Ärztemangel im Osten

Ein Flächenbrand droht

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Ärzte für den Osten gesucht – mit diesem Appell hat sich Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor kurzem an junge Mediziner gewandt. Angesichts des steigenden Ärztemangels droht in Ostdeutschland bald ein drastischer Versorgungsengpass, wenn nicht rechtzeitig eingeschritten wird.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt appellierte an die Jungmediziner, Bereitschaft zu zeigen, sich in Regionen niederzulassen, die nicht so attraktiv sind wie Großstädte. „Ärzte müssen mobiler werden“, forderte sie in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung. Obwohl es beispielsweise in Berlin eine Überversorgung an niedergelassenen Ärzten gebe, wollten viele sich nicht über die Stadt hinaus bewegen. Und das, obwohl seit der Gesundheitsreform von 2003 die Bedingungen für Ärzte in Ostdeutschland erleichtert worden seien. Kassenärztliche Vereinigungen könnten nun selbst Praxen kaufen und angestellten Ärzten zur Verfügung stellen, dies habe den Vorteil, dass Ärzte sich nicht verschulden müssten, meint die Ministerin.

Das Problem ist schon lange bekannt und die Ärzte haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht. So sprach die große Arztzahlstudie von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer (BÄK) vom Herbst 2003 eine klare Sprache: Deutschland drohen handfeste Probleme bei der Versorgung kranker Menschen aufgrund von rückläufigen Arztzahlen, lautete die Quintessenz. Die Anzahl älterer Ärzte steigt, der Nachwuchs fehlt. Das betrifft Kliniken wie auch den ambulanten Sektor, vor allem in den ländlichen Gebieten im Osten. Dort gehen sehr bald sehr viele Ärzte in den Ruhestand. Und die Jungen wollen nicht bleiben. Niedrigere Honorare, mehr Patienten und längere Arbeitszeiten als im Westen – all dies treibt junge Ärzte nach Westdeutschland. Auch ins Ausland gehen viele, vor allem nach Skandinavien und nach Großbritannien. Eine steigende Zahl treibt es vom Studium aus direkt in die Gesundheitsindustrie. „Uns bricht der Nachwuchs in breiter Front weg“, unterstreicht BÄK-Präsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, „je länger sich dieser Abwärtstrend fortsetzt, um so schwieriger wird es sein, die Lücken zu füllen, die ältere Ärzte hinterlassen.“

Die KBV gibt an, dass zurzeit 600 Praxen leer stehen, davon über zwei Drittel in den neuen Bundesländern. In Brandenburg können 206 Praxen nicht nachbesetzt werden, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 120, in Sachsen 58. Das betrifft vor allem Hausarztpraxen. Auch in den ostdeutschen Kliniken sind zahlreiche Stellen unbesetzt. KBVChefstatistiker Thomas Kopetsch warnt vor einem möglichen Flächenbrand im Osten, während der Mangel im Westen wohl auf einige Landkreise beschränkt bleibe.

Doch auch in Bayern spricht man von einem schleichenden Ärztemangel. Rund 300 Hausarzt- und etwa 100 Facharztpraxen seien nicht besetzt, meldet die Bayerische Landesärztekammer.

Besser organisieren

„Wir müssen die Verteilung der Arztsitze zwischen Ballungsgebieten und dem ländlichen Bereich besser organisieren“, fordert der neue KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Köhler. Die KBV sieht als Ursache des Ärztemangels aber nicht nur die mangelnde Attraktivität des Lebens auf dem Land, sondern auch wachsende Bürokratie und die Deckelung der Honorare. Sie schlägt vor, Ärzte zu bezuschussen, die sich in unterversorgten Regionen niederlassen. Die Not macht erfinderisch. Ganz offensiv wirbt die Stadt Elsterwerda im Süden Brandenburgs beispielsweise auf ihrer Homepage um die Ansiedlung von niedergelassenen Medizinern. „Sind Sie praktizierender Arzt? Dann sind Sie bei uns genau richtig! Folgende Mediziner können bei uns sofort ansässig werden: ein Hausarzt, ein Orthopäde, ein Augenarzt.“

Viele Kliniken stellen inzwischen Ärzte aus Osteuropa ein. Sie kommen aus Polen, Russland, der Ukraine, Tschechien oder der Slowakei. In Sachsen können Ärzte, die in Mangelregionen eine neue Praxis eröffnen oder eine alte übernehmen, inzwischen finanzielle Anreize in Anspruch nehmen. Bis zu 60 000 Euro Investitonspauschalen gibt es für bestehende Praxen, für eine Praxisneugründung gibt es 30 000 Euro. Die Landesärztekammer warb hier erstmals auch um Ärzte aus Österreich, bei denen sich im Gegensatz zu osteuropäischen Ärzten die Sprachprobleme weniger stellen.

Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, sieht als Ursache des Ärztemangels die katastrophalen Bedingungen in Krankenhäusern. Er erklärt, dass die Ausbildung der osteuropäischen Ärzte zwar nicht immer und überall genauso gut wie in Deutschland sei, dennoch hätten viele der Kollegen aus den neuen EU-Ländern bereits eine gute Ausbildung genossen.

Der Bundesrat will in Kürze über eine Initiative Berlins entscheiden, wonach mehr Ärzte und Apotheker aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland zugelassen werden sollen, heißt es in Presseberichten. Auch Angehörige von so genannten Drittstaaten, wie der Türkei, sollten einen Rechtsanspruch auf Zulassung haben, wenn sie die Ausbildung erfolgreich beendet hätten. Bisher sei das nur in Ausnahmefällen möglich. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrates habe der Initiative bereits zugestimmt.

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