Pädiatrie/Kleinwuchs

Das wächst sich leider nicht immer aus

In immer mehr Gebieten benötigt das deutsche Gesundheitswesen eine Nachhilfe aus dem Ausland. So ist es auch beim hormonell bedingten Kleinwuchs. Restriktive Verordnungen und eine unaufmerksame Versorgung der Kinder führten dazu, das nur jedes zweite behandelbare Kind eine Therapie erhält.

Prof. Otfrid Butenandt, München, wird als einer der Pioniere der pädiatrischen Endokrinologie in Deutschland angesehen. Tausende von Kindern mit Wachstumshormonmangel sind in seiner Zeit am Haunerschen Kinderspital der Universität München von ihm erfolgreich behandelt worden. Heute ist der Emeritus wissenschaftlicher Beirat im „Forum Wachsen“, das sich seit Februar 2003 mit Hilfe der forschenden Industrie um dieses Gebiet kümmert. Auf der ersten Pressekonferenz des Forums Anfang Juli in München nannte er Zahlen, die zur Tat auffordern: Jedes Jahr werden in Deutschland von den 700 000 lebendgeborenen Kindern drei Prozent, also 21 000 kleinwüchsig – bezogen auf ihr Gestationsalter – geboren. Davon wären zirka 15 000 durch eine konsequente Substitution des fehlenden Wachstumshomons zu einem normalen Längenwachstum fähig. Sie hätten also die Möglichkeit, ihre von den Eltern genetisch vorgegebene Körperhöhe zu erreichen. Jedoch werden nur etwa 7 000 Kinder auf diese Weise versorgt – das ist die knappe Hälfte.

Viele besorgte Eltern hören von ihrem Kinderarzt, wenn ihnen in den ersten zwei Lebensjahren des Kindes ein Wachstumsrückstand auffällt: „Das wächst sich schon aus“. Dies trifft aber, so Prof. Butenandt, nur bei familiär typischen Wachstumsverzögerungen zu. Nicht aber bei den vernachlässigten 8 000 Kindern pro Jahr, denen mit Wachstumshormon geholfen werden könnte – und nur damit. Die Nachteile der Kleinwüchsigkeit sind nicht nur körperlicher, sondern vor allem sozialer und folglich auch psychischer Natur. Sie reichen bis ins Erwachsenenalter, sind jedoch in den oben geschilderten Fällen vermeidbar. Voraussetzung ist jedoch, die Eltern erreichen frühzeitig, möglichst vor dem optimalen Behandlungsbeginn im vierten Lebensjahr, eine spezialisierte pädiatrisch-endokrinologische Ambulanz.

Diese gibt es an jeder Universität, aber viele Ärzte wissen das nicht oder zögern aus nicht nachvollziehbaren Gründen eine Überweisung hinaus. Hier hilft sehr effektiv die Selbsthilfegruppe BKMF, deren Flyer Abbildung 2 (mit den nötigen Adressen) zeigt.

Australisches Modell

Nach Prof. Rolf Peter Willig von der Universität Hamburg ist die Diagnose eines Wachstumshormonmangels zwar aufwändig, aber recht präzise möglich. Grenzfälle mit einer bleibenden Unsicherheit sind aber möglich. Diese Kinder fallen in Deutschland durch die Maschen der Sparverordnungen, die nur vier etablierte Indikationen für die Anwendung von Wachstumshormon zulassen. Anders in den Vereinigten Staaten, in denen im Zweifelsfall einjährige Therapieversuche bezahlt werden (danach gibt es sichere Prognosen) oder in Australien, wo jedes kleinwüchsige Kind ein Recht auf Substitutionsbehandlung hat. Hierbei werden doch noch bei einem Drittel der Zweifelsfälle Fortschritte erzielt – und, schaden kann die Behandlung nicht. Sie hilft zusätzlich, den Knochenaufbau und die Fettverteilung in der Norm zu halten.

Manche Widerstände gegen die Hormonbehandlung mögen, so Prof. Willig, noch aus der Zeit kommen, da man das Hormon aus Leichenhypophysen extrahieren musste. Es war nicht immer frei von schädlichen Beimengungen und vor allem nur in geringem Maße verfügbar. Heute produzieren Bakterien das Hormon. Es ist identisch mit dem aus der Hypophyse. Die Anwendung im Pen ist nahezu schmerzfrei.

Verdachtsmomente

Worauf sollen Eltern in den ersten zwei Lebensjahren ihres Kindes achten? Es ist folgende Aufstellung von Verdachtsmomenten hilfreich, die eine Vorstellung des Kindes beim Pädiater auslösen sollten:

• Kleinwuchs mit unauffälligem Verhältnis von Armen, Beinen und Rumpf zueinander. Kleine Hände und Füße, kleines „puppenartiges“ Gesicht.

• Vermehrtes Fettgewebe, besonders am Rumpf.

• Verringerte Muskelkraft und Muskelmasse, dünne Haut.

• Kindliche Stimme und bei Jungen kleines Glied.

• In der Rückschau: Schwierigkeiten bei der Entbindung zum Beispiel durch Beckenendlage.

Till Uwe Keil

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