Körperlich wenig aktive Kinder sind als Erwachsene fettsüchtig
Eigenartiger Weise ist der vielen Laien geläufige Zusammenhang zwischen mangelnder Bewegung und Fettsucht bei Kindern und Jugendlichen wissenschaftlich noch nicht untermauert worden. Auch die hier besprochene Studie zeigt lediglich eine Assoziation zwischen beiden Parametern auf. Diese ist allerdings statisch streng signifikant.
Die Fettsucht hat weitere, komplexe Ursachen, die über eine vermehrte Energieaufnahme und/oder verminderte körperliche Aktivität hinausgehen. Präventivmedizinisch bieten die neuen Ergebnisse allerdings einen hilfreichen Hinweis auf wirksame Maßnahmen.
Doppelt so viele Dicke in der inaktiven Gruppe
Die Kinder wurden 1987 in die Studie eingeschlossen und bis 1997 in jährlichen Abständen erfasst. In der Studie wird, für Untersuchungen in den Vereinigten Staaten typisch, zwischen weißen (n = 1135) und farbigen (n= 1152) Kindern unterschieden. Die Unterscheidung ist in diesem Fall auch sinnvoll, ist der Zusammenhang zwischen Bewegung und Fettsucht doch bei den farbigen Kindern noch wesentlich deutlicher. Die Studie spricht von „black children“, womit jedoch wohl nicht nur Afrika-stämmige Kinder, sondern auch die in Neu Mexiko häufigen indiogenen Kinder gemeint sein sollten, welche aus Familien stammen, die aus Mitteloder Südamerika eingewandert sind.
Die erfassten Daten über die außerschulische körperliche Aktivität der Kinder wurden nach dem „Habitual activity questionnaire (HAQ)“ ermittelt, der sich auf die kumulierten metabolischen Äquivalente (MET) bezieht. Ein MET wird auf die Sauerstoffaufnahme pro Minute und Kilogramm Körpergewicht bezogen: Ein MET entspricht 3,6 ml Sauerstoff pro kg und min. Den Zusammenhang zwischen dem Aktivitätsmuster und dem BMI (Gewicht in kg dividiert durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat) wird grafisch in Abbildung 3 dargestellt. Quantitativ wurden folgende Daten erfasst: Mit einer Abnahme von zehn MET in der Woche nimmt der BMI bei farbigen Jugendlichen um 0,14 kg/m2 und bei weißen Jugendlichen um 0,09 kg/m2 zu. Eine ähnliche Entwicklung zeigt auch die Hautfaltendicke.
Lag der Aktivitätsindex HAQ zu Beginn der Untersuchung für die drei Gruppen (inaktiv, wenig aktiv, aktiv) bei den weißen und farbigen Schülern noch zwischen 28 und 41 MET, so nahm der HAQ-Wert nach zehn Jahren auf 21, 9 beziehungsweise 2 MET bei den farbigen Jugendlichen und auf 38 (!), 15 beziehungsweise 2 MET bei den weißen Jugendlichen ab. Nach zehn Jahren waren die BMI-Werte bei den inaktiven Teilnehmern im Vergleich zu den aktiven verdoppelt. Der Trend verfestigte sich noch. In den folgenden neun Jahren kam es nochmals zu einer dreimal so starken Steigerung der BMI-Werte bei den inaktiven im Vergleich zu den aktiven Teilnehmern.
Präventivmedizinische Konsequenzen
Die Schriftleitung des „The Lancet“, in der die Studie publiziert wurde (Kimm S. Y. S. et al., Vol. 366, 301-7), beauftragte den renommierten Glasgower (GB) Fachmann für Präventivmedizin im Kinder und Jugendalter, John J. Reilly, deren Ergebnisse zu kommentieren. Reilly wies zunächst auf die komplexen Beziehungen zwischen Aktivitätsmustern im Kindesalter und Fettsucht hin.
Seine Folgerung für eine Prävention stützt er neben der sonstigen Literatur auch auf die referierten Daten und empfiehlt, neben der Motivation zur stärkeren Bewegung (weg vom TV und Computer!) auch eine Reduktion der Energieaufnahme. Nach seinen Erkenntnissen nutzt bei Schulkindern bereits eine Verminderung der täglichen Energiezufuhr von 100 kcal (oder ein vermehrter Energieverbrauch gleichen Ausmaßes), um einer späteren Fettsucht wirksam vorzubeugen. 100 kcal entsprechen beispielsweise zwei größere Softdrinks. Bei Kindern mit einem hohen, zum Beispiel familiären Risiko für Fettsucht, liegt die präventive Schwelle bei 500 kcal.
Praktisch umgesetzt hieße dies, dass – wie auch die britischen Empfehlungen lauten – Kinder täglich außerschulisch mindestens eine Stunde körperlich in Bewegung sein sollten. Für schon ziemlich inaktive Kinder lautet die Formel, sie sollten am Anfang täglich eine halbe Stunde Bewegung haben.
Till Uwe Keil