Gastkommentar

Eierlegende Wollmilchsau

Das Gerangel um die Patentlösung für das marode Gesundheitswesen gleicht einer Suche um die eierlegende Wollmilchsau. Weder Kopfpauschalen noch Bürgerversicherung bieten geeignete Instrumente, wohl aber ein kapitalgedecktes Versicherungssystem.

Andreas Mihm
Wirtschaftskorrespondent der FAZ, Berlin

Nachdem die von Rot-Grün geplanten Hartz-Reformen die Öffentlichkeit in der Hitze des Sommers ausgiebig beschäftigt haben, wird die Gesundheitspolitik jetzt wieder verstärkt in den Vordergrund rücken. Ende August will die SPD-Arbeitsgruppe um die junge Parteilinke Andrea Nahles ihr Konzept für eine Bürgerversicherung vorlegen. Das wird eine muntere Debatte. Selbst in der Arbeitsgruppe sind die Vorstellungen Nahles umstritten, erst recht in der SPD. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat ihre Vorbehalte schon formuliert, politische und rechtliche.

Was soll da erst der allen linken Gedankenguts unverdächtige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sagen? Den und seinen Kanzler, Gerhard Schröder, hatte die Basis auf dem Parteitag im Herbst alt aussehen lassen. In einem Blitzaufstand setzte sie den weitgehenden Prüfantrag zur Bürgerversicherung durch. Seither ist die SPD mit viel Herz auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau der Gesundheitspolitik.

Der grüne Koalitionspartner lässt auch nicht lange auf eigene Vorschläge warten. Die Grünen wollen ihren Entwurf für eine alle Arbeitnehmer, Beamte, Selbständige und Freiberufler umfassende Pflichtversicherung Anfang Oktober in Kiel von der Parteitagsbasis absegnen lassen. Aber zwischen der Bürgerversicherung, die Nahles’ SPD diskutiert, und dem, was die Grünen unter Bürgerversicherung verstehen, liegt noch ein weiter Weg.

Bis Oktober dürfte die Union noch lange nicht so weit sein, dem interessierten Bürger ein zwischen CDU und CSU wirklich abgestimmtes und konsensfähiges Konzept auf den Tisch zu legen. Angesichts der wiederholten massiven Kritik des Ex-Gesundheitsministers und CSU-Parteivizes Horst Seehofer an den CDU-Plänen für Gesundheitspauschalen scheint eine Einigung auf ein Konzept mehr als fragwürdig.

Immerhin hat sich CDU-Parteichefin Angela Merkel auf das vom Parteitag beschlossene Konzept einkommensunabhängiger Pauschalen festgelegt. Allenfalls in der Ausgestaltung und der Finanzierung des notwendigen Sozialausgleichs für Kinder und diejenigen, die sich eine Prämie von 170 oder 200 Euro im Monat nicht leisten können, ist sie kompromissbereit. Wie die 40 Milliarden zu stemmen wären, hat Regierungsberater Bert Rürup im Sommer vorgerechnet. Doch CSU-Chef Edmund Stoiber, dem München trotz der Niederlage im Bundestagswahlkampf 2002 eine zu übersichtliche Hauptstadt und Bayern ein zu kleines Land zu sein scheinen, hält dagegen. Manche vermeintlich sachpolitische Äußerung scheint eher partei- oder personalpolitische Hintergründe zu haben.

Immerhin zeigt die in allen Parteien kontroverse Debatte, dass das Gesundheitssystem in allen politischen Lagern als refombedürftig angesehen wird. An erster Stelle betonen alle Parteien, dass dem System mehr Wettbewerb verordnet werden soll. Zugleich wollen alle ein soziales System, das allen Bürgern unabhängig von der finanziellen Kraft ein Versorgungsniveau etwa auf heutigem Niveau ermöglicht. Zudem soll die Finanzierung von den Arbeitskosten zumindest zum Teil entkoppelt, die Beitragslast gesenkt werden. Kopfpauschalen und Bürgerprämie sind dazu in unterschiedlichem Maße geeignet, Prämien mehr als eine unter der Tarnkappe einer Bürgerversicherung hereinschleichende zweite Einkommensteuer.

Doch vor der wirklichen Herausforderung des Gesundheitssystems für die kommenden Jahrzehnte kapitulieren beide. Weder die Kopfpauschalen der CDU noch die rot-grüne Bürgerversicherung sind das geeignete Instrument, in einer Gesellschaft die notwendigen Rücklagen anzusparen, die sich vom „Generationenvertrag“ längst verabschiedet hat. Notwendig wären statt dessen kapitalgedeckte Versicherungen, ein einheitlicher privatwirtschaftlich organisierter Versicherungsmarkt mit einem steuerfinanzierten Solidarausgleich.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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