Weile statt Eile angesagt
Glaubt man der Assekuranz-Industrie, steht jeder, der nicht noch vor Jahresende schnell einen Vertrag über eine Kapitallebensversicherung abschließt, im Alter ohne Einkommen da. Tatsache ist: Verträge aus 2004 sind besser als aus 2005. Der Grund: Ab dem 1. Januar nächsten Jahres wirkt sich das neue Alterseinkünftegesetz auf die ab diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Verträge aus. Es wurde geschaffen, damit Beiträge zur Altersvorsorge allmählich von der Steuer frei gestellt werden und im Gegenzug spätere Rentenauszahlungen besteuert werden können.
Unser Liebling wird kupiert
Für die beliebteste Altersvorsorge der Deutschen bedeutet das: Das Steuerprivileg fällt weg für Lebensversicherungen mit Einmalauszahlung. Am Ende der Laufzeit werden von der Auszahlungssumme alle vom Kunden eingezahlten Beiträge abgezogen. Der Rest muss versteuert werden. Wie hoch – das hängt vom persönlichen, dann anfallenden Steuersatz des Empfängers ab. Günstiger fallen die Abzüge aus, wenn der Vertrag mindestens zwölf Jahre gelaufen und der Sparer mindestens 60 Jahre alt ist, er mindestens fünf Jahre lang Beiträge gezahlt hat und der Todesfallschutz mindestens 60 Prozent der Beitragssumme erreicht hat. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, verlangt der Fiskus nur von der Hälfte des Gewinnanteils Steuern. Ist hingegen auch nur eine Bedingung nicht gegeben, wird der gesamte Gewinn besteuert.
Bislang gelten die gleichen Regeln, nur das Mindestalter von 60 Jahren interessierte keinen. Der Gewinnanteil aber wird zu 100 Prozent steuerfrei ausgezahlt. Das bleibt auch so für alle Verträge, die vor Jahresende abgeschlossen werden.
Ebenso profitieren Selbstständige und Beamte bis dahin noch von dem Vorteil, dass sie die Beiträge als Sonderabgabenabzug beim Finanzamt geltend machen können. Doch damit ist es ab dem nächsten Jahr ebenfalls vorbei: Ab dann wird der anrechenbare Betrag bis 2019 schrittweise abgebaut.
Zwar sieht es einigermaßen düster aus für die Lebensversicherung. Trotzdem sollte niemand in Hektik verfallen und noch schnell einen Vertrag abschließen, nur um sich die steuerlichen Vorteile zu sichern. Die Versicherungswirtschaft hat die neuen Regeln akzeptiert, doch die freien Berater und die Makler haben durchaus noch Klärungsbedarf. Sie wissen noch nicht, welche Nach- und Vorteile die neue Gesetzeslage wirklich birgt: „Wir befinden uns in einer Orientierungsphase”, erklärt Andreas Büse-Hanning, Geschäftsführer von Aon Jauch&Hübener Privates Vorsorgemanagement in Hamburg im Finanzmagazin „Capital”. Die Kunden warten daher besser ab und überlegen, welche Alternativen es noch gibt. Gefördert werden jetzt Policen mit Rentenauszahlung. Der Sparer darf die Versicherung weder auszahlen lassen, noch vererben oder beleihen. Die Konsequenz wird sein, dass die Gesellschaften Verträge mit einer höheren Rentenzahlung anbieten werden, es aber eventuell keine Garantiezeiten für die Hinterbliebenen mehr geben wird.
Mehr Zahlungen
Noch ein weiterer Faktor, der den Gewinn bei Lebensversicherungen schmälern wird, dürfte bis zum Herbst in die neuen Angebote eingearbeitet sein: Die neue Sterbetafel. Danach werden Männer wahrscheinlich im Durchschnitt 86 Jahre und Frauen 89 Jahre alt werden. Die steigende Lebenserwartung wird die zu erwartenden Überschüsse reduzieren; Experten rechnen bei Rentenpolicen mit einer Prämienerhöhung von zehn Prozent. Junge Leute, die noch eine lange Sparphase vor sich haben, können sich auf zwölf Prozent höhere Beiträge für Frauen und 20 Prozent höhere bei Männern einstellen. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil: für mehr Beiträge wird es auch längere Rentenzahlungen geben. Problematisch wird es aber für bestehende Verträge. Die Gesellschaften müssen mit einer Deckungslücke rechnen. Für die längeren Auszahlungen ist in der Vergangenheit zu wenig eingezahlt worden. Für den Kunden bedeutet das: Um die Lücke zu schließen, muss die Überschussbeteiligung gesenkt werden – also der Teil des Gewinns, der den Versicherten über den Garantiezins hinaus gutgeschrieben wird. Auf jeden Fall müssen die Unternehmen ihre Prognosen sofort anpassen und ihre Kunden von sich aus auf die gesunkenen Werte hinweisen. Ein weiterer Grund, nicht unbedingt vor dem 31. Dezember 2004 noch schnell eine Lebensversicherung abzuschließen.
Die Gretchenfrage
Angesichts der unsicheren Lage muss sich jeder Sparer selbst die Frage stellen, ob er überhaupt eine Lebensversicherung abschließen will. Passt sie in sein Konzept für die Altersvorsorge? Verzichtet er zu Gunsten einer bequemen Sparweise bei einer Rentenpolice auf eine höhere Rendite? Oder entscheidet er sich für einen Vertrag mit Einmalauszahlung und legt sich damit auf mindestens zwölf Jahre fest?
Was tun? Elke Weidenbach, Referentin für Versicherungen bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, hält das Produkt Kapitallebensversicherung sowieso für „problematisch”. Nicht allein die Besteuerung, “sondern das Produkt selber”, konstatiert die Expertin. Schon wenn jemand aus welchem Grund auch immer vorzeitig – also vor Vertragsende – an sein Geld will, zahlt er auf die relativ geringe Auszahlung auch noch Steuern. Außerdem hält sie Lebensversicherungen für intransparent: „Es gibt kein Gesetz, das den Versicherungen vorschreibt, den Kunden genau zu informieren, wofür er da eigentlich einzahlt. Wie viel für den Todesfallschutz, wie viel für Verwaltungskosten und wie hoch ist der Sparanteil: der Verbraucher sieht nur die Gesamtsumme.”
Sie empfiehlt deshalb, Sparen und Versichern zu trennen. Für das Todesfallrisiko und die Absicherung der Familie eignet sich eine Risikolebensversicherung. Für das Ansparen einer Altersvorsorge bieten sich Fondssparpläne an. Das Assekuranz-Gewerbe muss sich schon etwas Interessantes einfallen lassen, um auch clevere Sparer bei der Stange zu halten.
Marlene Endruweit