Prävention auf dem Prüfstand
Innovative Ideen und Ansätze in Augenschein zu nehmen, den Mut zu haben, querzudenken und neue Wege zu suchen – dies war erklärtes Ziel des interdisziplinären Kongresses zum Thema „Prävention auf dem Prüfstand: Wieviel organisierte Gesundheit – wieviel Eigenverantwortung?“ der Hanns-Martin-Schleyer Stiftung sowie der Heinz Nixdorf-Stiftung. Gemeinsam sorgten sie dafür, dass rund 100 qualifizierte Nachwuchswissenschaftler, darunter Mediziner, Natur- und Kulturwissenschaftler sowie Ökonomen, mit ihren Thesenvorträgen Anstöße für Wissenschaft und Praxis geben konnten. Zu Wort kam aber auch die Politik.
Vier Säulen, viele Meinungen
„Prävention hilft, Kosten zu sparen. Je länger wir gesund bleiben, desto niedriger sind die Kosten“, sagte Regierungsvertreter Schröder in seinem Thesenvortrag. Prävention müsse daher neben Behandlung, Rehabilitation und Pflege als vierte Säule im Gesundheitswesen verankert werden. „Nur indem wir frühzeitig die Eigenverantwortung der Bürger steigern, werden Erkrankungsrisiken vermindert“, lautet die Einschätzung des Staatssekretärs. Konkrete Vorschläge zur Umsetzung ließ sein Vortrag vermissen, Schlagwörter hingegen nicht. Beispiel Setting-Ansatz. „Damit Prävention funktioniert, muss man die Menschen da abholen, wo sie sind“, betonte Schröder. Er plädierte dafür, den Bildungsstand und die sozioökonomischen Verhältnisse zu berücksichtigen. Dieses Prinzip gelte für die unteren Schichten genauso wie für Männer Mitte 30, die sich nur schwer zur Vorsorge motivieren ließen. Gute Ergebnisse, so der Staatssekretär, wolle die Regierung mit einer vierstufigen Präventionsstrategie erzielen. Dazu gehöre es, positive Präventionsziele zu formulieren, qualitätsgesicherte Ziele zu entwickeln, Kooperationen von Akteuren im Präventionsbereich zu koordinieren und regelmäßig die Wirksamkeit der Aktionen zu überprüfen.
Die Grenzen des Möglichen
Die Prävention auf den Prüfstand stellten auch die übrigen Thesenvorträge des Kongresses: Prof. Dr. Dr. Peter Oberender, Gesundheitsökonom aus Bayreuth, räumte auf mit der These, dass Prävention Kosten senkt. Er wies zum Beispiel auf die Tatsache hin, dass gerade am Lebensende eines Menschen eine Kompression der Morbidität zu finden sei. Prävention habe ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Grenzen. Die Politik müsse wegkommen vom „Irrglauben der Machbarkeit“ und der „Illusion der Planbarkeit“. Es gebe keine ausreichend identifizierten Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge. Oberender unterstrich stattdessen die Wichtigkeit einer verstärkten Eigenverantwortung. Dieses Muster solle in unsere Kultur übertragen werden. Dabei müsse man „den Arzt mit ins Boot nehmen“ und ihn zum Beispiel für einen gesunden, eigenverantwortlich handelnden Patienten auch honorieren. Eine gehörige Portion Skepsis gegenüber dem vermeintlichen Zauberwort Prävention zeigte auch der Wirtschafts- und Sozialstatistiker Prof. Dr. Walter Krämer, Universität Dortmund: „Per Prävention verhinderte Krankheit macht uns nicht unsterblich, sie macht nur Platz für andere Krankheiten.“ Prävention könne Krankheiten nicht verhindern, wohl aber verzögern. Kosten würden in der Sozialversicherung dadurch jedenfalls nicht gespart. Die These, dass noch mehr Prävention aus der Misere des Gesundheitswesens führe, stimme nicht. Die segensreiche Wirkung von Vorsorgemaßnahmen stehe zwar nicht zur Debatte, aber die Wirkung zusätzlicher Maßnahmen sei zweifelhaft.
Mangelndes Gesundheitsverhalten sei das Resultat von sozial eingebetteten und genetisch bedingten falschen Gewohnheiten, zeigte sich der Medizinsoziologe Prof. Dr. Holger Pfaff, Köln, überzeugt. Eine systematische und flächendeckende Analyse von Verhaltensweisen bedürfe der Unterstützung medizinischer Institutionen. Organisierte Prävention sei aber nur wirksam, wenn sie in verschiedenen Lebensphasen eines Menschen Fuß fasse und auch phasenübergreifend erfolge – angefangen vom Kindesbis hin zum Greisenalter.
Der prädiktiven Medizin schrieb der Kölner Mediziner Prof. Dr. Joachim Schultze einen künftig wachsenden Stellenwert zu. Genomforschung, bildgebende Verfahren oder Telemedizin seien hier beispielhaft zu nennen. So könne man voraussagen, dass in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe besonders hohe Risiken zu finden seien. In Zukunft sollte Früherkennung gezielt greifen: Nicht für alle nach dem Gießkannenprinzip, sondern nur für diejenigen, die ein erhöhtes Krankheitsrisiko besitzen.
Diskussionen vertieft
Die Kongressteilnehmer vertieften ihre Diskussionen in vier Arbeitskreisen. Dass blosses Wissen um Gesundheitsrisiken noch keine Verhaltensänderung generiert, war das Fazit der Gruppe zum Thema „Lebensphasenbezogene Prävention: Zielgruppen erreichen und Gesundheit wirksam fördern“. Am Besten sei es, die Adressaten – je nach Alter – in Schule oder am Arbeitsplatz anzusprechen. Hier müssten Handlungskompetenzen und Angebote erweitert werden, fasste Moderator und Medizinjournalist Michael Engel zusammen. Ein besonderes Problem seien immobile Patienten, die man nicht auf diesen Wegen mit Präventionsbotschaften erreichen könne.
Sollten Gentests als prädiktives Mittel eingesetzt werden, war die Frage in der Gruppe „Fortschritt und Prävention – Individualisierte Medizin“. Die Antworten fielen kontrovers aus: Auf der einen Seite stand der Vorteil genauer bestimmbarer Risikofaktoren, auf der anderen Seite die Gefahr, dass die genetische Analyse als Mittel zur Selektion missbraucht werden könne.
Weniger „Planwirtschaft“ in der GKV täte dem deutschen Gesundheitssystem gut, sagte der Schweizer Journalist Dr. Beat Gygi, Komoderator der Arbeitsgruppe „Prävention in der Krankenversicherung“. Statt mehr staatlicher Fürsorge, sollten die Versicherer individualisierte Veträge schließen dürfen. Das Prinzip: Wer besser auf seine Gesundheit achtet, bekommt günstigere Konditionen.
Die Medien spielen eine wichtige Rolle beim Zugang zu Zielgruppen, war das Ergebnis der vierten Diskussionsrunde „Prävention und Wissen: Bildung – Erziehung – Medien“. Hier müsse beachtet werden, Präventionsinhalte und Gesundheitsrisiken Zielgruppenadäquat zu kommunizieren.