KZBV-Vertreterversammlung in Erfurt

Freiräume schaffen – und Grenzen ziehen

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Boxt die Regierung diese Gesundheitsreform wie geplant durch, setzt sie nichts weniger aufs Spiel als die patientengerechte Versorgung. Das war den Delegierten auf der VV in Erfurt nur allzu bewusst. KZBV und KZVen werden deshalb alles daran setzen, den Weg in Staatsdirigismus und Zuteilungsmedizin zu verstellen und die freiberuflichen Strukturen im zahnärztlichen Beruf zu verteidigen.

„Gut 80 Prozent aller Deutschen lehnen diese Gesundheitsreform ab. Ärzte, Kassen, Gewerkschaften und Unternehmer sind sich erstmals in der Geschichte der BRD einig und bezeichnen diese Reform als Desaster“, bilanzierte der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Federwitz den Status quo. „Und dennoch will die Koalition diese Nullnummer durchpauken!“ Die Politik verfolge den Weg in die Zentralisierung und Staatsmedizin konsequent weiter, fügte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer hinzu: „Und dieser Weg wird ohne mit der Wimper zu zucken als Reform für die Versicherten verkauft – das ist das Schlimme.“

Tatsache sei auch, berichtete Fedderwitz weiter, dass sich die Politik – allen voran das BMG und Ulla Schmidt – Sachargumenten völlig verweigert. Setzte die Regierung in der gesetzgeberischen Frühphase noch auf Austausch, hieße es heute nur noch „Augen zu und durch“. „Zwar wurden wir zur Anhörung ins Ministerium eingeladen – aber unser Know-how stößt bei der Regierung auf taube Ohren.“ Auch auf einen in der Geschichte einmaligen gemeinsamen Brief aller großen Gesundheitsverbände an die Kanzlerin mit dem Angebot, zusammen eine tragfähige Reform auf die Beine zu stellen, kam bis heute keine Antwort. Fedderwitz: „Wer kritisch nachfragt, wird mit dem Satz ‘Das ist politisch so gewollt!’ abgespeist.“ Zu groß sei wohl die Angst, dass das Werk der Analyse nicht standhält und schmachvoll in sich zusammenfällt.

Den Eindruck teilte auch der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Günther E. Buchholz, der mit den wichtigsten Vertretern des Gesundheitswesens im Kanzleramt war, um Angela Merkel die Position der Zahnärzteschaft darzulegen (Kasten Seite 33). „Die Kanzlerin hatte am persönlichen Austausch jedoch offenkundig kein Interesse – bereits im Vorfeld lehnte sie es ab, selbst zu erscheinen und schickte ihren Kanzleramtsminister vor – das Verhalten zeigt doch, dass die Regierung auf unser Wissen pfeift und sich nur der Höflichkeit halber mit uns getroffen hat.“ Mit Erstaunen, so Fedderwitz, habe die KZBV daher festgestellt, dass der Gesetzgeber wohl gewillt sei, an einigen Stellen den Belangen der zahnärztlichen Behandlung Rechnung zu tragen. So sei geplant, das Sachleistungsprinzip weiter zu liberalisieren, indem die Versicherten künftig bei jeder einzelnen Behandlung die Kostenerstattung wählen können – „und zwar ohne vorherige fürsorgliche Beratung durch die Kassen.“ Positiv sei auch, dass jene im Gegenzug Tarife mit Selbstbehalten und Beitragsrückerstattungen für alle Mitglieder anbieten dürfen.

Mit dem Festzuschuss zur Kostenerstattung

„Wirklich weiter gebracht hat uns auch hier das Festzuschusssystem“, resümierte Fedderwitz. „Erstens, weil es in der Prothetik die Budgets abschaffte, zweitens, weil es gesetzlich weg von der Sachleistung hin zur Kostenerstattung führt und drittens, weil der Berufsstand beweisen konnte, dass er die gewonnen Freiräume nicht ausnutzt.“ Dabei stellte der KZBV-Chef unmissverständlich klar: „Der Gesinnungswandel in der Politik beim Thema Kostenerstattung ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis permanenter Überzeugungsarbeit seitens der Zahnärzteschaft! Dieser Erfolg geht nicht zuletzt auf unsere jahrelangen Bemühungen zurück, in den Gesetzgebungsverfahren immer wieder auf die Besonderheiten zahnärztlicher Belange hinzuweisen.“

Bei den Festzuschüssen sei es der KZBV zudem gelungen, im G-BA einstimmig eine entsprechende Änderung der Richtlinien durchzusetzen, nach der auf Basis der KZBVEmpfehlung die Unwuchten im Reparaturbereich nachjustiert werden, ergänzte Eßer. „Mein Fazit: Das Festzuschusssystem steht auf sicheren Beinen und hat der ersten Inspektion mit Bravour standgehalten.“

Die eigentliche Gefahr für die Festzuschüsse, so Eßer, liege freilich in der vom BMG immer wieder geforderten Angleichung der zahnärztlichen Gebührenordnungen. „Für das betriebswirtschaftliche Überleben der Zahnärzte im gedeckelten GKV-System ist es aber zwingend notwendig, die GOZ als flexible private Gebührenordnung zu erhalten!“ Die BZÄK trage hier eine besonders große Verantwortung – nicht nur für den privatzahnärztlichen, sondern auch für den vertragszahnärztlichen Bereich. Denn ohne eine zum Bema verschiedene Leistungsbeschreibung und -honorierung würden Mehrkostenregelungen und Festzuschüssen die Basis entzogen.

Auch im Bereich Vollnarkosen konnte sich die KZBV durchsetzen – die Bestrebungen des ärztlichen Bewertungsausschusses, die GKV-Leistungen für Vollnarkosen im zahnärztlichen Bereich drastisch zu Lasten der Patienten einzuschränken, konnten in letzter Sekunde verhindert werden. Eßer: „Der Ausschuss ist nach intensiver Arbeit weitgehend unserer Stellungnahme gefolgt, medizinisch notwendige Narkosen im Rahmen der GKV-Leistungspflicht weiterhin zu ermöglichen und diese zugleich scharf gegen die Wunschnarkosen abzugrenzen.“ Einen weiteren Durchbruch erzielten die Zahnärzte Fedderwitz zufolge auch beim Thema Plausibilitätsprüfung: Erkennt der Gesetzgeber doch endlich an, dass sich zahnärztliche Behandlungen nicht in vorgegebene Zeitschemata und Tagesprofile pressen lassen. Zu fruchten scheint auch der ständige Hinweis der KZBV, dass es im zahnärztlichen Bereich niemals eine Unterversorgung gegeben hat, die die aufwendige Bedarfsplanung und -zulassung überhaupt rechtfertigen ließe. Bestätigt wird die KZBV und mit ihr das Bundesschiedsamt auch bei der Praxisgebühr: Zwar soll die aus zahnärztlicher Sicht völlig unverständliche Regelung, derzufolge die KVen die Praxisgebühr für die Kassen einziehen und gegebenenfalls per Gericht einfordern müssen, gesetzlich fixiert werden. Zugleich soll aber in den Bundesmantelverträgen eine andere Lösung vereinbart werden können. Und genau das ist für den vertragszahnärztlichen Sektor bereits vor Jahren geschehen.

Highlights des Regelungsirrsinns

Trotz der kleinen Erfolge bleibt diese Reform gleichwohl eine Mogelpackung, betonte Fedderwitz. „Es steht Wettbewerb drauf und es ist staatliche Bevormundung drin!“ Die Maxime der Politik hieße eben immer noch: Trotz begrenztem GKV-Leistungsvolumen maximale Leistungsmengen einzukaufen.

Unumwunden abgelehnt wurde von Fedderwitz der Basistarif in der PKV: „Das ist der Einstieg in die Einheitskasse – und zugleich das Grab für die Vollversicherung!“ Weitere bevorstehende „Highlights des Regelungsirrsinns“ seien, dass Zweitpraxen laut Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) künftig innerhalb einer KZV und KZV-übergreifend gegründet werden dürfen und der G-BA vom BMG an die kurze Leine gelegt werden soll – zu Lasten der dadurch kastrierten Selbstverwaltung. Geradezu paradox müsse man das im GKV-WSG konkretisierte Vorhaben bewerten, im Namen einer Liberalisierung weiterhin auf Budgetierung, Degression und Honorarverteilung zu beharren. Das GKV-WSG fixiere in erster Linie den Beitragssatz – und dieser gelenkte Preiswettbewerb gehe voll auf Kosten der Zahnärzte und der KZVen, weil er die Zahnärzteschaft aufspaltet in Generalisten und Spezialisten: „Weil sich all diese Aktivitäten innerhalb des roten Gatters abspielen, führt diese interne Erosion zu einer Schwächung des Berufsstandes.“ Hier seien die KZVen in ihrer Landeskompetenz, aber auch die KZBV in ihrer Gesamtverantwortung gefragt – gerade sie können die Zukunft der Zahnärzteschaft positiv gestalten. Fedderwitz weiter: „Wir haben es in der Hand, die freiberuflich geprägte wohnortnahe Versorgung in diesem Land unter dem Diktat des roten Gatters sicherzustellen. Und nur wir können verhindern, dass unsere Patienten zum ohnmächtigen Spielball neuer desorientierter Strukturen werden.“ Für Fedderwitz steht deshalb fest: „Die KZBV wird abgestimmt mit den KZVen sehr sorgfältig prüfen müssen, wo sie im Interesse der Kollegen Freiräume schafft oder Grenzen zieht.“ Und die zahnärztlichen Kollegen dort, wo es möglich ist, vor Praxisketten und Franchising schützen. Fedderwitz: „Windigen Rechtsberatern, halbseidenen Finanzjongleuren und aalglatten Steuerfüchsen dürfen wir das Feld nicht überlassen!“ Eßer stimmte zu: „Wir werden Instrumente schaffen müssen, um KZV-übergreifende Berufsausübungsgemeinschaften einzudämmen, sodass es durch sie nicht zu einer Benachteiligung der tradierten Praxisstrukturen kommt.“ Eßer: „Wesentliches Element des deutschen Gesundheitswesens war bisher dessen staatsferne Organisation. Steuerung und Interessenausgleich erfolgten durch demokratisch gewählte Vertreter mit großem Fachwissen. Die Selbstverwaltung wird ihrer Kompetenzen nun großteils beraubt.“

Neues von der eGK

Wie Buchholz berichtete, driftet die Regierung auch in der Telematik weiter ab Richtung Verstaatlichung und Zentralisierung. So erließ das BMG im November 2005 bekanntlich die völlig überflüssige Rechtsverordnung, weil sich die Selbstverwaltung angeblich laufend selbst blockierte und dadurch das Projekt eGK verzögerte. Im vergangenen Jahr habe sich allerdings gezeigt, dass es unter der Maßgabe des Gesetzgebers auch nicht schneller ging. „Das BMG musste lernen, dass sich fachliche Arbeit nicht per Verordnung beschleunigen lässt. Aber der Irrsinn geht weiter!“ Nun plane das Ministerium die vorgesehenen Labortests einfach zu streichen und mit den unfertigen Karten ins Roll Out zu gehen. Buchholz: „Natürlich rät die gematik – genau wie wir – von einem verfrühten Roll Out ab, weil noch nicht alle Anwendungen getestet wurden und damit das Risiko steigt, alle Karten zurückrufen zu müssen.“ Dennoch propagiere das BMG aller Vernunft zum Trotz munter den Roll Out für Mitte 2007. Als Erfolg vermeldete Buchholz indes, dass E-Rezept und Notfalldaten vorgezogen, die Online-Anwendungen dagegen nach hinten geschoben wurden. „Gerade die KZBV hat sich immer für eine dezentrale Datenspeicherung eingesetzt – im Idealfall wie nun geschehen auf der eGK des Patienten.“

Was die Kosten angeht, kam die von der Selbstverwaltung beauftragte Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) zu dem Schluss, dass die eGK deutlich teurer wird als das BMG immer verlautbaren lässt und die Zahnärzte erwartungsgemäß das negativste Kosten-Nutzen-Verhältnis aller beteiligten Berufsgruppen aufweisen. Deshalb, so Buchholz, rät die Studie, die Zahnärzte entweder gar nicht oder später an der eGK zu beteiligen. Vorstellbar sei auch, die eGK für Zahnärzte auf die verpflichtenden Anwendungen zu beschränken. „Unser Ziel ist nach wie vor, dass die Zahnärzteschaft nur im unvermeidbaren Ausmaß vor eGK betroffen wird und der Aufwand in den Praxen möglichst gering bleibt.“ Der KZBV-Vorstand habe daher beschlossen, die Zahnärzteschaft vorerst nur auf Basis der Online-Anbindung einzubinden. Inwieweit der Zahnarzt darüber hinaus die Anwendungen der eGK unterstützen muss, ist abzuklären. Buchholz: „Weil die KNA aber die Basis für die Verhandlungen zur Kosten-Refinanzierung darstellt, sind diese günstigen Ergebnisse in jedem Fall ein wichtiger Meilenstein.”

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