Auslaufmodell Karies
Die Zahngesundheit bei Jugendlichen in Deutschland ist gut. Das belegt die vierte DAJ-Studie „Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2004“. Von 1994 bis 2000 ging Karies bei Kindern deutlich zurück, besonders bei den Zwölfjährigen. Ihre Zahngesundheit hob sich in allen Bundesländern. Nicht nur der gute DMF-T-Wert trägt dazu bei – er fiel von 2,44 auf 0,98 – kleiner geworden ist auch die Gruppe der Risikokinder. Insgesamt sank der Karieswert der Zwölfjährigen seit 1994 um 60 Prozent und sinkt weiter, allerdings in langsamerem Tempo. „Deutschland zählt damit zur absoluten Spitzengruppe der europäischen Kariesliga“, urteilt Dr. Dietmar Oesterreich, BZÄK-Vizepräsident und amtierender Vorsitzender der DAJ.
Den 15-Jährigen, die nun erstmals erfasst wurden, bescheinigten die Zahnmediziner ebenfalls eine überraschend gute Zahngesundheit, obschon sie im Vergleich zu den Zwölfjährigen mehr Karies haben. Die Kariesdynamik nimmt in der Pubertät überproportional zu. Hauptproblem ist die Zahnzwischenraumkaries. Mundhygiene steht bei den Teenies eben nicht an erster Stelle – erste Erfahrungen mit Alkohol, Zigaretten & Co. setzen dem Gebiss ebenfalls stark zu.
Sanierungsgrad: nur die Hälfte der Karies versorgt
Ganz unterschiedlich sieht das Bild dagegen bei den Sechs- bis Siebenjährigen aus: Kann man in einigen Regionen weiter einen Kariesdecline ausmachen, stagniert woanders die Situation oder verschlechtert sich sogar. „Bundesweit sank der dmf-t von 1994 bis 2004 um 25 Prozent. Doch nach wie vor ist bei Schulanfängern die Hälfte der kariösen Milchzähne nicht mit intakten Füllungen versorgt“, stellt Studienleiter Prof. Dr. Klaus Pieper, Direktor der Kinderzahnheilkunde im Medizinischen Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Marburg fest. „Erfreulich ist die steigende Zahl naturgesunder Gebisse in allen Altersgruppen.“
Eins haben die früheren Studien immer wieder bewiesen: Karies ist ungleich verteilt. Wenige Kinder haben ein hohes Kariesaufkommen. Pieper: „Wir fragten uns, kann man die verbesserten DMF-T-Werte nur auf eine Steigerung der Zahngesundheit bei Kindern mit ohnehin gutem Befund zurückführen oder lässt sich auch bei den Risikokindern ein analoger Kariesrückgang beobachten?“ Die DAJ-Studie ergab: In allen Altersgruppen sind die Karieswerte linksschief verteilt. Einer großen Gruppe von Kindern mit naturgesunden oder gut sanierten Zähnen steht eine kleine Gruppe von „Kariesproduzenten“ gegenüber. Die Polarisierung des Kariesbefalls ist damit bestätigt. Zugleich wies die DAJ-Studie nach, dass vom allgemeinen Kariesdecline nicht nur die Kids mit wenig Karies profitieren, sondern auch die Risikopopulation.
Armut, Migration und wenig Bildung in den Familien führten häufig zu einer Verschlechterung der Zahngesundheit, so Oesterreich. Das gesundheitliche Verhalten sei eng mit dem Sozialstatus der Eltern verknüpft, speziell mit der schulischen und beruflichen Ausbildung. Gymnasiasten schneiden in punkto Zahngesundheit also besser ab.
Präventivmaßnahmen müssen deshalb die sozialen Verhältnisse berücksichtigen, fordert der BZÄK-Vizechef. „Verhältnisse für unsere Patienten zu verändern ist eine Aufgabe der Politik und des Staates. Deswegen darf dieser nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden.“
Neben der teilweise noch mangelhaften Aufklärung über die Nuckelflaschenkaries sei die schlechte Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen ab dem Kleinkindalter entscheidend. Um diesem Trend entgegenzusteuern, müsse die Arbeit von Zahn-, Kinder- und Frauenärzten stärker vernetzt werden. Werden Nahrungsergänzungsmittel in der EU auch kontrovers diskutiert – die Kochsalzfluoridierung ist zudem ein Muss. „Verglichen mit anderen Präventionsmodellen im Gesundheitswesen ist die Zahnmedizin aber ein Erfolgsmodell mit maßgeblicher Vorbildfunktion – national wie international“, betont Oesterreich. „Damit die Story weitergeht, dürfen wir nicht nachlassen.“ Profitiert haben die Kinderzähne vor allem von der Fluoridierung, Fissurenversiegelung, Aufklärung und regelmäßigen Pflege mit fluoridhaltiger Zahnpasta.
Tiger hinter Gittern halten
Neben dem Einsatz aller in der Prophylaxe ermöglicht das Resultat auch die GKV, die für die zahngesundheitliche Prävention für Kids bis 18 insgesamt 435 Millionen Euro ausgab.
„Man muss den Tiger Karies hinter Gittern halten“, zitierte Bernd Wiethardt von den landwirtschaftlichen Krankenkassen und alternierender DAJ-Vorsitzender, den Zürcher Prof. Dr. Marthaler. „Wann immer man die Gitter nicht pflegt, bricht das Zahnraubtier wieder aus.