Die Spritze ist out und andere Neuigkeiten vom Bodensee
Zwischen messtechnisch-physikalischen Grundlagen, Studien zur Adhäsivtechnik, nanokeramischen Werkstoffen und praxisgerechten Farbsystemen fand sich die interessanteste Neuigkeit ein wenig abseits des Schwerpunktthemas im Vortrag der Belgierin Dr. Nele van Assche: Anästhesie ohne Spritze für die professionelle Zahnreinigung und Wurzelglättung.
Schmerzfrei kürettieren
Kürettage und Wurzelglättung sind schmerzhaft – in 70 Prozent der Fälle sogar trotz Anästhesie. Hinzu kommt ein weiteres Problem: „Die lokale Betäubung soll den Patienten eigentlich vor Schmerzen bewahren, macht vielen aber gleichzeitig Angst“, erläuterte Dr. Nele van Assche, Universität Löwen, Belgien. „Sie fürchten sich vor der Spritze und dem Einstich.“ Mit einem neuen Gel mit den Inhaltsstoffen Lidocain und Procain, das nicht injiziert, sondern aus einem stumpfen Applikator in die Zahnfleischtaschen eingebracht wird, haben die Patienten keinen Grund zur Angst, wie die Referentin aufgrund ihrer Untersuchungserbgebnisse postulierte. An der Studie nahmen 170 Angstpatienten, verteilt auf acht Zentren, teil. 70 Prozent von ihnen bevorzugten schließlich das Gel (Oraqix), 22 Prozent die Spritze, und nur acht Prozent gaben keine Präferenz an. Damit dürfte die neue Methode für viele Patienten eine attraktive Behandlungsoption darstellen und die Akzeptanz einer professionellen Prophylaxe verbessern.
Trends in der direkten Füllungstechnik
Der größte Teil des Symposiums war dem Thema Füllungstherapie gewidmet. Dabei spannten die beiden Referenten Prof. David C. Watts, Universität Manchester, Großbritannien, und Prof. N. Dorin Ruse, Kanada, einen großen Bogen von der modernen Werkstoffkunde zur Praxis. Denn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft lassen sich Eigenschaften von Dentalmaterialien, wie Fließfähigkeit oder Bruchzähigkeit, letztlich auf die physikalischen Grundgesetze der Massen- und Impulserhaltung zurückführen beziehungsweise aus diesen herleiten. Prof. Watts hat auf der Basis solcher Überlegungen eine neue In-vitro-Messmethode zur Ermittlung der Klebrigkeit von Dentalmaterialien entwickelt. Dabei wird nicht gehärtetes Komposit mit einem Stopf-Instrument bearbeitet, zu einer Art Hügel geformt und dann durch Lichtpolymerisation fixiert. Höhe und Fläche sind ein Maß für die Klebrigkeit des Werkstoffs. Zu einem ausgesprochen praxisrelevanten Ergebnis kam Prof. Ruse bei seinen Forschungen zu fließfähigen Kompositen: Sie könnten mit ihren rundlichen Nanound Mikroblasen den Vortrieb eines Risses begrenzen.
Innovationen ganz vorne
Wo die physikalischen Grundregeln dem Praktiker Grenzen zu setzen scheinen, ist innovative Technik gefragt. Normalerweise wird der Polymerisationsschrumpf eines Komposits durch Reduzieren des Anteils der organischen Matrix gegenüber den Füllerpartikeln vermindert, gleichzeitig aber auch das Handling erschwert. Die Lösung von Dr. Christoph Weber, Direktor Forschung und Entwicklung der Konstanzer Firma: eine neue Füller-Technologie, bei der eine Korngrößenverteilung mit zwei bevorzugten Partikelgrößen für eine dichte Packung sorgt. Verwirklicht ist dieses bimodale Werkstoffkonzept zum Beispiel im Seitenzahnkomposit QuiXfil. In-vitro-Penetrations-Versuche von PD Dr. Claus-Peter Ernst, Mainz, und eine klinischen Studie, deren Ergebnisse Dr. Jürgen Manhart, München, präsentierte, bescheinigten dem wirtschaftlichen Füllungsmaterial eine hohe Praxistauglichkeit.
Direkt und problemlos
Eine weitere Innovation aus jüngerer Zeit betrifft die Überwindung des technischen Widerspruchs zwischen einfacher Verarbeitung und gehobener Ästhetik bei direkten Füllungen. Um dieses Problem zu lösen, hat Dentsply DeTrey ein neues Füllungsmaterial (Ceram·X) entwickelt. Prof. Elmar Hellwig, Freiburg, unterzog diese Neuentwicklung einschlägigen klinischen Studien. Die Ergebnisse bestätigten in den bisherigen Untersuchungen die Erwartungen, und es deutet sich an, dass damit die üblichen Problemfelder aus dem Wege geräumt werden konnten. Aufgrund der guten Verarbeitbarkeit wird das neue Füllungsmaterial in Freiburg inzwischen auch in der Studentenausbildung eingesetzt. Weitere Untersuchungen von PD Dr. Petra Hahn, ebenfalls Freiburg, mit Erfolgsraten nach zehn Monaten von über 96 Prozent bestätigten diese Resultate ebenso wie eine zum Vergleich vorgestellte Feldstudie mit 23 niedergelassenen Zahnärzten.
Oft auch eine Alternative zur Keramik
Die Indikationen des nanokeramischen Füllungsmaterials reichen heute bis in bisherige Domänen der indirekten Keramik-Restauration: Komposit-Inlays oder Schließung von Diastemata sind mit Ceram·X ohne Weiteres möglich. Dies führten Dr. Markus Kopp, Konstanz, Dr. Angelo Putignano, Italien, und Dr. Pascal Zyman, Frankreich, an konkreten Fallbeispielen vor. Die Grenzen liegen dort, wo ein dichter Randschluss und die Darstellung des gewünschten Emergenzprofils als schwierig erscheinen. Als einen weiteren großen Vorzug nanokeramischer Füllungsmaterialien hob Prof. Werner Geurtsen, Washington, die besondere Bioverträglichkeit hervor.
Battle of the Bonds
Die Dentaladhäsive hat der Franzose Prof. Michael Degrange zu seinem bevorzugten Forschungsgebiet erkoren – und dafür eine rekordverdächtige Datenbasis geschaffen: Über 7 000 standardisierte Füllungen an extrahierten menschlichen Zähnen hat er von mehr als 800 Zahnärzten legen lassen. Diese Füllungen wurden dann mit einer Art langsamen Guillotine bis zum Bruch belastet. Ein interessantes Ergebnis: Junge Zahnärzte bonden im Test besser als ältere. Ein zweites wichtiges Resultat: Für nur drei Adhäsive wurde ein Sensitivitätskoeffizient von weniger als 30 Prozent als Maß für die Robustheit in der Anwendung errechnet. Darunter befand sich ein neues Produkt, das zurzeit erprobt wird. Das Konzept dieses neuen Adhäsivs erläuterte Dr. Frank Pfefferkorn, Konstanz: Dieses Adhäsiv enthält neben tert-Butanol [chemische Formel: (CH3)3CHOH] als Lösungsmittel ein Netzmittel, das gemäß den Ausführungen von Dr. Marco Ferrari, Italien, nach dem Ätzen das Collagengeflecht der Zahnsubstanz besonders effektiv wieder aufrichtet, wodurch sich somit die Verbindung besonders fest gestalten lässt.
Neben den Mehr-Schritt-Adhäsiven werden die selbstätzenden Produkte immer beliebter. Nicht selten zeigen die Studienergebnisse mit diesen Substanzen unbefriedigende Ergebnisse. Auch fehlten oft klinische Resultate. Zwischenergebnisse einer inzwischen langfristig angelegten klinischen Studie nach ADA-Richtlinien konnte Prof. van Dijken für Xeno III präsentieren. Die ersten Studienergebnisse zeigten keine postoperativen Sensibilitäten.
Neben den Werkstoffen spielt für jede Füllung der Aushärtungsprozess stets eine wichtige Rolle. Darauf wiesen Prof. Frederick Rueggeberg, Medical College of Georgia, Augusta, und Dr. Andreas Grützner, Konstanz, hin. Das Fazit für den Praktiker: nicht voreilig investieren, doch bei besonnenem Abwägen haben sich einige moderne LED-Lampen als durchaus praxistauglich erweisen.
Dr. Christian W. EhrensbergerZum Gipelhof 860549 Frankfurt am Main