Die Chance auf ein „Ja“
Was manchmal auf den ersten Blick so klar scheint, hat – im Ganzen betrachtet –, merkwürdige Hintergründe. Ein Schritt zurück oder ein Blick in andere Bereiche helfen, die Strukturen zu verstehen, die Menschen manchmal davon abhalten, sich überzeugen zu lassen.
Weshalb zum Beispiel sind die Tasten auf der Computer-Tastatur so angeordnet, wie sie da sind? Viele Menschen glauben, dass diese besondere Anordnung ihnen hilft, schneller zu schreiben. Tut sie nicht!
Verhakte Hebel und neue Ordnung
Die ersten Schreibmaschinen hatten Hebel, die aktiviert wurden, indem der Schreiber die Tasten niederdrückte. Dann flog ein Hebel mit dem entsprechenden Buchstaben hoch, traf das Farbband, das sich dicht vor dem Blatt Papier befand. Dadurch färbte der Hebel das Blatt mit dem Buchstaben schwarz – oder rot. Weiter ging´s mit Tastendruck und Hebelschwung. Hatte der Hebel nicht genug Zeit auf seinen Platz zurückzufallen, ehe der nächste Hebel hochschoss, dann verhakten sich die beiden unsäglich ineinander, alle Rädchen standen still.
Das machte sich nicht besonders gut, wenn der Schreibmaschinen-Vertreter das Gerät dem potentiellen Kunden vorführte. Um dieses Problem zu beseitigen, setzten die Entwickler von Schreibmaschinen die Tasten in nicht-alphabetische Reihenfolge. So hinderten sie die Menschen daran, allzu schnell zu schreiben. Sie setzten sogar alle Buchstaben für das Wort „typewriter“, den englischen Begriff für Schreibmaschine, in die oberste Tastenreihe. So konnte der Vertreter wesentlich einfacher alle Buchstaben finden, um das Wort vor seinen Kunden beeindruckend sauber zu schreiben. Der kleine Rückschritt verschaffte ihm einen großen Vorteil: Er konnte sein Produkt überzeugender präsentieren.
Zurück zum Zeichenbrett
Kurz: Die Tasten der Schreibmaschine sind eben so angelegt, dass man langsam schreiben muss! Der Witz daran ist, dass die Computerhersteller heute ständig versuchen, die Tastaturen ergonomischer und bequemer zu machen, hoch empfindliche Tasten zu entwickeln, Daten-Eingaben zu vereinfachen und verschiedene andere Verbesserungen durchzuführen – ohne die Basis zu hinterfragen. Zeit also, ans Zeichenbrett zurückzugehen.
So wie den Herstellern von Computerzubehör ergeht es auch anderen klugen Köpfen. Zu nah am Detail verliert der Betrachterdas Ganze aus dem Blick. Es ist oft das Gleiche bei der Präsentation und Besprechung von Therapieplänen. Der Zahnarzt probiert verschiedene Methoden aus, um Einwände von Patienten zu überwinden, ohne zur Basis zurückzugehen. Die Folge: Er kann den Patienten nicht überzeugen. Was passiert im Kopf des Patienten? Was hat der Zahnarzt womöglich übersehen?
Will der Zahnarzt wissen, wie er sein Gegenüber von den Therapieplänen überzeugen kann, muss er herausfinden, weshalb Patienten „Nein“ sagen.
Vorgeschobene Gründe
Fragt man Zahnärzte und Praxis-Mitarbeiterinnen, weshalb die Patienten denn vermutlich „Nein“ sagen, dann nennen sie eine lange Liste von Gründen. Die häufigsten lassen sich in einer der folgenden Kategorien unterbringen: Kosten, Zeitaufwand, Verständnisprobleme und Angst.
• Geld und Krankenversicherung: Eine häufige Annahme ist, dass Patienten eine Behandlung ablehnen oder nicht in Anspruch nehmen, weil sie nicht das Geld haben oder ausgeben möchten oder weil die Versicherung die Kosten nicht erstattet. So argumentieren die Patienten natürlich, die wahren Gründe liegen jedoch oft dahinter verborgen. Obwohl es wahr ist, dass Patienten manchmal eine Behandlung ablehnen oder aus finanziellen oder versicherungstechnischen Gründen hinauszögern, trifft dieser Einwand seltener zu als angenommen.
• Keine Zeit: Dieses Argument wird gerne und oft von Patienten als Einwand hervorgebracht und von Zahnärzten und Mitarbeiterinnen gleichsam hoch geschätzt. Ein zwingender Grund ist Zeitmangel nicht.
• Mangelndes Verständnis: Eine weitere Theorie ist die, dass Patienten Behandlungen vermeiden, weil sie deren Ablauf oder den Grund für die Behandlung nicht so recht verstehen. Natürlich trifft dieser Punkt ebenso wie der finanzielle Aspekt manchmal zu, aber ebenfalls seltener als vermutet.
• Angst vorm Zahnarzt: Dies ist ein echter Grund. Der wird nicht mit herkömmlichen Mitteln und Argumenten überwunden.
In die Irre geführt
Für den Zahnarzt stellt sich die Frage: Nennt der Patient die wahren Gründe? Oder gibt es ein Missverständnis, wurde etwas übersehen?
Dieses Hinterfragen veranlasst den Zahnarzt, ein Thema anzusprechen, das für den Patienten bis dato gar keines war. Doch je mehr der sich mit dem neuen Thema beschäftigt, umso eher kann er es zu seinem Thema machen. Kurz: Indem der Zahnarzt bestimmte Gründe als real annimmt und entsprechend fehlargumentiert, macht er es dem Patienten leicht, neue Gründe gegen die erforderliche Behandlung zu (er)finden.
Hinderlicher Mangel
Das Aberwitzige an den zwei wichtigsten, wahren Gründen – dem bestehenden Mangel an Vertrauen und dem scheinbaren Mangel an Dringlichkeit – in der Zahnheilkunde ist, dass sie meistens unmerklich überwunden werden.
Erhält der Zahnarzt zu diesem Zeitpunkt schon die Zustimmung für seine Therapiepläne, dann haben er oder sein Patient diese zwei Defizite bereits angesprochen und geklärt. Denn je genauer er die Zusammenhänge kennt, umso besser kann er helfen, sprich optimal behandeln.
Dringlichkeit unklar
Aus welchen ursprünglichen Gründen bekommt ein Patient also noch nicht die Behandlung, die sein Zahnarzt empfiehlt?
Viele Patienten bleiben lange Zeit ohne Behandlung, weil sie einfach nicht erkennen, wie dringend und wie wichtig diese für sie ist. Vornehmlich glauben Patient, eine Behandlung sei verzichtbar, weil sie noch warten könnte. Viele Rahmenbedingungen tragen dazu bei, dass Patienten die Dringlichkeit einer Behandlung unzureichend wahrnehmen. Aber die wichtigsten sind:
1.Keine akuten Schmerzen – „Es tut nicht weh, deshalb wird es noch für eine Weile in Ordnung sein.“
2.Das Problem ist schon seit längerem bekannt, weshalb sich also gerade jetzt einer Behandlung unterziehen? „Es hat schon so lange gehalten. Ich werde einfach noch ein bisschen warten.“
3.Während der Therapieplan-Besprechung erklärt der Zahnarzt dem Patienten, dass die Behandlung noch warten „könnte“. Der Patient nimmt dann leicht nur den Eindruck aus dem Gespräch mit, dass aktuell alles soweit in Ordnung ist. „Mein Zahnarzt hat gesagt, es wird wahrscheinlich noch ein Jahr halten. Solange warte ich noch damit.“
4.Der wahrgenommene Vorteil der Behandlung wird von Bedenken überlagert. „Ich werde es einfach später machen lassen, wenn ich das nötige Geld dazu habe oder die Krankenversicherung es übernimmt.“
Starke Schmerzen sind ein starkes Argument
So schieben Patienten unbewusst vor, der Aufwand an Geld oder Zeit sei zu groß. Der tatsächliche Grund aber ist der Mangel an Dringlichkeit. Ein Beispiel: Anstelle einer alten Amalgam-Versorgung, sieht der Behandlungsplan eine Krone vor. Der Patient lehnt die Behandlung vorerst ab und erzählt der Helferin am Empfang zum Beispiel: „Ich bin zurzeit zu beschäftigt, meine Krankenkasse zahlt nicht und ich warte noch auf Geld.“ Drei Monate später bricht die Amalgam-Füllung und bereitet dem Patienten Unbehagen und Schmerzen. Im Handumdrehen wandelt sich der Patient, der zuvor weder Zeit noch Geld hatte, zu einem Patienten, der sowohl Zeit als auch Geld für die Behandlung aufbringt und gegebenenfalls auch ohne Kostenübernahme durch seine Krankenversicherung auskommt.
Schmerzen sind ein starkes Argument und überzeugen von der Dringlichkeit einer Behandlung. Wird diese Dringlichkeit empfunden, sind alle anderen Gründe schnell überwunden. Hat der Patient wirklich ein „Geld“-Problem, dann hat er es jetzt immer noch. Und dann ist das Angebot einer Ratenzahlung ein willkommener Service.
Auf Vertrauen aufbauen
Wird der Mangel an Dringlichkeit am häufigsten in der Zahnheilkunde angeführt, so ist doch ein anderer Grund der wichtigste: der Mangel an Vertrauen. Worin auch immer dieser Mangel sich begründet, er erschwert dem Zahnarzt die Überzeugungsarbeit, wenn es um Therapie-Akzeptanz geht. Patienten, die ihrem Zahnarzt vertrauen, haben einen Großteil der üblichen Einwände schon überwunden.
Vertrauen ist das Fundament einer Zahnarzt-Patienten-Beziehung. Wenn ein vertrauensvolles Verhältnis vorhanden ist, dann wird auch die Therapie akzeptiert.
Jeder Zahnarzt hat einigen Patienten eine ausgesprochen gute und vertrauensvolle Beziehung. Wird mit ihnen eine Therapie besprochen, werden diese Patienten gar nicht mehr so genau hinhören. Sie treffen ihre Entscheidungen ganz und gar auf ihrer eigenen Einschätzung und der Empfehlung des Zahnarztes: „Ja, wenn Sie der Meinung sind, dass dies das Beste für mich ist, dann machen Sie das auch so.“
Wenn ein Patient seinem Zahnarzt vertraut, dann wird er die Therapie als vorrangig gegenüber anderen Schritten in seinem Leben ansehen. Dann wird er das Geld haben und glauben, dass er diese Behandlung dringend benötigt. Sogar seine Angst vor dem Zahnarztbesuch überwindet er dann. Vertrauen ist die Formel, nach der Therapie-Akzeptanz funktioniert. Aber: kein Vertrauen, kein Erfolg.
Es gibt ein grundlegendes Problem mit manipulativen Strategien bei Patientengesprächen. Wenn Ärzte versuchen, ohne es zu ahnen vorgeschobene Gründe zu überwinden, bauen sie währenddessen Vertrauen ab. Das ist kontraproduktiv, und es gelingt nicht, die Dringlichkeit so anzusprechen, dass der Patient in dieser Zeit Vertrauen aufbaut.
Jede Besprechung der Therapiepläne sollte so strukturiert sein, dass Vertrauen beim Patienten aufgebaut und ihm die Dringlichkeit klar wird. Wichtig ist, mit Fingerspitzengefühl herauszufinden, wie das funktioniert. Eine Erklärung wie „Jede Ihrer Amalgam-Füllungen muss noch diese Woche gegen Composite-Füllungen ausgetauscht werden oder sie werden an einer Quecksilber-Vergiftung sterben“, könnte vielleicht die Dringlichkeit verdeutlichen – das Vertrauen wäre dahin.
Dieser Tag muss für sechs Monate wirken
Vertrauen und Dringlichkeit lassen sich am besten mittels Präsenz und Konsequenz vermitteln. Ein Zahnarzt kann jeden Tag nutzen, um seine Vertrauenswürdigkeit zu vermitteln. Dazu steht neben
• seiner Persönlichkeit und seinem Auftritt ein ganzes Portfolio an Instrumenten zur Verfügung wie
• der tadellose Auftritt seines Teams,
• das Erscheinungsbild der Praxis,
• die Öffentlichkeitsarbeit,
• die Informationsmittel,
• das Empfehlungsmanagement und
• die Informations-Veranstaltungen
– alles das hilft dabei. Man muss stets daran denken: „Heute“ ist der einzige Tag, an dem der Zahnarzt die meisten seiner Patienten für die nächsten sechs Monate sieht und spricht. Deshalb sollte er seinen Patienten schon „heute“ die Möglichkeit geben, „Ja“ zu sagen.
Sabine Nemec,Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH)Oberdorfstr. 4763505 Langenselbold