109. Deutscher Ärztetag in Magdeburg

Ein ,Weiter so' geht nicht mehr

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Solidarität mit den protestierenden Kollegen, Zusammenrücken der Ärzteschaft in politisch harten Zeiten - der 109. Deutsche Ärztetag vom 23. bis 26. Mai in Magdeburg positionierte sich klar und deutlich gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Und forderte angesichts der bevorstehenden Gesundheitsreform vor allem eines ein: bessere Rahmenbedingungen für die Profession.

Ärztepräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe gab sich auf in seiner Eröffnungsrede in Magdeburg entschieden und kämpferisch: "Es kann und darf einfach nicht weitergehen nach dem Motto: 'Come in and burn out'. Ein 'Weiter so' geht definitiv nicht mehr", betonte er angesichts der schon wochenlang andauernden Protestaktionen der Mediziner. "Ärztinnen und Ärzte sind ja in den vergangenen Jahrzehnten als Demonstranten nicht sonderlich aufgefallen. Wenn sie nun also geschlossen auf die Straße gehen, dann ist doch ganz offensichtlich eine Schmerzgrenze überschritten."

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, die bei ihrem Eintreffen vor dem Gebäude der Magdeburger Stadthalle von protestierenden Krankenhausärzten empfangen wurde, zeigte bei ihrer Grußrede Verständnis für die Unzufriedenheit der Ärzte: "Ich habe stets deutlich gemacht, dass ich hinter protestierenden Ärztinnen und Ärzten stehe, wenn sie adäquate Arbeitszeiten verlangen und hierfür auch eine gerechte Bezahlung einfordern." Bei allen Meinungsverschiedenheiten sei der Gesprächsfaden mit der Ärzteschaft nie abgerissen: "Wenn die Eckpunkte für die Reform verabschiedet sind, werden Sie feststellen, dass viele Ihrer Vorschläge in den Ergebnissen Niederschlag finden", versprach sie. Und: "Wir wollen die Reform mit Ihnen machen."

Verständnisbereitschaft oder bloße Taktik? Die Ministerin teilte jedenfalls nicht nur Freundlichkeiten aus. Sie mahnte die Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes bis zum Ende des Jahres an. Die Regierung habe zusätzliches Geld dafür zur Verfügung gestellt und erwarte jetzt ein entsprechendes Handeln der Kliniken, damit Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit gewertet werden. Schmidt forderte aber auch Einsparungen. Es müsse dringend über die Arzneimittelgläubigkeit in Deutschland nachgedacht werden. Es würden zwei Milliarden Euro mehr für Arzneimittel ausgegeben als für sämtliche Honorare aller niedergelassenen Ärzte in Deutschland. Das Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz sei ein Beitrag zu Einsparungen. Kritik an der Bonus-Malus-Regelung lehnte sie ab: "Die Bonus-Malus-Regelung zielt allein auf eine Steuerung bei den Medikamentengruppen, wo sich die Arzneimittelauswahl des Arztes angesichts einer überaus reichhaltigen Vielfalt nach dem Preis entscheiden lässt."

Mit der letzten Gesundheitsreform im GMG sei die Selbstverwaltung dazu aufgefordert worden, sich bis zum Januar letzten Jahres auf Eckpunkte für ein Honorarsystem zu einigen. Zu einer solchen Einigung sei es aber bisher nicht gekommen, kritisierte die Ministerin und forderte dazu auf, sich bis zum 31.12.2006 endgültig zu einigen.

Mehr Anerkennung

Hoppe forderte mehr Respekt und Anerkennung für die Leistung und das Engagement der Ärzte. "Schon heute stützen Ärzte mit unbezahlter Arbeit das Gesundheitswesen in Höhe von über zehn Milliarden Euro. ... Nur durch diese Subventionierung, die die wir Ärztinnen und Ärzte seit Jahren leisten, haben wir trotz der maroden Finanzierung des Gesundheitswesens in Deutschland noch eine gute medizinische Versorgung." Es müsse Schluss damit sein, dieses Engagement als feste Rechengröße einzukalkulieren. Von der Gesundheitspolitik forderte er eine "ehrliche Bilanz" angesichts Fakten wie einer maroden Finanzierungsgrundlage, einer enormen Leistungsverdichtung und der Herausforderungen einer ständig älter werdenden Gesellschaft bei rasant wachsenden medizinischen Möglichkeiten. "Damit müssen wir uns auseinandersetzen und nicht mit dem gefühlten Wissen von vermeintlich milliardenschweren Effizienzreserven. Eine solche Schätzometrie mag ja nützlich sein, um die politische Verantwortung für Leistungseinschränkungen zu verschleiern, hilft aber nicht wirklich."

Hoppe prangerte den enormen Zeitdruck, die wachsende Bürokratie und die steigende Kommerzialisierung im Gesundheitswesen an. Es müsse Schluss sein mit Marathondiensten im Krankenhaus, Leistungen zu Dumpingtarifen, Verbürokratisierung, Checklisten-Medizin, Honorarverfall und Entmündigung der Arzt-Patienten-Beziehung. Der ärztliche Behandlungsauftrag und die Therapie würden derart administriert, dass man sich nicht wundern dürfe, wenn Ärzte auf die Barrikaden gingen. "Wir haben es ordentlich satt, als verkappte Gerichtsvollzieher benutzt zu werden." Hoppe setzte sich ein für eine leistungsgerechte Honorierung, den Erhalt von Freiberuflichkeit, von flächendeckender und wohnortnaher Versorgung und für das Primat der Medizin gegenüber dem Profitdenken der Konzerne.

Mehr Selbstkritik

Großen Beifall erhielt der Chef der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, Dr. Hennig Friebel, für seine feinsinnige Rede. Sein Plädoyer lautete: Mehr Selbstkritik: "Noch überwiegt die Freude des Arztseins. Aber der Frust gewinnt zurzeit rasant an Boden. Die Möglichkeit, selbstkritisch mit uns und der Gesellschaft umzugehen, muss genutzt werden, auch in dieser Woche auf dem Ärztetag. ... Alle sind wir aufgerufen, uns Gedanken zu machen, vielleicht auch einmal den Mut zu haben, wirklich Neues zu denken. Das 21. Jahrhundert lässt sich nicht mit den Vorstellungen des 20. Jahrhunderts bewältigen." Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) plädierte an Ärzte und Politiker, kritisch zu hinterfragen, welche Leistungen im Gesundheitswesen wirklich notwendig seien und welche reduziert werden könnten. So müssten private Sportunfälle das Gesundheitssystem

nicht belasten, indem sie solidarisch finanziert werden. Auch könnte überlegt werden, Raucher und Übergewichtige stärker zur Kasse zu bitten.

Ein besserer Rahmen

Im Mittelpunkt der Beratungen der Delegierten des Deutschen Ärztetages standen die Patientenversorgung in Deutschland sowie die Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung. Zahlreiche Beschlüsse wurden gefasst. Die Delegierten forderten unter anderem ein Ende der Kontrollbürokratie im Gesundheitswesen und eine Modernisierung der GOÄ. Sie plädierten für einen finanziellern Ausgleich, bevor weitere Leistungen in die GKV aufgenommen werden. Ein weiterer Themenkomplex befasste sich mit der EU. Die Ärzte plädierten dafür, die Verantwortung für die Gesundheitssysteme bei den Mitgliedstaaten zu belassen und sich einer weiteren Harmonisierung entgegenzustellen. Außerdem sprach sich der Ärztetag für eine Stärkung der ärztlichen Psychotherapie und gegen die Stigmatisierung von psychisch Kranken aus.

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