Deutscher Zahnärztetag - Erfurt 2006

Freiberuflichkeit – das Fundament der Zahnärzte

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Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung sind die Säulen des zahnärztlichen Berufstandes. Der Deutsche Zahnärztetag 2006 verteidigte vehement dieses Fundament gegen den politisch geplanten Staatsdirigismus im Gesundheitswesen. Das gemeinsam von Bundeszahnärztekammer, Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde getragene Großereignis der Zahnärzteschaft, das von der gastgebenden Kammer Thüringen unterstützt wurde, fand seinen feierlichen Höhepunkt in der Zentralveranstaltung am 24. November im Erfurter Kaisersaal.

Die Veranstaltungen rund um den Deutschen Zahnärztetag vom 22. bis 25. November in Erfurt standen im Zeichen der elementaren Bedeutung von Freiberuflichkeit im zahnärztlichen Berufsstand – was angesichts der Reformpläne zum Gesundheitswesen eine ganz besondere Brisanz erhielt. Denn die Bedrohung in Richtung Staatsmedizin ist in der Reform deutlich vorgezeichnet. Die Zahnärzteschaft stellt sich dem mit guten Argumenten für ihren Freien Beruf entgegen. Freiberuflichkeit – dieser Gedanke zog sich wie ein roter Faden durch die festliche Zentralveranstaltung im Erfurter Kaisersaal, bei der rund 380 Gäste aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Verbandswesen vertreten waren.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung gab es Erfreuliches zu berichten. Der Präsident der Bundeszahnärztekammer Dr. Dr. Jürgen Weitkamp wies – sich in Richtung Politik wendend – stolz auf die Ergebnisse der neuen Mundgesundheitsstudie DMS IV des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) hin, die gemeinsam in Eigenregie des Berufsstandes von BZÄK und KZBV getragen wurde. Die Untersuchung zeige die große Zufriedenheit der Patienten mit ihren Zahnärzten und mache den Berufsstand sehr selbstbewusst: „Das ist ein schöner Beweis, dass die Patienten uns trauen, die Politik leider nicht, sonst würde sie nicht so stringent in unser Leistungsgeschehen eingreifen.“

Diesen Faden griff Klaus-Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, sofort auf und zollte den Zahnärzten ein dickes Lob: Die DMS IV-Studie belege, dass Deutschland in Bezug auf die Prävention, besonders bei Kindern und Jugendlichen, Spitzenwerte erlangt habe. Das dürfe man mit Stolz nach außen propagieren. Schröder ermutigte die Zahnärzte, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen.

Der Fokus seines Grußworts lag angesichts des laufenden Gesetzgebungsverfahrens aber bei der Gesundheitsreform. Das hohe Niveau der zahnärztlichen Versorgung bleibe auch in Zukunft erhalten, unterstrich er. Mit der Einführung des Festzuschuss-Systems 2005 sei man einen wichtigen Schritt gegangen, um dem Patienten mehr Entscheidungsfreiheit zu bieten.

Mit den geplanten Neuerungen sei man aus seiner Sicht auf einem Weg, der eine klare Linie zeige. Mehr Wettbewerb, Einzelverträge, Vertragsfreiheit, weitere Wahlmöglichkeiten für Versicherte und mehr Flexibilisierung gehörten dazu. Zu den Vorteilen zählten auch die Liberalisierung der Altersgrenze und neue Möglichkeiten der Berufsausübung. Ausführlich ging Schröder auf den geplanten Basistarif ein. Sein Fazit: „Es gibt gute Gründe, dass in der PKV die Möglichkeit geschaffen wird, dass Versicherte die Chance haben, zurückzukehren und versichert zu sein.“

Schlagkräftige Argumente gegen die Reformpolitik der Koalition fand RA Heinz Lanfermann, MdB, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss. Es könne nicht angehen, dass eine Reform damit beginne, die Beiträge kräftig zu erhöhen, kritisierte er und forderte, dass Rücklagen für die Zukunft gebildet werden. Den Gesundheitsfonds bezeichnete er als ein „bürokratisches Monster“ und unterstrich, dass sich der Widerstand gegen die Reform „quer Beet“ gebildet habe, angefangen von Koalitionsmitgliedern bis hin zu den einzelnen Berufsgruppen. Lanfermann kritisierte sowohl den vorgesehenen Einheitsverband für Krankenkassen wie auch die Hauptamtlichkeit beim Gemeinsamen Bundesausschuss und vor allem den geplanten Basistarif in der PKV. Seine Quintessenz: „Staatsmedizin schimmert durch.“

Der Schulterschluss von Standespolitik und Wissenschaft, der auf dem Deutschen Zahnärztetag zum Tragen kam, beeindruckte Dr. Falk Oesterheld, Leiter der Zentralabteilung im Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit, Thüringen. Dies demonstriere die Geschlossenheit des Berufsstandes: „Die Stimme der Zahnärzteschaft wird gebraucht in der Gesundheitspolitik.“ Aus seiner Sicht hob er vor allem auch die gute Zusammenarbeit mit den beiden thüringischen zahnärztlichen Standesorganisationen Kammer und KZV hervor. Die Selbstverwaltung sei am besten geeignet, das Gesundheitswesen zu steuern.

Dialogbereit

Der Vorsitzende der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, verwies auf die erfolgreiche Tradition der vergangenen Deutschen Zahnärztetage und unterstrich die Kommunikationsbereitschaft der Zahnärzteschaft in der politischen Öffentlichkeit: „Dies ist unser Beleg für einen ernsthaften Dialog.“ Fedderwitz brachte eine schonungslose Analyse zum Stand der Gesundheitsreform. Damit tue man sich in der Koalition extrem schwer: „Beide Partner laufen gemeinsam zu getrennten Zielen. Dabei kann nichts Gescheites herauskommen.“ Auch Angela Merkel dürfe in dieser Angelegenheit nicht aus der Pflicht genommen werden. Fedderwitz monierte, dass die Kanzlerin noch nicht einmal auf das Angebot der elf Spitzenverbände des Gesundheitswesens reagiert hätte, ihr zu einem Gespräch zur Verfügung zu stehen. Er hätte sich eine andere Form der Auseinandersetzung gewünscht: „Mangelnder Veränderungswille und Besitzstandswahrung – in diese Ecke lassen wir uns nicht drängen.“ Auch wolle man sich nicht mit dem Totschlags-Argument im Bundesgesundheitsministerium abspeisen lassen, dies alles sei „politisch so gewollt“.

Seiner Befürchtung nach werde mit der Reform eine Einheitsversicherung kommen, bei der GKV und PKV gleichgeschaltet würden. Ziel sei es, „die PKV völlig platt zu machen“, den Weg in die Staatsmedizin zu ebnen und dabei keinen Gestaltungsspielraum mehr zuzulassen: „Von Vielfältigkeit und der Stärkung des Wettbewerbs kann hier keine Rede sei – genauso wenig wie Zitronen falten mit einem Zitronenfalter zu tun hat“. Die Selbstverwaltung würde zu einer Marionette des Ministeriums mutieren, das Ende der Freiberuflichkeit sei vorprogrammiert. Dazu gehöre die Einführung neuer Formen der Berufsausübung mit Kettenpraxen und Franchise-Modellen, die dem Kollegen Fesseln anlegten: „Wir sehen doch an allen Ecken und Enden, wohin die Reise geht!“ Klar bekannte sich der KZBV-Vorsitzende zum Festzuschuss-System, das zu einem der ganz wenigen echten Strukturreformen gehöre. Das Modell müsse ausgebaut werden. Fedderwitz wörtlich: „Wir brauchen eine zweite Honorarebene und keine platt gemachten Tarife.“

Im Mittelpunkt der zahnärztlichen Tätigkeit stehe der Patient. Der Berufsstand habe – mit Wissen um diese Verantwortung – in Eigenregie eine ganze Reihe von Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Belange des Patienten zu stärken. Dazu gehöre zum Beispiel das Qualitätsmanagement genauso wie das Zweitmeinungsmodell. Die Ergebnisse der DMS IV-Studie hätten gezeigt, dass künftig im Bereich der Parodontologie neue Herausforderungen auf die Zahnärzteschaft zukämen. Auch hier werde man sich entsprechend engagieren, und zwar ohne den Einfluss der Politik aus dem Berufsstand heraus: „Die Politik soll uns machen lassen. Wir haben bereits gezeigt, was wir selbst zu leisten im Stande sind: Es geht doch!“

Standortbestimmung

Eine Standortbestimmung der Zahnmedizin im Verhältnis zur Medizin nahm der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) , Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer, aus Sicht der Wissenschaft vor. Während die Zahnmedizin inzwischen ganz selbstverständlich medizinische Erkenntnisse berücksichtige, sei dies in der Medizin umgekehrt noch lange nicht der Fall. So seien beispielsweise zahnmedizinische Vorlesungen nach der Novelle der Approbationsordnung für Ärzte ganz aus dem medizinischen Studium verschwunden. Dies sei umso erstaunlicher, da gerade in jüngster Zeit evidente Wechselwirkungen beispielsweise bei Mundschleimhautveränderungen und internistischen Erkrankungen nachgewiesen wurden. Meyer betonte, dass auf Basis dieser Erkenntnis ein radikales Umdenken in der bisher geübten Praxis erfolgen müsse. „Die Einbindung zahnärztlicher Kompetenz in interdisziplinäre Diagnostik und Therapie ist geradezu ein Muss!“ Damit einher gehe auch eine gezielte Aufklärung: „Die allgemeine und auch medizinische Öffentlichkeit muss mehr über den ‘Arzt im Zahnarzt’ wissen.“ Der DGZMK-Präsident ging auf die Forderung des Wissenschaftsrats nach einer engeren Verzahnung der Zahnmedizin mit der Allgemeinmedizin in Forschung, Lehre und Krankenversorgung ein. Die Notwendigkeit dieses Schrittes zeige sich auch im internationalen Vergleich. Während allgemeinmedizinische Zusammenhänge nach wie vor Bestandteil des zahnmedizinischen Grundstudiums seien, habe sich die Medizin von der Zahnmedizin verabschiedet. „Diesen Abstieg, der den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegensteht, sehe ich als eine wahre Dekadenz, die wir uns nicht leisten können.“ Seine Forderung: „Der vielbeschworene ‘State of the Art’ sollte hier schnellstmöglich Alltags- und Behandlungsstandard werden!“

Unabhängigkeit

„In dieser Gesundheitsreform steckt zuviel DDR!“, betonte BZÄK-Präsident Weitkamp zu Beginn seiner Grundsatzrede zur Freiberuflichkeit (siehe dazu auch den Leitartikel Seite 4). „Die Frage ist, ob die Freiberuflichkeit dies alles überleben wird.“ Er unterstrich die besondere Rolle des Freiberuflers: Klare fachliche Unabhängigkeit, ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Patienten und eine umfangreiche berufsrechtlich unterlegte Selbstkontrolle gehörten dazu. Der Berufsstand habe alle Hände voll zu tun, um gegenüber der Politik diese Rolle zu verdeutlichen. Denn: „Nur in Freiberuflichkeit können wir unsere Patienten so behandeln, wie das unserer fachlichen und persönlichen Verantwortung entspricht. Unsere Patienten anerkennen das täglich, unsere Regierung nicht!“ Weitkamp bemängelte, dass im Gesetzesentwurf der Koalition die Selbstverwaltung immer mehr verstaatlicht werde. Stark wehrte er sich gegen die Einführung des Basistarifs in der GKV und den geplanten Wettbewerb zwischen GKV und PKV. Er sprach vom „Etikettenschwindel, der als Wettbewerbsstärkung verbrämt wird“. Gesundheitspolitik sei zu einer reinen Machtfrage geworden, um die Aufrechterhaltung der Koalitionsregierung zu unterstützen. „Die Reform löst keine Probleme, sie schafft Probleme – sie ist das Problem.“  Der Staat habe im Arzt-Patientenverhältnis nichts zu suchen, mische sich aber immer mehr ein und beschneide die freiberuflichen Rahmenbedingungen. Der Präsident kritisierte die permanente Versozialrechtlichung in der zahnärztlichen Berufsausübung. „Sozialrecht ist zur Allzweckwaffe des Gesetzgebers geworden, mit der er herumfuhrwerkt ohne Rücksicht auf bundesstaatliche Kompetenzordnung, Grundrechte, Berufsrecht oder europarechtliche Bestimmungen.“

Als verhängnisvoll bezeichnete der Weitkamp den staatsdirigistischen Weg, der in einen Nationalen Gesundheitsdienst nach britischem Vorbild münde. Zwar, so betonte er, entstünde dadurch – siehe Großbritannien – auf Dauer ein freiberuflicher Nebenmarkt mit freiberuflichen Nischen. Gleichzeitig fördere dies aber den Weg in die Zweiklassenmedizin und in graue Märkte.

Weitkamp warnte vor Modellen, die Heilberufler in die Vergewerblichung und in abhängige Beschäftigungsverhältnisse treiben. Dies könne auf Dauer auch zu fachlicher Abhängigkeit führen. Gerade freiberufliche Selbstverwaltungen würden in Zukunft bitter nötig sein, als Gegengewicht zu staatsmonopolistischen Entscheidungen. „Unsere Aufgabe ist es, die Freiberuflichkeit unseres Berufsstandes ohne Wenn und Aber aufrechtzuerhalten, gerade auch in widrigen Zeiten. Folgen wir nicht dem scheinbar bequemen Weg der Anpassung. Schöpfen wir freiberufliche Kraft aus unserer ärztlichen Rolle! Wir sind es unseren Patienten schuldig.“

Prüfstand

In seinem Festvortrag stellte Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik München, die Gesundheitsreform 2006 auf den Prüfstand. Wichtig sei es, Entwicklungen zu erkennen, um dann entsprechende Strategien zu fahren, wie man damit umgeht. Er prangerte die deutsche Mentalität an, derzufolge es heißt: „Wenn wir schon untergehen, dann gemeinsam, einheitlich und solidarisch.“ Der Gesundheitsreform und den Plänen der Koalition erteilte er schlechte Noten. Es gebe zahlreiche ungelöste Probleme. So sei es beispielsweise ein Trugschluss, davon auszugehen, das die GVK geheilt werde, wenn man die PKV abschaffe. Den Gesundheitsfonds bezeichnete er als einen „Sündenfall im Gesundheitssystem.“ Der Effekt: Bei diesem diffusen Gebilde habe jeder das Gefühl, er zahle zuviel und bekomme zu wenig.

Neubauer zählte eine Reihe von Lösungsansätzen aus seiner Sicht auf, beispielsweise die Abkopplung der Beiträge der GKV von den Arbeitskosten oder individuelle Gesundheitssparkonten für die Altersvorsorge. Der Trend zur privaten Absicherung und Zusatzversorgung werde künftig zunehmen. Wichtig für den zahnärztlichen Bereich sei eine Flexibilisierung der Kostenerstattung und eine Abschaffung der Bedarfsplanung.

Er prognostizierte, dass die nächste Gesundheitsreform mit Flickschusterei am System bereits bevorstehe: „Nach der Reform ist vor der Reform.“ Stattdessen rief er dazu auf, Mut zum Risiko und zu einem Systemwechsel aufzubringen.

Im Anschluss an den Festakt traten der BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz, der DGZMK-Präsident Prof. Dr. Dr. Georg Meyer, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie Prof. Dr. Thomas Hoffman (Tagungspräsident des Wissenschaftskongresses) und der Präsident der gastgebenden Kammer Dr. Lothar Bergholz auf einer gut besuchten Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Mit den Botschaften des Deutschen Zahnärztetages fanden die zahnärztlichen Spitzenvertreter von Standespolitik und Wissenschaft eine große Resonanz in den Medien.

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