Gesundheitsreform in Belgien

Griff ins Portemonnaie der Ärzte und Zahnärzte

214116-flexible-1900
Die föderale belgische Regierung hat ein dickes Paket mit Sparmaßnahmen für das Gesundheitswesen geschnürt, um das wachsende Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in den Griff zu bekommen. Bluten sollen vor allem Ärzte, Apotheker und die Pharmaindustrie. Aber auch die Zahnärzte kommen nicht ungeschoren davon.

Der belgischen Sozialversicherung droht eine radikale Rosskur. Knapp 240 Millionen Euro will der sozialistische Gesundheitsminister des Landes, Rudy Demotte, allein in diesem Jahr einsparen, um das auf mittlerweile knapp 635 Millionen Euro angewachsene Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung zurückzufahren. Die hohen Schulden rühren unter anderem daher, dass Versicherte in Belgien frei zwischen Hausärzten und Spezialisten wählen können, Generika bislang eine Seltenheit sind und sich vor allem in den Großstädten Apotheke an Apotheke reiht.

Bei den belgischen Ärzteorganisationen und beim Apothekerverband schrillen daher schon seit einiger Zeit die Alarmglocken, zumal in erster Linie Hausärzte und Apotheker neben der pharmazeutischen Industrie dafür herhalten sollen, die gesetzlichen Krankenkassen aus den roten Zahlen zu holen. Aber auch die belgischen Zahnärzte sollen ihren Beitrag in Form von Einkommenseinbußen leisten. Während der 41-jährige ehemalige Jungsozialistenführer Demotte die Honorare der Allgemeinmediziner jedoch gänzlich auf dem Stand von 2004 einfrieren will, wird die jährliche Steigerungsrate der zahnärztlichen Vergütung lediglich von drei Prozent auf 1,5 Prozent gesenkt.

Demotte erhofft sich allein von diesen Maßnahmen Einsparungen in Höhe von rund 90 bis 100 Millionen Euro. Überdies will er die Hausärzte dazu verdonnern, künftig nur noch die kostengünstigsten Arzneien zu verordnen. Einigen angeblich überbezahlten Spezialisten – in erster Linie Kardiologen und Chirurgen – will der Minister durch Kürzungen bei den Behandlungskosten ebenfalls an den Geldbeutel. Auch sollen für Routineeingriffe in Krankenhäusern alsbald Festbeträge gelten. Gut ein Drittel der rund 5 000 belgischen Apotheken muss zudem fürchten, gänzlich vom Markt zu verschwinden, sollten Demottes Pläne, die Anzahl der Apotheken langfristig zu verringern, wahr werden.

Die restliche Einsparsumme von rund 115 Millionen Euro geht zu Lasten der pharmazeutischen Industrie, der ein geändertes Rückerstattungssystem sowie „Strafzahlungen“ in Höhe von 27 Millionen Euro für zu aggressive Werbung aufgebürdet werden soll.

Sturmlauf gegen die Rosskur

Hausärzte und Apotheker laufen bereits Sturm gegen die geplante Rosskur, die der Minister Anfang November im Alleingang durch das Kabinett gebracht hat. In einem offenen Brief an den belgischen Premier Guy Verhofstadt bezeichnete die größte belgische Ärztevereinigung, die Association Belge des Syndicats Médicaux (AbSyM), die Vorschläge als „diskriminierend“ und das einseitige Vorgehen des Ministers als Angriff auf das bewährte demokratische Abstimmungsverfahren mit den betroffenen Verbänden. Die belgische Hausärztevereinigung Domus drohte sogar mit „zivilem Ungehorsam“ und kündigte an, die Behandlungskosten mit den Patienten frei zu verhandeln, sollte die Regierung darauf beharren, die ärztlichen Honorare auf dem derzeitigen Stand einzufrieren. Der Apothekerverband sprach gar von einer „Kriegserklärung“.

Und auch die Zahnärzte sind nicht gerade glücklich über die Pläne Demottes, die neben Kürzungen bei der Vergütung auch Änderungen hinsichtlich der Kostenerstattung zahnärztlicher Grundleistungen beinhalten. „Statt beispielsweise wie geplant, künftig wieder sämtliche Kosten für die zahnmedizinische Behandlung von Kindern unter zwölf Jahren zu erstatten, wäre es unserer Ansicht nach viel besser, sinnvolle Präventionsprogramme aufzulegen“, erklärte Hilde Dierickx, Zahnärztin und liberaldemokratische Abgeordnete im belgischen Parlament. Auch fürchtet sie langfristig eine Ausweitung der Zwei-Klassen-Medizin im zahnärztlichen Sektor.

Doch trotz der Kritik seitens der Betroffenen hält Demotte bislang eisern an seinen Vorschlägen fest. Da nach Aussage seines Ministeriums bislang keine Seite praktikable Alternativvorschläge präsentieren konnte, will er seine Pläne notfalls auch ohne Konzertierung mit den Betroffenen durchzusetzen, damit die Reform, wie geplant, im Frühsommer in Kraft treten kann.

Petra SpielbergRue Colonel Van Gele 98B-1040 Brüssel

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.