„Versozialrechtlichung” des Zahnarztberufes
Sehr verehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,
noch darf spekuliert werden, ob und in welcher Fassung es kommt – das als Vorschaltgesetz zur Gesundheitsreform geplante „Vertragsarztrechtänderungsgesetz (VÄG)”. Ebenso sperrig wie sein Titel ist der Inhalt des Referentenentwurfes, der derzeit kontrovers diskutiert wird. Gleich vorab bleibt festzustellen, dass BZÄK und KZBV in ihrer gemeinsamen Stellungnahme eine identische Sicht der Dinge haben und eine übergeordnete Betrachtung angebracht ist.
Die angestrebte Flexibilisierung und Liberalisierung des Vertragsarztrechts wird nur ansatzweise und höchst widersprüchlich umgesetzt. Wo liberalisiert wird, geschieht dies halbherzig und mit Systembrüchen zu den fortbestehenden Regularien des Vertragsarztrechts und berufsrechtlichen Vorgaben. So ermöglicht es der Entwurf einerseits den Vertragszahnärzten, in mehreren KZV-Bereichen gleichzeitig tätig zu sein, hält andererseits am System der Bedarfsplanung und Budgetierung der regionalen Vergütungen auf der Grundlage von Gesamtverträgen und Honorarverteilungsmaßstäben fest.
Besonders bedenklich ist aber, dass die Tendenz fortgesetzt wird, das freiberufliche ärztliche Berufsbild durch das Sozialrecht zu vereinnahmen und damit das in der Landeskompetenz liegende Heilberufsrecht durch bundesrechtliche Vorgaben der Sozialversicherung zu präformieren. Seit den Kassenarzturteilen des Bundesverfassungsgerichts von 1960/61 war unumstritten, dass der Beruf des Arztes und Zahnarztes auch in der Ausübungsform des Kassen- beziehungsweise Vertragsarztes ein Freier Beruf ist und dass es kein eigenständiges Berufsbild des Kassenarztes gibt. Es ist ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, dass sich die Sozialversicherung des Arztes und Zahnarztes als Freiberufler zur Versorgung ihrer Versicherten bedient und auf dem freiberuflichen Berufsrecht aufbaut. Daraus folgt, dass (zahn-)ärztliches Berufsrecht Vorrang vor sozialrechtlichen Regelungen haben muss und das Vertragsarztrecht nicht vom (zahn-)ärztlichen Berufsrecht abgekoppelt werden darf.
Wenn der Präsident der Bundesärztekammer und das Consilium unabhängiger Wissenschaftler der BZÄK übereinstimmend eine zunehmende „Versozialrechtlichung” ärztlicher beziehungsweise zahnärztlicher Berufsausübung konstatieren, bezeichnet dies exakt die Kollision des Heilberufsrechts mit gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen der Medizinischen Versorgungszentren, soweit diese als Kapitalgesellschaften betrieben werden, oder die Tatsache, dass die Tätigkeit von Ärzten oder Zahnärzten an mehreren Orten beziehungsweise die Wanderung von Vertragsärzten am Sitz der überörtlichen Gemeinschaftspraxis sozialrechtlich ohne Bezug auf das Berufsrecht definiert wird. Das gleiche gilt für die im ärztlichen Bereich vorgesehene Möglichkeit der Anstellung fachgebietsfremder Assistenten, die im Widerspruch zum ärztlichen Berufsrecht steht.
So souverän der Referentenentwurf berufsund gesellschaftsrechtliche Hürden überspringt, so zögerlich ist er, wenn es um die dringend erforderliche konsequente Liberalisierung von Bedarfsplanungs- und Zulassungsschranken geht. Weder wird die Zugangsgrenze von 55 Jahren für die Aufnahme einer vertragszahnärztlichen Tätigkeit beseitigt, noch die EU-rechtlich bedenkliche und diskriminierende Altersgrenze von 68 Jahren vorbehaltlos aufgehoben. Für die Zukunft des Freien Berufes ist es ferner unerlässlich, dass die niedergelassenen Vertragszahnärzte nicht benachteiligt werden. So wird die an sich begrüßenswerte erweiterte Möglichkeit, Zahnärzte als Angestellte zu beschäftigen, verwässert, wenn diese Anstellungsverhältnisse anders als im Medizinischen Versorgungszentrum den Beschränkungen des degressiven Punktwertes unterworfen bleiben.
Der derzeitige Referentenentwurf springt in weiten Bereichen unter dem Aspekt der Flexibilisierung zu kurz, birgt aber im Hinblick auf die Freiberuflichkeit und das Berufsbild des Zahnarztes höchst gefährliche Tendenzen, das zahnärztliche Berufsrecht auszuhebeln. Hier ist erheblicher Nachbesserungsbedarf offensichtlich. Den Sozialversicherungszahnarzt mit Sonderstatus und eigenem Berufsbild darf es nicht geben, wenn die Freiberuflichkeit der Heilberufe nicht den bundesgesetzlichen Omnipotenzansprüchen des Sozialgesetzgebers und eines Sozialversicherungssystems geopfert werden soll, dessen evidente Strukturmängel durch die bevorstehende Gesundheitsreform gerade erst verbessert werden müssen. Beim VÄG steht daher mehr auf dem Spiel als eine Kontroverse um Gesetzgebungszuständigkeiten im Bund-Länder-Verhältnis oder berufsrechtliche Regelungskompetenzen der Selbstverwaltungsinstitutionen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer