diese verstehen und damit auch überprüfen können,

• eine Verpflichtung von Kassen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, sämtliche Verträge und Vereinbarungen zur Einsicht zur Verfügung zu stellen,

• die Dokumentation teurer und wegen unmöglicher zerstörungsfreier Prüfung nicht kontrollierbarer Zahnersatz-Arbeiten durch Fotos,

• sowie die Aufbewahrung der Dokumente zur Nachvollziehbarkeit von Geschäftsverbindungen zwischen Zahnarzt und Labor über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus. In jedem Fall sei, so die Organisation in ihrer Einführung zum Papier, „im Interesse der Beitragszahler auf einer transparenten, getrennten Abrechnung von zahnärztlichen und Laborleistungen zu bestehen“. Ein machbarer Beitrag, das „komplizierte und völlig intransparente Fachgebiet“ im Rahmen des Systems zusätzlich abzusichern?

Rechnung für den Patienten

Nicht ohne Abstriche. Denn obwohl die Darstellung des zahnärztlichen Abrechnungs- und Prüfungsverfahrens im Grundsatz korrekt erfolgt, wird im TI-Papier nicht deutlich zwischen Datenübermittlung für Abrechnungszwecke und verschiedenen Prüfungsverfahren unterschieden. KZBVJustitiar Dr. Thomas Muschallik: „Dies führt zum Teil zu generellen Aussagen, die in dieser Form nicht zutreffend sind.“ So findet sich in dem Papier die Aussage, eine Zuordnung von Leistungsdaten zu bestimmten Patienten und damit eine Überprüfung der erbrachten Leistungen sei systematisch ausgeschlossen.

„Das trifft nur hinsichtlich der Abrechnungsdaten zu“, relativiert der KZBV-Justitiar: „Sie liegen in Zahnarztpraxis und KZVen zunächst patientenbezogen vor, werden den Krankenkassen jedoch in aggregierter und anonymisierter Form übermittelt.“ Eine nachträgliche Zusammenführung der Leistungen für einen bestimmten Patienten sei dennoch möglich und erfolge tatsächlich (zum Beispiel in Prüfungsverfahren nach § 298 SGB V). In der TI-Darstellung des Abrechnungsverfahrens, insbesondere der Honorierung der Vertragszahnärzte, fehlt übrigens – obschon in der Argumentation berücksichtigt – der ausdrückliche Hinweis auf die Honorarverteilungsmaßstäbe. Kritisiert wird auch, dass anstelle der Einzelleistungsvergütung immer häufiger eine Pauschalvergütung vereinbart wird. Dies führe zur Verschleierung von tatsächlichem Umsatz und Leistungsgeschehen. Genau dagegen hat sich die Zahnärzteschaft in der Vergangenheit immer gewehrt und sich für die Erhaltung der Einzelleistungsvergütung eingesetzt. Sie ist vielmehr auf Grundlage entsprechender Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und durch die Bestimmungen in § 71 SGB V (Beitragssatzstabilität) zu diesem Vorgehen gezwungen worden.

Konform gehen TI und Zahnärzteschaft in ihrer Kritik, dass der Patient im Sachleistungssystem keine Rechnung erhält. Allerdings schließt TI hieraus, dass der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen damit „keine Schranken“ mehr gesetzt seien. Zu kurz gegriffen: Denn hierbei bleiben die verschiedenen vorgezogenen oder nachträglichen Prüfungsverfahren schlichtweg unberücksichtigt. Das gilt auch für die Kostenerstattungsleistungen, zumal der Patient hier in die Planung und das Genehmigungsverfahren hinsichtlich der jeweiligen Behandlung, bezogen auf den Heil- und Kostenplan beziehungsweise den kieferorthopädischen Behandlungsplan, unmittelbar einbezogen ist. Gerade wegen der Einbeziehung in den Zahlungsfluss erhält der Patient bei diesen Leistungen sogar schnellere und weitergehende Informationen als er diese gem. § 305 SGB V verlangen kann, der von TI als einzige wirkliche Grundlage für eine Überprüfung der Abrechnung durch den Patienten angesprochen wird.

Schlichtweg falsch ist die TI-Aussage, dass nach Genehmigung eines Heil- und Kostenplanes keine weitere Prüfung, insbesondere in Sachen Wirtschaftlichkeit, mehr erfolgt. Die sachlich-rechnerische Überprüfung finde ebenso wie eine nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich der Leis-tungen statt, die nicht bereits von der Genehmigung erfasst sind. Muschallik: „Gerade in diesem Fall gibt es eine entsprechende Rechtsprechung des BSG .“

Der KZBV-Justitiar wehrt sich auch strikt gegen die Aussage, die Zahl der Gutachten „scheine“ verschwindend gering zu sein. Beim Zahnersatz gebe es eine hohe Zahl an Reparaturfällen, die meist ohne Gutachten erfolgen. Insgesamt stehen in den Bereichen ZE, KfO und Par rund 22 Millionen abgerechneter Fälle etwa 330 000 erstellte Gutachten gegenüber, 61 Prozent allein aus dem Bereich Zahnersatz. Muschallik: „Die Relation liegt insgesamt bei 1,5 Prozent. Das kann man schwerlich als ‘verschwindend gering’ bezeichnen, zumal die Krankenkassen autonom über die Einleitungen von Gutachterverfahren zu entscheiden haben und die meisten Fälle im Bereich ZE gar nicht erst in Gutachten münden.“ Falsch sei auch, dass es keine Kontrollinstanz gebe, die im Hochpreisbereich Gefälligkeitsgutachten aufdecken und dadurch erschweren könne. Genau dazu seien die vereinbarten Obergutachterverfahren unter anderem da.

Auch die Behauptung, dass nach zwei Jahren sämtliche Unterlagen vernichtet werden, der Zahnarzt demnach keine nachträglichen finanziellen Belastungen zu befürchten habe, trifft so nicht zu. Bei laufenden Prüfungsverfahren müssten die Unterlagen selbstverständlich weiterhin zur Verfügung stehen. Ohnehin sei die Frage einer nachträglichen finanziellen Belastung des Zahnarztes keine der Löschungsfristen gem. § 304 SGB V. Vielmehr müsse er beachten, inwieweit von ihm Mängel zu vertreten sind. Denn Mängel oder diesen zu Grunde liegende Behandlungsfehler können – unabhängig von Planungs- und Abrechnungsunterlagen – im Nachhinein noch gutachterlich überprüft werden. Dies gelte auch für die in diesem Zusammenhang angesprochenen Strafverfolgungsmaßnahmen.

Zum Abrechnungsverfahren bei Laborleistungen: Auch wenn die Aussagen des TI-Papiers dazu im Grundsatz korrekt sind, stimmt es nicht, dass dem Zahnarzt bei der Erbringung beziehungsweise dem Bezug zahntechnischer Leistungen keine eigenen zusätzlichen Aufwendungen entstehen. Sie entstehen zumindest bei Einschaltung eines gewerblichen zahntechnischen Labors im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Patienten.

Bemerkenswert ist, so der KZBV-Justitiar, dass es, wie auch TI darstellt, innerhalb der zweijährigen Gewährleistungspflicht nur in weniger als einem Prozent der Fälle zu Reklamationen kommt. Muschallik: „Qualitätsmängel im erheblichen Umfange sind daraus jedenfalls nicht unmittelbar ersichtlich.“ Stichwort „Altgoldproblematik“: TI geht zutreffend davon aus, dass bei Ausgliederung einer alten Versorgung diese vom Patienten oft beim Zahnarzt zurückgelassen wird. Formalrechtlich sei das – anders als es TI sieht – allerdings eine Schenkung, die den Zahnarzt berechtigt, mit den Materialien nach eigenem Gutdünken zu verfahren.

Strafbar sei nur, wenn der Zahnarzt dem Patienten vorspiegelt, dass er einen Anspruch auf diese Materialien habe. Insbesondere die abschließende Aussage von TI, das Geld aus der Edelmetallverwertung stehe ausschließlich den Patienten und Krankenkassen zu, ist rechtlich falsch: Nach Eingliederung des Zahnersatzes ist dieser – damit auch die darin verarbeiteten Materialien – Eigentum allein des Patienten. Ausnahme bleibt dabei die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende Schenkung gegenüber dem behandelnden Zahnarzt.

Stütze für zahnärztliche Argumentation

Generell bemängelt TI im Grundsatz richtig, dass das gegenwärtige Abrechnungsverfahren intransparent ist. In dieser Hinsicht stützt TI die Haltung der Zahnärzteschaft. Allerdings geht die Organisation fälschlicherweise davon aus, dass es de facto praktisch keine Überprüfung gebe. „Die im TIPapier erhobene Forderung nach einer weitergehenden Kontrolle der Kontrolleure wirft die Frage nach der Länge einer entsprechenden gegenseitigen Kontrollkette auf,“ kritisiert der KZBV-Justitiar. Richtigerweise konstatiere allerdings auch das Papier an verschiedenen Stellen, dass eine nachträgliche Überprüfung, zum Beispiel der Legierungsinhalte oder der Verarbeitungsqualität, praktisch nicht möglich ist.

Als schlicht interessengeleitet muten hingegen die im TI-Papier vorgenommenen Hochrechnungen exorbitanter Schäden der Versicherten oder Krankenkassen an. Gleiches gilt für die Darstellung verschiedener Betrugsmöglichkeiten beim Bezug zahntechnischer Leistungen. Denn hierbei handelt es sich nicht um ein Sonderproblem der GKV, sondern um generelle Betrugsmöglichkeiten, die bei jedem Bezug von Drittleistungen bestehen, beispielsweise wenn von einem Generalunternehmer Leistungen einem Auftraggeber in Rechnung gestellt werden. Entsprechende Manipulationsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Bezugs- und Abrechnungsverfahren generell, etwa bei der Abrechnung von Reparaturmaßnahmen unter Hinweis auf die dabei durchgeführten Arbeiten und verwendeten Materialien, wobei die Richtigkeit dieser Angaben im Nachhinein nur schwer oder nicht vom Auftraggeber überprüft werden kann.

Letztlich, so das analytische Resümee des KZBV-Justitiars, erscheinen die im Papier erhobenen Forderungen nicht als geeignet, die damit verfolgten Ziele zu erreichen:

• Eine Veröffentlichung der verschiedenen Inhalte der Gesamt- und Mantelverträge – die im Übrigen nicht geheim sind – dürfte Patienten und Beitragszahlern wohl schwerlich zusätzliche, verwertbare Informationen bieten können.

• Auch der Gewinn einer Fotodokumentation „teurer Arbeiten“ ist unklar. Die Fotos seien nicht überprüfbar. Zudem könnten die betreffenden Arbeiten im Munde des Patienten real überprüft werden.

Hilfreich dürfte alleine die Forderung nach einer detaillierten Rechnung in jedem Behandlungsfalle sein. Dies setzt allerdings voraus, dass das Sachleistungssystem zu Gunsten eines generellen Kostenerstattungssystems verlassen wird. Und das ist, so Muschallik, „eine langjährige Forderung der Zahnärzteschaft“.

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