Politik unter Dampf
Thomas Grünert
Chefredakteur Vincentz Network Berlin
Was bietet die Große Koalition? Die Frage könnte man auch anders stellen: Was entsteht, wenn Feuer und Wasser zusammen kommen. Antwort: Dampf. Politisch korrekt wäre vielleicht Nebel, denn mit gesundheitspolitischen Nebelkerzen wird in nächster Zeit vermehrt zu rechnen sein. Überschwänglich lobt der Koalitionsvertrag das deutsche Gesundheitswesen als eine „dynamische Wirtschaftsbranche mit Innovationskraft und erheblicher ökonomischer Bedeutung“ mit 4,2 Millionen Beschäftigten. Vielen dieser 4,2 Millionen, vor allem, wenn sie in Forschung, innovativen Bereichen oder insbesondere als Freiberufler tätig sind, muss diese Präambel wahrlich wie eine Nebelkerze vorkommen. Die Praxis sieht nämlich ganz anders aus. Es wird gespart, abgezwackt und reguliert, was das Zeug hält. Oft mit skurrilen Ergebnissen. Erinnert sei an das lächerliche Sommertheater mit der völlig überzogenen Umsetzung der Hygieneverordnung, vor allem in Arzt- und Zahnarztpraxen. Ist dieser Versuch, das Kind mit dem Bade auszuschütten, noch aufzuhalten, macht die Grundmelodie, die bei den großen Koalitionären klingt, erheblich mehr Sorgen.
Das Lied der Großen Koalition heißt Sparen, Sparen um fast jeden Preis. Das fatale daran ist, dass vor allem bei denen gespart werden soll, von denen an ehesten erwartet wird, dass sie den Karren Deutschland wieder flott machen: bei Mittelstand und Freiberuflern. Gesundheitspolitisch heißt das, dass dort, wo die Wirkungsmechanismen der jüngsten Gesundheitsreform nicht greifen, zu allererst auf die Leistungserbringer geschielt wird. Ein Beispiel: Nicht ganz unerwartet steigen die Arzneimittelausgaben – und schon wird wieder mit Regulierungsmechanismen wie Budgetierung bei niedergelassenen Ärzten gedroht. Klar, die Kosten für Arzneimittel müssen von der Solidargemeinschaft in der GKV finanzierbar bleiben. Aber warum werden nicht ernsthafte Alternativen diskutiert, wie sie beispielsweise der NAV-Virchow-Bund-Vorsitzende Dr. Maximilian Zollner vorschlägt. Eine Kostenerstattungsregelung für Arzneimittel würde, so Zollner, die Praxis beenden, Ärzte für die Morbidität der Krankenkasse verantwortlich zu machen. Ein mündiger Patient kann mit ärztlichem Rat sehr gut entscheiden, welches Medikament er wünscht und ob er gegebenenfalls bereit ist, für besonders innovative Behandlungen auch Zuzahlungen zu leisten.
Dass Ähnliches machbar ist, erleben Deutschlands Zahnärzte seit einigen Monaten mit der Praxis der Festzuschüsse. Wettbewerb und Transparenz können eben nur funktionieren, wenn man sie zulässt. Liest man hingegen im Koalitionsvertrag den nüchternen Passus „Die Wirkungen der befundorientierten Festzuschüsse beim Zahnersatz einschließlich einer adäquaten Vergütung für zahntechnische Leistungen müssen überprüft werden...“, klingt das schon wieder eher nach einem Programm für ein Streichkonzert als nach Weiterentwicklung von innovativen Ansätzen. Wenn auch aus Sicht der Zahnärzte das Festzuschuss-System eine gute Lösung für den GKV-Bereich ist, sollte man langfristig den Gedanken an eine völlige Ausgliederung der Zahnersatzleistungen oder gar der gesamten Zahnbehandlung aus der GKV nicht aus den Augen verlieren. Die von der Koalition beabsichtigte GOÄ-Absenkung lässt nichts Gutes für die Behandlung auch der GOZ erwarten. Die Bundesärztekammer sieht im Koalitionsvertrag gar eine „Blaupause für ein Vorschalt-Spargesetz“. Auch das vom Gesundheitsministerium mit großem Eifer betriebene Abschmelzen der Beihilfesätze für Beamte zeigt, wohin man den Zug fahren lassen will. Selbst wenn SPD-Bürgerversicherung und CDU-Gesundheitsprämie in dieser Legislaturperiode wohl kaum zu einem konsensfähigen Modell hingebogen werden können, sollten aufgrund der schleichenden Demontage privater Absicherungsmodelle bei Ärzten wie Zahnärzten alle Alarmglocken schrillen. Eine Große Koalition birgt immer auch die Gefahr, dass unter der Rechtfertigung angeblich notwendigen Konsenses großer Unsinn produziert wird. Umso wichtiger ist es, dass jetzt klare Positionen bezogen und verteidigt werden. In Zeiten wo Politik jederzeit nebulös werden kann, darf man sich nicht auf ein Stochern im Nebel einstellen, sondern muss kampfbereit klare Positionen beziehen.