Auf Blüms Spur
Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist
Je mehr die Politiker über soziale Gerechtigkeit streiten, umso weniger werden sie die Bürger davon überzeugen, dass es sie gibt. Das Thema wird seit langem von den Gralshütern der Linken vorgegeben, doch jetzt wird es von maßgeblichen Politikern der CDU/CSU nach vorne geschoben. Schon immer haben Politiker wie Seehofer, Geißler oder Blüm ihre Politik der Umverteilung als sozial gerecht plakatiert. Auf deren Spuren bewegt sich jetzt, angestoßen von den Ministerpräsidenten Rüttgers, Althaus und anderen, die Partei. Die Union will sich als sozial gerecht profilieren.
Viele Bürger waren vor den letzten Wahlen durch die massiven Forderungen nach Veränderung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen verunsichert worden. Fast jeden Tag gab es neue Reformforderungen, vor allem an die Adresse der Union, was viele Bürger an deren sozialpolitischer Verlässlichkeit zweifeln ließ. So konnte sich die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit behaupten. Diese Position wird sie nicht kampflos der Union überlassen. So wird das Gerede über die Gerechtigkeit zum politischen Dauerbrenner und die Handlungsfähigkeit der großen Koalition weiter beeinträchtigen.
Rüttgers will nach 40 Beitragsjahren die Laufzeit des Arbeitslosengeldes um ein halbes Jahr verlängern, weil das gerecht sei. Er wandelt damit auf den Spuren Norbert Blüms. Der hatte dafür gesorgt, dass das Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate gezahlt werden konnte. Das hat die Arbeitslosigkeit nicht verringert, aber die teure Frühverrentung der Arbeitnehmer zusätzlich attraktiv gemacht. Das belastet die Sozial- und Staatskassen noch immer mit Milliarden.
Die Beiträge sichern den Arbeitnehmern, falls sie arbeitslos werden, für eine begrenzte Zeit ein Grundeinkommen; der lohnbezogene Beitrag bestimmt die Höhe der Leistung. Es handelt sich also um eine Risikoversicherung; ein Leistungsanspruch entsteht nach einem Beitragsjahr. Auch Kranken- und Pflegeversicherungen, Haftpflicht- und Unfallversicherungen decken Risiken, da werden weder Anwartschaften noch Vermögen angespart; im Risikofall wird gezahlt. Die Höhe der Leistungen hängt in der Regel nicht von der Dauer der Beitragszahlung ab. Niemand hält das für unsozial oder ungerecht.
Rot/Grün hatte das Arbeitslosengeld, also die Versicherungsleistung, auf ein Jahr (auf 18 Monate für über 55-Jährige) begrenzt; danach kommen notfalls die pauschal und sozial bemessenen Leistungen zum Zuge. Das war ein notwendiger Schritt, um die Finanzlast der Arbeitslosigkeit und den Missbrauch des Systems zu verringern. Der Druck auf die Arbeitslosen, sich möglichst rasch um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, ist seitdem gewachsen. Diese Reform war vordringlich, aber auch sozialund systemgerecht. Sie fördert die Beschäftigung und entlastet die Beitragszahler. Rüttgers will nun das Rad zurückdrehen. Den älteren Arbeitnehmern hilft er damit wenig; deren Chancen am Arbeitsmarkt sind nicht mit sozialen Transferzahlungen zu verbessern. Die SPD sieht, dass Rüttgers sie links überholen will. Sie reagiert empört. Aber sie hat kräftig daran mitgewirkt, dass Arbeitnehmer, die 45 Jahre Rentenbeiträge entrichtet haben, bei der Erhöhung der Altersgrenze auf 67 auch weiterhin mit 65 die Rente ohne die sonst fälligen Abschläge beziehen sollen.
Althaus verlangt eine Radikalreform. Der Staat solle jedem Bürger ein Grundeinkommen zahlen und dafür die bisherigen Sozialleistungen streichen. Dieses „Bürgergeld“ ist weder finanzierbar, noch solidarisch. Das Staatssalär verführt zu der Illusion, dass jeder die Wahl habe, zu arbeiten oder nicht zu arbeiten. So kann kein Staat im Wettbewerb bestehen und seinen Bürgern Wohlstand sichern.
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