Wirtschaftsmacht vor der Kapitulation
Amerika ist Kapitalismus in Reinkultur. Das Geldverdienen um jeden Preis, in den USA eine Tugend ersten Ranges, gilt hier zu Lande wie auch in ganz Europa eher als ein Tabu, wenn es denn überhaupt ungeniert praktiziert wird. Auch der Irak-Krieg ist primär als ein Kraftakt zur Wirtschaftsförderung und zum Geldverdienen anzusehen, was außerhalb der USA zumeist auf krasse Missbilligung stößt. Denn man muss kein Land zerbomben, um einen gefährlichen Diktator unschädlich zu machen. So aber
• hat die US-Rüstungsindustrie einen Großteil ihres Arsenals unter realen Kriegsbedingungen ausprobiert und „verbraucht“ – sie kann jetzt auf neue Aufträge, also auf Umsatz und Gewinn hoffen;
• können die Amerikaner die zweitgrößten Rohölreserven der Welt kontrollieren, dabei womöglich das lästige OPEC-Kartell in Schach halten und damit den für das Wohlergehen der USA so entscheidenden Ölpreis steuern;
• bekommen wohl primär USUnternehmen, vor allem Baufirmen und Öl-Ausrüster, neue Milliardenaufträge, die dem gesamten US-Wirtschaftswachstum zugute kommen.
So zynisch es klingen mag – aber vom wirtschaftlichen Pragmatismus der Amerikaner profitiert letztlich die ganze Welt. Beinahe im Alleingang bewahren und bewahrten die USA den Rest der Weltwirtschaft (China ausgenommen) vor einer Dauerstagnation. Zwischen 1995 und 2002 gingen immerhin 64 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums auf ihre Rechnung, wie Stephen Roach, Chefökonom der Investmentbank Morgan Stanley, ausgerechnet hat.
In dieser Zeitspanne stolperten die aufstrebenden asiatischen Tigerstaaten in eine einschneidende Rezession, der schlafende Wirtschaftsriese Russland stand aus Geldmangel vor einem Staatsbankrott. Und dem EU-Europa, das ab dem Jahr 2000 die wirtschaftlich erschlafften USA als Weltkonjunktur-Lokomotive ablösen sollte, fehlte hierzu leider die Energie. Ein vor sich hergeschobener Reformstau wirkte und wirkt hier weiterhin als Wachstumsbremse.
Rekorddefizit
Auch nach dem Irak-Krieg, der in den USA ein Rekorddefizit im Haushalt hinterlässt, wird Amerika die politisch, militärisch und wirtschaftlich dominierende Weltmacht bleiben. Daran zweifelt wirklich niemand. Denn die Wirtschaft der Vereinigten Staa- ten ist und bleibt der treibende Motor für den Wohlstand der Weltbevölkerung. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung beträgt zwar nur 4,7 Prozent. Aber die USA erwirtschaften gut 21 Prozent des globalen Wohlstands. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt hier in diesem Jahr – kaufkraftbereinigt – um 35 Prozent höher als in der Wohlstandsnation Japan. Es ist um 40 Prozent höher als in der Europäischen Union.
Im Vergleich zu Deutschland beträgt der Abstand immerhin noch 37 Prozent. Er vergrößert sich seit 1968, als man hier zu Lande noch vom Wirtschaftswunder sprach, kontinuierlich.
Das bedeutet im Klartext: Bekommt ein Deutscher für eine Arbeitsleistung 100 Euro, erhält ein Amerikaner für die gleiche Tätigkeit 137 Euro. Und zahlt darauf in der Spitze nicht 50 Prozent, sondern nur 38 Prozent Steuern. Darüber hinaus herrscht in den USA eine höhere Produktivität als in Deutschland, vor allem durch weniger Bürokratie. Und die Amerikaner genießen eine weitaus geringere Geldabschöpfung vom verdienten Einkommen durch den Staat als der deutsche Steuerbürger.
Mit rund elf Billionen Dollar ist die Wirtschaftsleistung der USA, das so genannte Bruttoinlandsprodukt, etwa fünf Mal so groß wie das deutsche. Mehr noch: Der Wert der in den USA produzierten Güter und Dienstleistungen ist sogar größer als die Wirtschaftsleistung von Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zusammengenommen, das heißt größer als die fünf größten Wirtschaftsnationen hinter den USA. 41 der 100 umsatzstärksten Unternehmen der Welt haben ihren Firmensitz in den USA. Von den 100 wertvollsten Marken dieser Welt kommen sogar 65 aus den USA. Aus Deutschland stammen immerhin sechs der 100 weltgrößten Marken, nämlich Mercedes, BMW, Volkswagen, SAP, Adidas und Nivea. Doch alle zusammen repräsentieren nicht einmal den Wert von Coca-Cola oder Microsoft.
Bevölkerung wächst
Wirtschaftsleistung fällt nicht vom Himmel, sie wird von Menschen produziert. Die 15 EU-Nationen plus die zehn neuen Beitrittskandidaten weisen derzeit mit rund 450 Millionen Einwohnern eine um 60 Prozent höhere Bevölkerungsmasse aus als die USA. Doch bis zum Jahr 2050, so rechneten die Vereinten Nationen aus, wird das Europa der 25 um rund 50 Millionen Menschen schrumpfen, während die USA bis dahin um mehr als 100 Millionen auf rund 400 Millionen Einwohner wachsen werden.
Neben der recht hohen amerikanischen Geburtenrate gibt es noch einen anderen Grund für dieses starke, zukünftige Bevölkerungswachstum: Die USA sind nach wie vor ein Einwanderungsland, vor allem für gut ausgebildete, beruflich qualifizierte Zeitgenossen aus aller Welt. Die Liberalität des Landes und sein hoher Lebensstandard sind die maßgeblichen Lockmittel.
Ohne die USA als Kunde wie auch als Investor wäre die ganze Welt wesentlich ärmer. So kauften die Amerikaner im letzten Jahr für rund 1,4 Billionen Dollar, das sind immerhin rund 15 Prozent ihrer gesamten Wirtschaftsleistung, Waren und Dienstleistungen im Ausland ein. Die deutsche Automobilindustrie etwa verdankt einen Großteil ihres Erfolgs und ihres Wachstums amerikanischen Verbrauchern. Durch ihre Vorliebe für deutsche Autos sichern sie hier zu Lande nicht gerade wenige Arbeitsplätze und den Wohlstand von Millionen Beschäftigten.
Vor allem die großen US-Unternehmen investieren und produzieren aber auch im Ausland. Weltweit betrug die Wertschöpfung amerikanischer Auslandstöchter im Jahr 2000 über 600 Milliarden US-Dollar. Wären diese Firmen eine Volkswirtschaft für sich, so räsonierte das deutsche Wirtschaftsmagazin „Wirtschaftswoche“, lägen sie in der Weltrangliste auf Platz neun und würden damit Länder wie Brasilien, Spanien oder Südkorea übertrumpfen. Wie attraktiv die USA für deutsche Unternehmen sind, zeigt folgendes Zahlenbeispiel: Sie beschäftigen hier mehr als 700 000 Mitarbeiter, die im Jahr 2000 einen Gesamtumsatz von gut 320 Milliarden Dollar erwirtschafteten. Das sind fast 460 000 Dollar pro Mitarbeiter – ein Produktivwert, der vom durchschnittlichen Umsatz pro Mitarbeiter in deutschen Unternehmen sehr weit entfernt ist. Die Hälfte, also 230 000 Dollar respektive Euro, wäre hier schon ein Spitzenwert.
Doch mittlerweile wachsen Zweifel an der Wirtschaftsstärke der USA. Die US-Unternehmen werden Ihre Dominanz, vor allem im Hinblick auf Technologie, Innovation und Dienstleistung, weiter behalten. Doch die politische Garde unter der Führung der Präsidentenfamilie Bush (Junior wie Senior), so befürchten namhafte Volkswirte, hat das Augenmaß für die Finanzierbarkeit ihrer politischen Abenteuer verloren. Der amtierende Präsident hatte von seinem Vorgänger eine Strategie zum Ausgleich des Staatshaushalts und zuletzt sogar einen Haushaltsüberschuss von und 200 Milliarden USDollar geerbt. Gut zwei Jahre an der Macht, hat George W. Bush diesen Überschuss bereits verspielt und mit derzeit rund 380 Milliarden Dollar Miese in der Staatskasse das bislang höchste US-Staatsdefizit aller Zeiten angehäuft.
Leistungsbilanz
Gleichzeitig wächst das Leistungsbilanzdefizit der Amerikaner. Sie haben schon immer mehr importiert als exportiert. Das war nie ein Problem, das konnten sich die Amerikaner leisten. Doch durch seine Polarisierung der politischen Fronten („Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!“) hat Präsident Bush wesentlich dazu beigetragen, dass potente Aktieninvestoren, vor allem aus dem arabischen und dem europäischen Raum, ihr Kapital aus den USA abgezogen haben. So entstand ein Leistungsbilanzdefizit in einer Größenordnung von giganti-schen 500 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet: Weltweit wartet ein Großteil dieser Summe darauf, in Alternativwährungen umgetauscht zu werden. Bei diesem horrenden Überangebot an Dollar wird die Kunstwährung Euro plötzlich und ohne tieferen Grund zur ersten Wahl, sie steigt im Wert.
Das Schreckensdefizit der USA droht den Wert des US-Dollars in den Keller zu schicken, wie seinerzeit unter dem Schuldenmacher Ronald Reagan, als ein US-Dollar am Tiefstpunkt für nur 1,43 Mark zu haben war (siehe auch zm 8/2003, „Währungs-Turbulenzen: Kein Euro-Comeback“). Wenn nun bei einem sinkenden Dollar staatliche USInvestoren wie Japan, China, Taiwan, Südkorea und Hongkong auch noch einen Großteil ihrer US-Staatsanleihen verkaufen, wird die glorreiche Weltwährung US-Dollar wohl von der Schwindsucht ergriffen. Schlimmer noch: Um das stark angestiegene und immer noch wachsende Staatsdefizit finanzieren zu können, wird die US-Regierung für das frisch gepumpte Geld bald höhere Zinsen bieten müssen (siehe auch zm 9/2003, „Wenn die Rentenblase platzt“).
Dann aber könnte die soeben aufkeimende Nachkriegs-Konjunktur wieder in sich zusammenbrechen. Binnen kurzem eine erneute Rezession, die zweite in der Ära des George W. Bush, das wäre auch für Amerika eine Katastrophe. Und Europa würde von diesem Strudel mit in die Tiefe gerissen.
„Präsident George W. Bush versucht gerade, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte zu widerlegen“, so kritisierte ein führender Volkswirt der international hoch angesehen US-Investmentbank Goldman Sachs die Wirtschaftsnaivität der Bush-Regierung und konterte: „Das wird nicht gelingen.“
Wall Street
Noch nie konnte in neuerer Zeit ein amerikanischer Präsident gegen die New Yorker Wall Street regieren. Wall Street ist ein Synonym für die amerikanische Finanzwelt mit ihrer starken internationalen Ausstrahlung.
Trends, die von der Börse in New York vorgegeben werden, setzen sich fast immer weltweit durch. Entscheidend aber ist: Fast alle Amerikaner, die Geld verdienen, eine Altersvorsorge ansparen oder ein Vermögen mehren wollen, hängen direkt oder indirekt am Tropf der Wall Street. Die meisten Pensionsfonds der USUnternehmen basieren auf Aktien und Aktienfonds. Die Privathaushalte sorgen, steuerbegünstigt, mit Aktienfonds fürs Alter, für die Zukunft oder für die selbst zu finanzierende Ausbildung ihrer Kinder vor. Und auch die zahlreichen Dollar-Millionäre und -Milliardäre im Wohlstandsland USA lassen sich von traumatisierten Politikern nicht die Butter vom Brot stehlen.
Das bekam bereits Bush Senior nach dem ersten Golfkrieg in den Jahren 1991/92 zu spüren. Dieser abgebrochene (und jetzt wohl nachgeholte) Kurzkrieg löste nur eine kleine und kurze Rezession aus mit einer Börsenbaisse im Gefolge. Doch Bush senior wurde als Hauptverursacher dieser Malaise 1992 nicht wieder gewählt. Er musste sich einem damals wenig profilierten Provinzpolitiker namens Bill Clinton geschlagen geben. Will Bush junior aus der Naivität seines Vaters nichts lernen und seinen maroden Staatshaushalt nicht in Ordnung bringen, muss er aller Wahrscheinlichkeit nach im Spätherbst des Jahres 2004 ebenfalls die Regierungsgeschäfte wieder abgeben. Dann wird auch Bush junior womöglich ein Opfer der kapitalistisch geprägten Grundmentalität seiner Mitbürger: Geld zählt mehr als Ideale.
Fazit für deutsche Geldanleger: Wer zum Aufbau eines Vermögens oder zur Altersvorsorge langfristig auf der Grundlage von Aktien und/oder in USDollar investiert ist, muss leider die von George W. Bush inszenierten Trauerjahre auf dem Finanzsektor tapfer durchstehen, auch wenn sie insgesamt vier Jahre und länger dauern sollten. Denn er sollte von seinem Anlageberater wissen: Geldanlage wird nicht nur begleitet von eitel Sonnenschein, sondern auch von Schatten- oder gar temporären Eiszeiten.
Börsencrash
Letztlich kommt es auf den guten Durchschnitt an. Und bis der sich einstellt, braucht es seine Zeit. Ein Trost aus der Geschichte: Nach US-Präsident Ronald Reagan, dessen Abgang mit einem satten Börsencrash endete, brach nach einem Bush-Senior-Intermezzo die Morgenröte der segensreichen 90er Jahre herein. Wer diese mitgemacht hat, liegt immer noch gut im positiven Rendite-Durchschnitt.
Der Beweis: Wer beispielsweise vor zehn Jahren in den international hoch angesehenen und international investierenden Fondsklassiker Templeton Growth Fund Inc. investiert hat, kann trotz der zurückliegenden dreijährigen Aktienbaisse immer noch auf eine Jahresdurchschnittsrendite von elf Prozent (in Euro) zurückblicken. Dieser Wert gilt auch für die 20 zurückliegenden Jahre sowie für seine bisherige gesamte Laufzeit von gut 48 Jahren. In der Anlagewährung US-Dollar liefert dieser Aktienfonds, der bei Bedarf auch in festverzinsliche Titel umsteigt, auf der Grundlage von 48 Jahren eine Jahresdurchschnittsrendite von 13,4 Prozent.
Joachim Kirchmann