Asiens Wirtschaft boomt

Denn hustet der Drache ...

Die global orientierten Anleger schauen nach Asien. Dort spielt die Musik. Mit großer Spannung verfolgen sie das Geschehen in China. Keine andere Volkswirtschaft wächst in einem derart atemberaubenden Tempo. Seit Jahren. Doch droht die Gefahr der Überhitzung, die Angst vor einem Crash nimmt zu. Denn hustet der Drache, bekommen die Nachbarn leicht eine Lungenentzündung. Kluge Anleger warten ab, mit asiatischer Geduld. Sie wissen, wie groß das Potenzial in dieser Region der Welt ist.

Wer die wirtschaftlichen Zusammenhänge im asiatischen Raum begreifen will, muss sich zunächst mit China beschäftigen. Kein anderes Land verfügt über einen derartigen Einfluss auf seine engere und weitere Umgebung.

Stand noch bis vor einigen Jahren Japan allein als Symbol für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik in Asien, hat das Reich der Mitte längst die Führung übernommen. Die Verhältnisse haben sich zum Teil umgekehrt. Japan hängt zwar noch nicht am chinesischen Tropf, doch würde ein Crash in Shanghai sich in Tokio nachhaltig auswirken. Und auch andernorts.

Zehn fette Jahre

Die Dimensionen der chinesischen Volkswirtschaft lassen sich am besten mit Zahlen demonstrieren.

• 90 Prozent der taiwanesischen Exporte gehen nach China.

• Seit 1990 hat sich Chinas Außenhandel versechsfacht. Gemessen an den Kaufkraftparitäten macht China 25 Prozent der globalen Wirtschaft aus.

• Den Prognosen der Weltbank zufolge wird China schon 2015 das absolute Bruttoinlandsprodukt der USA hinter sich lassen!

Ähnliches behauptet auch der Asien-Experte beim Investmenthaus Baring Asset Management, Khiem Do. Er prophezeit das Ende der wirtschaftlichen Dominanz der Amerikaner weltweit: „Die nächsten zehn Jahre gehören Asien“. Während die amerikanische Wirtschaft ständig mit Impulsen von Seiten der Regierung und der Notenbank stimuliert werden muss, haben sich Länder wie China, Südkorea oder Taiwan von Schuldner-Ländern zu Nettokreditgebern entwickelt. Sie verfügen heute über sehr viel gesündere Bilanzen als die USA.

Im Nachwuchs liegt die Stärke

Die größten Vorteile aber liegen in der demografischen Entwicklung der asiatischen Länder, von Japan einmal abgesehen. In den USA und besonders in Europa ist die Bevölkerung im Durchschnitt viel älter. Hinzu kommt die deutlich stärkere Leistungsbereitschaft der Chinesen, die die Wirtschaft in der Region entscheidend vorantreibt. Unter den Schwellenländern ist China die stärkste Wirtschaftsmacht. 1,3 Milliarden konsumfreudige Menschen bescheren nicht nur dem Einzelhandel ein überdimensionales Wachstum. Insgesamt wuchs die Wirtschaft im letzten Jahr um 9,1 Prozent.

Natürlich funktioniert die Produktion nur dann, wenn sie ständig mit Rohstoffen gefüttert wird. Gebraucht werden Zinn als Korrosionsschutz für Konservendosen oder Nickel für die Stahlveredelung, Öl für die Chemie. Um die Bauwut zu befriedigen, werden in diesem Jahr 100 Millionen Tonnen Stahl eingeführt, in 2005 sollen es 30 Millionen mehr sein. Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Kein Wunder, dass China sich an die Spitze der Importeure gesetzt hat. Als nun die Regierung die Kreditvergabe gekürzt hat, um das Wachstum zu drosseln, bekam Brasilien Schüttelfrost, sein Aktienmarkt geriet ins Schlingern, denn als Rohstoffproduzent lebt Brasilien nicht zuletzt von Chinas Importen.

Alle Unternehmer und Anleger, die in dem Riesenland China engagiert sind, beobachten dessen Entwicklung mit Sorge. Im vergangenen Jahr zitterte man wegen der Lungenseuche SARS. Sie hinterließ nur eine Delle im Konjunkturverlauf. Problematischer scheint die Überhitzung der Konjunktur. Noch herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Zeichen auf einen bevorstehenden Crash hindeuten oder die chinesische Regierung die Schwierigkeiten in den Griff bekommt und das Wachstum dämpfen kann.

Erste Maßnahmen sind ergriffen worden. Chinas neuer Premierminister Wen Jinbao hat versucht, das Wachstum auf sieben Prozent pro Jahr herunterzuschrauben. Bislang gelang das nicht. Er erschwerte die Vergabe von Krediten; in 25 der 70 größten Städte Chinas wurden die Bauvorhaben gestoppt. Trotzdem entstehen in China jeden Monat noch immer mehr Häuser, Brücken und Straßen als in ganz Rest-Asien zusammen, einschließlich Indien. An der Küste der Volksrepublik erwächst alle zwei Jahre eine Stadt, die viermal so groß ist wie Berlin.

Pessimisten warnen vor einem Crash, der schlimmer ausfallen könnte als die Asien-Krise 1997/98. Die Warnsignale: Die Inflation stieg im ersten Quartal auf drei Prozent, 300 Prozent mehr als der Stand im Vorjahr. Zum ersten Mal drohen die Einfuhren den Export zu überschreiten.

Große Probleme gilt es auch im Bankenbereich zu lösen. Noch immer lenkt der Staat das Geldgewerbe. Schätzungen zufolge sind etwa 40 Prozent aller Kredite gefährdet. Verschärft hatte sich diese Situation im letzten Jahr, als die Regierung wegen der SARS-Epidemie einen Kredit-Boom zur Unterstützung des Wachstums auslöste. Dies führte wiederum zu einer Überhitzung bei den Investitionen. Nun hat man die Kredite gestoppt und unterzieht das Bankensystem einer Reform. Dazu muss die Regierung die faulen Kredite abfedern. In Zukunft will man aber mehr Disziplin bei der Kreditvergabe walten lassen.

Das ist auch notwendig, vor allem um bei ausländischen Investoren Vertrauen zu schaffen, denn die werden gebraucht. Noch ist jeder Zweite der 800 Millionen Landbewohner in China arbeitslos. Vize-Präsident Zeng Quinghong weiß: „Arbeitslosigkeit und Inflation bedrohen uns. Wachstum allein kann nicht der Heilsbringer sein.“

Crash dort, Wirkung hier

Verschärft sich die Situation, sind auch deutsche Unternehmen, die seit Jahren in China produzieren, bedroht. Dazu gehören Autobauer wie VW oder DaimlerChrysler sowie Konzerne wie ThyssenKrupp oder Siemens. Sie alle brauchen wirtschaftliche Stabilität für ihr Engagement. Wie sehr man auf den asiatischen Markt setzt, hat gerade VW gezeigt, indem es sich als Hauptsponsor für die Olympischen Spiele 2008 in China festgelegt hat. Schließlich ist dieses Land derzeit der einzige Wachstumsmarkt für die Autobauer aus Wolfsburg überhaupt. Käme es dort zum Crash, würden das auch die Aktionäre hierzulande zu spüren bekommen.

Viele Experten gehen vielleicht nicht unbedingt von einem Zusammenbruch aber von einer Abkühlung der chinesischen Wirtschaft aus. Als Vorboten deuten daher viele den Absturz chinesischer Aktien im April dieses Jahres. Harald Staudinger, Fondsmanager bei Activest, beruhigt: „Der Boom in China wird anhalten. Eine Crash-Gefahr sehen wir nicht.“ Zwar hat China noch immer keine reale Marktwirtschaft, doch gehen Investoren und Unternehmer von einem großen Interesse der chinesischen Regierung aus, die Wirtschaft der Volksrepublik auf stabile Füße zu stellen. Besonders wenn sie anlässlich der Olympischen Spiele 2008 und der Weltausstellung in Shanghai zwei Jahre später im Mittelpunkt des Weltinteresses stehen wird.

Die Sonne darf strahlen

Für die japanische Konjunktur spielt China eine wichtige Rolle. Das japanische Wachstum fußt hauptsächlich auf Export und auf Investitionen der Unternehmen. Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass die japanische Wirtschaft dank der Inlandnachfrage zulegt. Die Depression scheint überwunden zu sein, das Wachstum lag zuletzt bei durchschnittlich 5,9 Prozent. Die Japaner gönnen sich wieder mehr Konsum (plus vier Prozent) und die Immobilienpreise steigen. Auch die Arbeitslosigkeit geht zurück, um vier Prozent. Zwischenzeitlich galt Nippon als hoffnungsloser Fall der Weltwirtschaft. Ein Grund für die Erholung liegt darin, dass die Unternehmen Arbeitsplätze in Bereichen, die nicht mehr wettbewerbsfähig waren, ins Ausland verlegt und sich dort auf viel versprechende Märkte konzentriert haben. Jetzt profitiert man von dem Boom in den USA und bei den Nachbarn.

Den Vogel schoss im letzten Geschäftsjahr Toyota ab. Der Autobauer verdiente sagenhafte 8,9 Milliarden Euro – doppelt so viel wie Ford und General Motors zusammen. Damit erzielte Toyota den höchsten Gewinn, den jemals ein japanisches Unternehmen erwirtschaftet hat. Der Grund für diesen Erfolg ist nicht zuletzt die Tatsache, dass man sehr stark auf Qualität setzt. Der Verbraucher belohnt die Anstrengung und kauft. Auch die Aktionäre haben profitiert: Die Toyota-Aktie stieg seit Ende Juli 2003 um 36 Prozent, zählt bereits zu den Top-Blue-Chips der Welt. Weitere 1599 börsennotierte Unternehmen konnten ihre Gewinne im Geschäftsjahr 2003 um durchschnittlich 21 Prozent steigern. Der Aufwärtstrend hält an. Bei der jüngsten Konjunkturumfrage der Banken, Tankan-Bericht genannt, gaben sich die Unternehmen so optimistisch wie zuletzt 1991. Auf mehr Unterstützung durch die Banken dürfen jetztauch die kleineren und mittelständischen Unternehmen hoffen, denn die Geldhäuser haben es offenbar geschafft faule Kredite abzubauen – ein Plus für die Börse. Optimismus herrscht an der Tokioter Börse, Angst vor weiteren Zinserhöhungen in den USA hat man nicht. Hauptsache die Chinesen spielen mit. Käme es dort zum Crash, würde Nippon leiden, schließlich stammen allein zehn Prozentpunkte des 30-prozentigen Exportzuwachses aus Geschäften mit dem Reich der Mitte. Doch langfristig sehen die Analysten die Chancen für Japan und den gesamten asiatischen Raum als gut an.

Indien: Ein Markt der Wirtschaft

Gute Chancen hat auch Indien, das andere Milliarden-Reich. Dort erschreckte die Anleger noch im Mai ein Kursrutsch des Aktienindex Sensex um 25 Prozent, den das unerwartete Ergebnis der Parlamentswahlen auslöste: die marktnahe Regierung um Ministerpräsident Atal Vajpayee hatte deutlich gegen die Kongresspartei mit der Spitzenkandidatin Sonja Ghandi verloren. Ein Ausverkauf an der Börse folgte. Die Anleger fürchteten, dass die Reformen zurückgedreht und die Privatisierungen der ehemals staatlichen Konzerne rückgängig gemacht würden. Doch Manmohan Singh, Indiens neuer Präsident, gilt als Verfechter der Marktwirtschaft. Auch in die Dauerfehde mit Pakistan soll seinem Willen nach Entspannung einkehren. Für die Wirtschaft wird ein Wachstum von sechs Prozent prognostiziert. Viele Unternehmen wollen an die Börse. So auch Tata Consultancy Services (TCS), eine Tochter des riesigen Tata-Konzerns. Eine Milliarde Dollar soll der Verkauf der Aktien bringen.

Lächeln für Asien

Die meisten Investoren zeigen sich was Asien angeht optimistisch und gelassen. Sie glauben, dass die Chinesen ihre Probleme in den Griff bekommen, Japan hat es vorgemacht.

So wäre der Kursausschlag nach unten nur ein Schnupfen und keine lebensbedrohliche Infektion gewesen.

Marlene Endruweit

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.