Die Welt zu Gast beim Zahnarzt
Der Idee entstand auf dem Campus: „Wir haben über das Motto der WM nachgedacht“, erzählt Ina Wüstefeld, Zahnmedizinstudentin im achten Semester und Mitinitiatorin des Projekts. „Die Welt zu Gast bei Freunden. Und was tun Freunde? Im Notfall schnell helfen.“ Rasch war klar, dass die 150 Zahnmedizinstudenten in Witten- Herdecke das machen, was sie am besten können: bohren, füllen, extrahieren.
Denn eins steht für die künftigen Zahnärzte fest: „Während der WM sind Fußballfans aus der ganzen Welt bei uns zu Gast. Da treten auch zahnmedizinische Probleme auf.“ Ein heimischer Fußballgucker handelt bei Zahnschmerzen wie immer – er geht zu seinem Hauszahnarzt. Aber was machen die WM-Besucher aus dem Ausland? Ein argentinischer Fan mit dicker Backe hat weder eine gültige Versicherungskarte noch eine Praxisadresse. Und hier kommen Wüstefeld und das Projekt ins Spiel.
Fifa schießt quer
Ursprünglich wollten die Studenten ihre Hilfe direkt im Stadion anbieten. Doch der Weltfußballbund stellte sich quer: Das Terrain ist während der WM Hoheitsgebiet der Fifa, und die erlaubt weder einen solchen Service, noch unterstützt sie das Projekt formell. Nach diesem Rückschlag hieß es umzudenken.
Jetzt findet die Behandlung direkt auf dem Campus in Witten-Herdecke statt. Was nicht unbedingt von Nachteil ist: Behandlungszimmer, Instrumente und Ärzte sind vorhanden. Ebenso der Notdienst, der zur WM entsprechend ausgeweitet wird. Zwei Vorkliniker, zwei Kliniker und ein Zahnarzt übernehmen dann die Versorgung, ein Arzt hat zusätzlich Bereitschaft. Therapiert werden ausnahmslos Schmerzpatienten, sprich, Notfälle. Wer darauf spekuliert, ihm würde das Gebiss komplett saniert, ist hier an der falschen Adresse.
Geht aber ein Fan im Freudentaumel versehentlich zu Boden und ihm bricht dabei ein Stück des Frontzahns ab, wird er in Witten- Herdecke behandelt. Dass eventuell auch lädierte Hooligans den Weg zur Klinik finden, ist Wüstefeld bewusst. Ein Problem haben sie und ihre Kommilitonen damit nicht: „Wir therapieren alle Fans mit Zahnschmerzen. Ob Hooligan oder nicht – das ärztliche Ethos zieht keinen Unterschied.“
In Witten-Herdecke rechnet man in erster Linie mit Besuchern aus Dortmund und Gelsenkirchen – die beiden Stadien sind nur 20 Autominuten entfernt. Profitieren werden von dem Service also vor allem Anhänger von Polen, Schweden, Trinidad und Tobago, Brasilien, USA, Mexico, Japan, Argentinien, Serbien, Portugal, Ecuador, Tschechien, Togo und der Schweiz, weil deren Teams in Dortmund und Gelsenkirchen spielen. Neben dem fachlichen Know-how sind daher auch Sprachkenntnisse gefragt: Treffen am 29. Juni in Gelsenkirchen Portugal und Mexico aufeinander, muss im Notfallteam jemand dabei sein, der Portugiesisch und Spanisch spricht.
Insgesamt werden die WM-Fans so behandelt wie Notfallpatienten generell. „Wir werden es hauptsächlich mit Abszessen, Frakturen sowie herausgefallenen Brücken und Kronen zu tun haben“, vermutet Wüstefeld. „Und sicherlich ist im ein oder anderen Fall auch Alkohol im Spiel.“ Kommt ein Patient in die Sprechstunde, füllt er einen Anamnesebogen aus – wahlweise auf Englisch oder Deutsch – und nennt für die Statistik und eventuelle Nachfragen des Zahnarztes zu Hause Name und Adresse. Dann legt er die Eintrittskarte vor und frei ist der Weg zum Behandlungsstuhl.
Finanziert wird das Projekt von der Uni. „Freunde nehmen doch kein Geld von Freunden“, sagt Wüstefeld.
Aber nicht nur angeschlagene WM-Fans sind hier richtig: Wem der heimische Fernseher zu mickrig ist, kann das Giga-Event im Audimax auf Großleinwand gucken. Die Studenten zeigen die WM-Spiele und sorgen nebenbei für Speis und Trank. Keine Frage: In Witten-Herdecke werden Sie geholfen. ck
Mehr unterwww.wm-zahnklinik.de, Ansprechpartner sind Ina Wüstefeld und Prof. Zöllner