Zwischen Politik und Praxis
Standespolitisch war der Zahnärztetag geprägt von den Problemen und Befürchtungen im Zusammenhang mit den Regressforderungen der Krankenkassen, die in mehrfacher Millionenhöhe aus Budgetüberschreitungen der Jahre 2003 und 2004 vor den Zahnärzten des Landes stehen, und von den Chancen und Hoffnungen, die mit der Einführung von Festzuschüssen für den Zahnersatz verbunden werden. So manche Praxis in Sachsen-Anhalt werde in ihrer Existenz bedroht, wenn nicht nur die Budget- Rückzahlungen zu leisten seien, sondern auch noch die erwarteten, reformbedingten Umsatzrückgänge eintreten sollten, mutmaßte Kammerpräsident Dr. Frank Dreihaupt in seiner Eröffnungsrede. Die Leistungsausweitung in den beiden zurückliegenden Jahren sei der unerträglichen, die Patienten und die Zahnärzte gleichermaßen verunsichernden Politik der Bundesregierung – nicht minder aber auch der Opposition – geschuldet; die Zeche zu zahlen hätten nun allein die Zahnärzte.
Vor diesem Hintergrund hob der Kammerpräsident die Chancen hervor, die der neue Bema und die Festzuschussregelungen für den Zahnersatz bergen – nämlich „den Ausstieg aus der gesetzlichen Krankenversicherung Schritt für Schritt in Angriff zu nehmen“. Nicht der abrupte Totalausstieg könne das Ziel sein, sondern es müsse gelingen, die Patienten auf den Weg in die freiberufliche Berufsausübung mitzunehmen.
Werben um Geduld
Für Geduld angesichts der Startschwierigkeiten mit den Festzuschüssen warb auch BZÄK-Vizepräsident Dr. Dietmar Oesterreich. Das System sei, zugegeben, ziemlich kompliziert, aber es sei nun mal das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Zahnärzteschaft und den Krankenkassen. Das Positive an diesem Kompromiss: „Noch nie ist soviel zahnärztliche Fachkompetenz in das Verhandlungsergebnis eingeflossen wie hier!“ Im Übrigen betonte Dr. Oesterreich, ein besonderes Anliegen sei ihm die noch engere und dauerhafte Integration der Zahnheilkunde in den Kanon der Medizin. Dazu gebe es immer wieder kontroverse Bestrebungen, so dass es aller Bemühungen bedürfe, wenigstens den erreichten Stand zu halten.
Als Festredner widmete sich der Kölner Arzt und Theologe Dr. Manfred Lütz ebenfalls der Gesundheitspolitik. In seinem brillanten Vortrag wider den Gesundheits- und Fitness- Wahn in unserer Gesellschaft stellte er auf höchst amüsante Weise tiefernste Überlegungen zur Diskussion. So sei die politisch wohlfeile, aber oberflächliche Postulierung der Gesundheit als „höchstes Gut“ der Grund dafür, warum seit Jahrzehnten in Deutschland keine Gesundheitspolitik mehr möglich ist: „Politik ist die Kunst des Abwägens. Aber ein ,höchstes Gut¸ kann man nicht gegen andere abwägen, sondern man muss dafür einfach alles tun – maximale Diagnostik, maximale Therapie für alle!“ Das seien Ansprüche, die die Gesellschaft nicht erfüllen könne.
Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Programms standen Keramiksysteme in der zahnärztlichen Prothetik. Die beiden Referenten – Prof. Dr. Thomas Kerschbaum, Köln, und Prof. Dr. Peter Pospiech, Homburg/Saar, hatten ihre Vorträge als eine Art Streitgespräch angelegt: Ersterer brach eine Lanze für die Metallkeramik und wies anhand von Überlebensdaten und Beispielen vorbildlicher Versorgungen nach, dass sie nach wie vor der „Goldstandard“ für Kronen und Brücken sei: „Anwendbar für alle Indikationen, robust, zahntechnisch wenig fehleranfällig, preiswürdig und mit akzeptabler Ästhetik.“ Sie leide höchstens daran, dass sie derzeit zu einer „Allerweltstechnik“ gediehen sei, mit der sich keiner mehr so recht Mühe gebe.
Als sein „Widerpart“ vertrat Prof. Peter Pospiech das Motto: „Metalle raus aus dem Mund!“ Abgesehen von möglichen Unverträglichkeitsreaktionen, die durch Metall hervorgerufen werden können und die die Vollkeramik von vornherein vermeide, hob er vor allem die ästhetischen Vorteile der vollkeramischen Versorgung hervor. Um mit den Eigenschaften des Materials adäquat umzugehen, forderte er auf, „keramisch denken“ zu lernen und bei der Zahnpräparation und der Gestaltung der Kronen die Belastungseinwirkung auf Zug beziehungsweise Druck genau einzuplanen.
Am Ende des Diskurses stand erwartungsgemäß nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch, das allerdings von mehr Argumenten gespeist war als zuvor.
Sabine FiedlerZahnärztekammer Sachsen-AnhaltGroße Diesdorfer Straße 16239110 Magdeburg