Neurologie

Hohe Cholesterinwerte, aber weniger Demenz

Eine amerikanisch-schwedische Gemeinschaftsstudie, die als Longitudinaluntersuchung eine Gruppe von ursprünglich 70-Jährigen der Geburtsjahrgänge 1901 und 1902 über 18 Jahre verfolgte, fand eine überraschend negative Beziehung zwischen hohen Gesamtcholesterinwerten und dem Auftreten einer klinisch gesicherten Demenz. Interessant sind die Erklärungsversuche der Autoren.

Die Studie aus dem Center for Aging and Health, dem Alzheimer-Forschungszentrum und dem Departement of Mental Health der Johns Hopkins University Bloomberg School of Public Health in Baltimore (USA) zusammen mit den entsprechenden Instituten der Sahlgrenska Akademy der Universität Göteborg (Schweden) erschien in der renommierten Zeitschrift Neurology (Band 64, 2005, S. 1689 bis 1695). Sie erregte Aufsehen, weil die Mehrzahl der bislang veröffentlichten Untersuchungen eine positive Korrelation zwischen Gesamtcholesterin und dem Auftreten einer Demenzerkrankung suggerierte.

Beziehung nur bei Nichtrauchern

Unter den 392 im Alter von 70 Jahren in die Studie eingeschlossenen Skandinaviern fanden sich zehn Probanden, bei denen bereits klinische Demenzsymptome feststellbar waren. Sie wurden aus der Studie ausgeschlossen. Die übrigen 382 Probanden wurden über im Durchschnitt 4,091 Probandenjahre in der Studie weiter verfolgt. Während dieser Zeit entwickelten 93 Probanden eine klinische Demenz. Mit Ausnahme eines im Eintrittsalter etwas höheren Körpermasse-Index (BMI) hatten die späteren Demenzpatienten und die übrigen Probanden keinerlei unterschiedliche Merkmale zum Studienbeginn. Unter den Demenzpatienten ließen sich bei 45 eine Alzheimer- Demenz und bei 23 eine vaskuläre Demenz differenzieren

Allerdings waren zum Studienbeginn mit 70 Jahren die Gesamtcholesterinwerte bei den späteren Demenzpatienten mit 236 mg/dl niedriger als bei den übrigen Probanden, die einen durchschnittlichen Gesamtcholesterinwert von 268 mg/dl hatten. Der Unterschied ist mit p < 0,01 statistisch signifikant.  

Bei Rauchern war kein Bezug zwischen Gesamtcholesterinwerten und der Entwicklung einer Demenz erkennbar.

Deutungsversuche

Die Autoren bieten zur Interpretation ihrer überraschenden Ergebnisse drei Deutungsmöglichkeiten an:

1.Probanden, die trotz hoher Gesamtcholesterinwerte 70 Jahre alt und älter wurden, müssen relativ robust sein. Das scheint sie auch gegen die Gefahren zu wappnen, die eigentlich die gemessenen hohen Cholesterin-Werte darstellen.

Analog gilt das gleiche auch für Raucher: Wer nach Meinung der Autoren, obwohl er raucht, ein höheres Alter erreicht, ist offenbar ebenfalls gegen alle möglichen anderen Gefahren gefeit. Daher bestehe hier keine Beziehung zwischen Cholesterin und Demenz. – Hintergrund dieser Deutung ist, dass an der allgemeinen These, hohe Blutfette wären ein Risikofaktor für die Ausbildung einer Demenz, nicht gezweifelt wird. 

2.Ein so genannter „Mortality-Bia“ könnte dazu führen, dass die Probanden mit hohen Cholesterinwerten eine erhöhte Mortalität zu fürchten haben und in der Studie durch frühzeitigen Tod früher ausschieden. So hätte die Mehrzahl der so belasteten Probanden keine Gelegenheit gehabt, eine Demenz zu entwickeln. – Auch diese Deutung lässt die bisherigen Risikovorstellungen unberührt.  

3.Es könnte jedoch auch sein, dass höhere Cholesterinwerte gerade im Alter einen protektiven Effekt ausüben, ja, sogar antioxidativ wirken. Dafür spricht, dass Cholesterin allgemein die Membranen stabilisiert und für die Produktion verschiedener – auch protektiver – Hormone der Ausgangsstoff ist – alles Vorgänge, die im Alter nachlassen. Außerdem wird regelmäßig beobachtet, dass vor den ersten klinischen Demenzsymptomen die Gesamtcholesterinwerte drastisch zurückgehen. Diese prämorbid niedrigen Blutfette könnten auch schon bei den 70-jährigen späteren Demenzpatienten vorgelegen haben. – Diese Deutung kehrt für das höhere Alter die bisherige Risikobetrachtung um. Sie wird von den Autoren favorisiert.  

Letztlich wird – wie so oft bei überraschenden wissenschaftlichen Befunden – eine unabhängige Bestätigung dieser Ergebnisse gewünscht. Ein Resultat steht jedoch schon jetzt jenseits aller Zweifel fest: Die negative Rolle der Cholesterinwerte, die für Herz- Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen festzustehen scheint, wird in ihrer pathophysiologischen Bedeutung für neurologische Erkrankungen neu diskutiert. 

 

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